Wer braucht ein Herz, wenn es gebrochen werden kann. Alex Wheatle

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Wer braucht ein Herz, wenn es gebrochen werden kann - Alex Wheatle

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stand auf. Scharrend fuhr sein Stuhl nach hinten. Sein durchdringender Blick wurde noch durchdringender. Er machte zwei Schritte auf mich zu, aber ich wich nicht zurück, sondern erwiderte seinen Blick, starrte ihn an wie ein Hai.

      »Ich hatte Geburtstag am Sonntag… «

      »Na und?«, fiel ich ihm ins Wort. »Heute ist Dienstag. Ich sehe neue Markenschuhe, hast du wohl geschenkt bekommen? Vor zwei Monaten hatte ich auch Geburtstag und hab nicht mal ein ›N‹ für ein Nichts gekriegt!«

      »Hab deine Mum seit Freitag nicht gesehen. Müssen wir dich jetzt um Erlaubnis bitten, wenn wir mal feiern wollen?«

      »Ist mir scheißegal, wie ihr feiert«, fuhr ich dazwischen. »Gib mir einfach nur meine fünf Pfund!«

      »Am Freitag krieg ich Stütze«, sagte Lloyd. »Davon geb ich dir’s wieder. Ich lad dich sogar auf eine Pizza ein oder geh mit dir in die Cheesecake Lounge.«

      Ich soll mich mit ihm in die Cheesecake Lounge setzen? Spinnt der? Der muss gestern Nacht noch mehr getrunken haben, als ich dachte. O Gott! Sollte ich jemals zechen wie die beiden, dann hoffe ich, dass mich jemand aus meinem Elend erlöst.

      »Such’s dir aus«, bot er an. »Ich lad dich ein.«

      Seine Ruhe raubte mir die Geduld. Ich trat auf ihn zu und wollte in seine Tasche greifen. Er packte mich am Handgelenk und stieß mich weg. Lloyd war zwar fett, aber auch stark. Er zog seine Trainingsjacke von der Stuhllehne und schlüpfte rein. Bevor er zur Haustür ging, erwischte er mich noch einmal mit seinem bösen Blick. »Mo, reg dich ab. Komm runter. Was soll das eigentlich? Hm? Hast du Probleme mit Sam?«

      »Wie oft soll ich das noch sagen? Sam ist nicht mein Freund.«

      »Wer’s glaubt. Hab einen schönen Tag in der Schule.«

      Als er sich an mir vorbeischob, roch ich sein Resterampe-Deo.

      Wie konnte Mum bloß mit so einem Knastarsch schlafen? Er tat immer ganz gelassen und freundlich, behandelte uns aber genau genommen wie Dreck und kam auch noch damit durch. Mum wollte es nicht wahrhaben, dass er sie bloß ausnutzte. Lernte sie denn nie aus den Fehlern, die sie gemacht hatte? Sobald ein Mann ihr Aufmerksamkeit schenkte, war sie total Ich tu alles für dich, mein Starker.

      Blöde Kuh. O Gott! Bei mir zog sich alles zusammen, wenn sie ihn »mein Starker« nannte. Das musste aufhören. Ohne ihn kamen wir viel besser klar. Wenn sie nicht für uns einstand, dann musste ich das eben machen.

      Ich rannte Lloyd hinterher und trat ihm so fest ich konnte gegen das linke Bein. Er hüpfte, drehte sich um. Erst lag Erschrecken, dann Zorn in seinem Blick. Ich wollte ihm gegen die Rippen boxen, aber meine Faust traf nur Schwabbelspeck. Dann zielte ich mit dem Fuß auf seine Eier. »Gib mir meine verdammten fünf Pfund, du Arsch!«

      Er packte mich fest an den Armen und bohrte mir seine Finger ins Fleisch, zog mich ganz nah an sich ran. Ein Schwall abgestandenes Bier wehte mir aus seinem Mund entgegen. Wieder trat ich ihn. So richtig erwischte ich seine Kokosnüsse nicht, traf ihn aber irgendwo in der Leistengegend. Er schloss die Augen und verzog das Gesicht. Gut!

      Seine Nägel bohrten sich immer tiefer in meine Haut, seine Augen verengten sich zu hasserfüllten Schlitzen. Dann löste er seinen Griff und stieß mich von sich. Ich verlor den Halt und krachte auf den Hintern.

