Der Histamin-Irrtum. Sascha Kauffmann
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Während unsere Vorfahren sicherlich mehrfach während ihrer Lebenszeit Erfahrungen mit Parasitenbefall sammeln mussten, kommt dieser heutzutage viel seltener vor. Wir machen heute eher im Rahmen von Allergien Bekanntschaft mit durch IgE-Antikörper provoziertem Histamin, zum Beispiel bei Heuschnupfen oder einer Tierhaarallergie. Die allergischen Symptome sind jedoch die gleichen wie bei einem Parasitenbefall:
• Rötung
• Schwellung
• Juckreiz
• Schmerz
• Husten
• Durchfall
Ein Beispiel: Eine Wespe hat dich in den Fuß gestochen und ihr Gift in deine Haut injiziert. Gefahr für den Körper! Gut, dass in der Nähe der Einstichstelle Mastzellen sitzen, die aufgrund des physikalischen Reizes (die Verletzung) ihre Schleusen öffnen und ihre Gewebshormone (Botenstoffe) ausschütten. Eine der wichtigsten ist hierbei Histamin. Es ist sozusagen die Vorhut der Immunzellen und weist den Fresszellen den Weg, indem es die kleinen arteriellen Gefäße rund um die Einstichstelle weit stellt, damit die Immunzellen schnell an den Tatort gelangen.
Wenn eine Allergie besteht, dann werden durch den Wespenstich zusätzlich auch IgE-Antikörper mobilisiert, die die Mastzellenreaktion noch anstacheln. (Der Mastzelle ist es egal, warum die IgE-Antikörper andocken, sie fahren immer dasselbe Programm auf und schütten ihre Botenstoffe aus.) Die körperliche Reaktion fällt durch die deutlich vermehrte Ausschüttung von Histamin und anderen Mediatoren nun erheblich stärker aus. Diese fluten durch den ganzen Körper. Statt nur einer Schwellung, Rötung und möglicherweise Juckreiz, können damit auch Reaktionen weit entfernt vom Fuß auftreten: Schwellung der Schleimhäute in Mund und Rachen, Herzrasen, und im schlimmsten Fall droht sogar ein Kreislaufversagen.
Anaphylaxie
Wenn eine Allergie gegen einen Stoff, zum Beispiel gegen Wespengift, besteht, werden IgE-Antikörper zu Brandbeschleunigern, denn sie setzen sich auf die Rezeptoren der Mastzellen und der basophilen Granulozyten und zwingen diese so, Histamin und andere Mediatoren unaufhörlich auszuschütten. Infolgedessen kommen zur lokalen Reaktion weitere Symptome an anderen Organen, die Bronchien reagieren mit Atemnot, das Herz mit hohem Puls, die Schleimhäute mit Schwellungen im Hals und im Gesicht, das Kreislaufsystem mit Blutdruckabfall und starkem Schwitzen und so weiter. Eine solche Reaktion nennt man anaphylaktischer Schock, sie ist lebensbedrohlich und muss sofort ärztlich mit entsprechenden Notfallmedikamenten behandelt werden.
Eine Mastzellaktivierung mit IgE-Beteiligung ist also entweder eine Allergie oder eine Parasitose. Der Arzt findet in diesen Fällen bei einer Blutuntersuchung häufig erhöhte IgE-Werte. Dann sollte immer eine weitere Abklärung erfolgen und nicht sofort nur an eine Allergie gedacht werden, weil diese so häufig sind. Wenn keine Hinweise auf eine Allergie vorliegen, sollte in jedem Fall eine gründliche Parasitendiagnostik erfolgen. Zudem schließt ein niedriger IgE-Spiegel nicht grundsätzlich eine Allergie oder Parasitose aus. Gerade Nahrungs- und Kontaktallergien zeigen sich häufig nur durch Untersuchung sogenannter „spezifischer IgE“ in Kombination mit einem Pricktest der Haut. Du siehst: Nur eine gründliche, detektivisch genaue Diagnostik führt in vielen Fällung zur Klärung einer IgE-bedingten Mastzellaktivierung. Leider scheitert eine effektive Therapie schon genau an diesem Punkt. Wer chronisch an Allergien oder Parasitosen leidet, hat permanent einen erhöhten Histaminspiegel.