      »Es reicht, Mo!«

      Seine fetten Wangen zuckten. Er ballte die Hände zu Fäusten. Kochte. Angst durchflutete meine Adern. Er würde es nicht wagen.

      »Treib es nicht zu weit, Mo! Ich will dir nicht wehtun. Wieso kannst du nicht einfach akzeptieren, dass deine Mum und ich zusammen sind? Kapier’s doch endlich.«

      »Machst du das mit Mum genauso, wenn du nicht kriegst, was du willst? Wenn sie dir nicht das Geld gibt, das du haben willst? Macht’s dir Spaß, Mädchen rumzustoßen? Warst du deshalb im Knast? Wieso verpisst du dich mit deiner verkorksten Schlägermentalität nicht einfach wieder in den geschlossenen Vollzug, wo breite Fettärsche wie du hingehören?«

      Lloyd hielt inne. Ich wusste, dass ihn meine letzte Bemerkung gewaltig fuchste. Gut!

      »Geh in die Schule, Mo.« Er machte die Tür auf. »Und beruhig dich.«

      »Komm nicht wieder!«, brüllte ich ihm hinterher.

      Er knallte die Tür zu. Ich riss sie noch mal auf und schrie ihm durchs Treppenhaus hinterher. »Lass Mum und mich in Ruhe!«

      Lloyd antwortete nicht. Ich ging wieder rein.

      Stampfte zurück zu Mum ins Zimmer. »Hast du das gesehen, Mum? Dein Freund war kurz davor, mir eine reinzuhauen. Dein arbeitssuchender Knastbruder-Fettarsch-Freund. Und nicht zum ersten Mal.«

       Nichts.

      »Mum?« Sie schlief tief und fest. Ich rüttelte sie wach. »Ich hab gesagt, er wollte mich gerade wieder schlagen, Mum!«

      Sie rollte auf den Rücken, öffnete aber nicht die Augen. »Er hat versprochen, niemals wieder die Hand gegen dich zu erheben. Das Versprechen hab ich ihm abgenommen, da warst du dabei. Und hat er sich nicht entschuldigt? Seitdem hat er doch wirklich versucht, es wiedergutzumachen, Mo, aber du lässt ihn nicht. Jetzt sieh zu, dass du loskommst! Ich will nicht noch mehr Briefe bekommen.«

      Und damit kauerte sie sich wieder zusammen. Ich stierte sie finster an. Ich hasste es, hier zu wohnen. Hasste es!

      Ich ging in mein Zimmer, meine Sachen holen. Sah mich im Spiegel an – meine Haare sahen aus wie aus einem schlechten Achtzigerjahre-Popvideo, aber egal. Ich schnappte meinen Schulrucksack und zog los.

      Ich würde mir eine andere Bleibe suchen müssen. Vielleicht konnte ich bei Elaine unterkommen.

      2

      SAM BRAMWELL

      WIR WOHNTEN IN SLIPE HOUSE, Nummer dreizehn im zweiten Stock, in South Crongton, und zwar schon so lange ich zurückdenken konnte. Ich erinnerte mich aber auch, dass Mum mal gesagt hatte, wir hätten eine Weile in einem Heim für misshandelte Frauen verbracht, als ich noch ein Baby war. Aber viel hatte sie mir von damals nicht erzählt.

      Meine Schulter pochte und ich fragte mich, ob es auch ein Heim für Teenager gab, die von den Freunden ihrer Mütter geschlagen wurden.

      Ich trottete die Betontreppe runter. Sams Mum stand in ihrer Busfahreruniform vor der Tür und guckte argwöhnisch.

      »Was ist das da oben für ein Geschrei und Türengeknalle? Alles klar bei dir und Clarrie-May?«

      Lorna Bramwell war sieben Jahre älter als meine Mum, aber sie sah viel jünger aus.

      »Alles gut«, erwiderte ich. »Ist halt immer dasselbe. Ich hatte eine kleine Auseinandersetzung mit Mums Freund.«

      Sie kam näher und begutachtete mich, fuhr mir mit einem Finger über die Wange. Ihre bernsteinfarbenen Dreadlocks fielen auf meine Schultern. »Hat er dir was getan, Maureen?«

      Ich wollte sagen »Ja«, aber irgendwas hielt mich davon ab.

      Es war nicht das erste Mal, dass ich Probleme mit Lloyd hatte.

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