Die systemischen Mastzellaktivierungserkrankungen (MCAD)
«Fast alle Patienten haben bereits stapelweise Untersuchungsbefunde. Und praktisch alle wurden auch schon zum Psychiater geschickt.«
– Professor Dr. Gerhard J. Molderings, Universität Bonn –
Wenn die Mastzellen ohne eine IgE-Beteiligung reagieren, sprechen wir von einer Pseudoallergie. Diese erkennt man an niedrigen IgE-Werten bei einer Laboruntersuchung und an einem negativen Pricktest. Eine Pseudoallergie, die den gesamten Organismus betrifft, heißt Mastzellaktivierungserkrankung.
Systemische Mastzellerkrankungen (Mast Cell Activation Disease) spielen in den differentialdiagnostischen Überlegungen der meisten Therapeuten, Ärzte sowie Heilpraktiker leider immer noch keine Rolle. Wissenschaftler schätzen, dass bis zu 17 Prozent der deutschen Bevölkerung im Laufe ihres Lebens an einer systemischen Mastzellerkrankung leidet. Wir beschäftigen uns hier mit den beiden häufigsten MCAD-Formen, mit den Mastozytosen und dem systemischen Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS).
Mastozytosen
Die Mastozytosen sind eine Gruppe von Erkrankungen, bei denen sich die Mastzellen unkontrolliert vermehren, atypische Formen annehmen und auch oft in ihrer Aktivität erhöht sind. Bei 80 Prozent der Betroffenen lässt sich eine Punktmutation im c-KIT-Gen nachweisen. Dies hat eine erhöhte Aktivität und einen verzögerten natürlichen Zelltod von Mastzellen zur Folge sowie eine ständige oder schubweise nicht zielgerichtete Freisetzung von Mastzellmediatoren, auch Histamin, zur Folge. Die Mastozytosen werden mit einer Krankheitshäufigkeit von 1 zu 300.000 beschrieben und zählen damit zu den seltenen Erkrankungen.
Am häufigsten sind die kutanen Mastozytosen (Urticaria pigmentosa), die im Kindesalter auftreten und auch spontan ausheilen können. Hierbei treten in der Regel schubförmig typische Hautveränderungen mit erhabenen rötlichen, oft zusammenlaufenden Flecken, Juckreiz und Quaddelbildung auf.
Daneben gibt es auch die systemische Mastozytose, bei denen sich in Gewebe- und Organzellen, wie Leber und Milz, Mastzellen vermehren und es dadurch zu einem Anstieg von Histamin und anderen Mediatoren kommt. Es gibt noch zahlreiche Unter- und Sonderformen, auf die wir hier aber nicht näher eingehen können.
Die Symptome der systemischen Mastozytose sind sehr vielfältig und können auch in ihrem Erscheinungsbild und ihrer Ausprägung stark variieren, was diese Erkrankung so schwer abgrenzen lässt:
• Quaddelbildung auf der Haut
• starke Allergien mit Anaphylaxie, typischerweise auch Wespenallergie
• Magen- und Darmbeschwerden
• Knochen- und Muskelschmerzen
• Erschöpfung und Abgeschlagenheit
Im Jahr 2000 hat die WHO die Mastozytosen in den ICD-10 Katalog, die internationale statistische Klassifikation von Krankheiten und dazugehörigen Beschwerden, (Englisch: International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) aufgenommen und somit als Krankheit offiziell anerkannt. Zur Sicherung der Diagnose sind Gentests und Biopsien von Organen sowie vom Knochenmark erforderlich. Diese werden von spezialisierten Zentren, wie zum Beispiel an der Universität Leipzig oder an der Charité in Berlin, vorgenommen. Die WHO-Kriterien für die systemische Mastozytose werden in Haupt- und Nebenkriterien eingeteilt. Für die Diagnose einer systemischen Mastozytose müssen entweder das Hauptkriterium und mindestens ein Nebenkriterium oder mindestens drei der Nebenkriterien erfüllt sein.
Hauptkriterium:
• der Nachweis