Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig Bechstein
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werde. Da ging Werner von Stauffacher gen Uri
zu einem Freund, der hieß Walther Fürst, und bei dem
fand er Arnold im Melchtal, der sich noch flüchtig
hielt, und da ratschlagten die drei miteinander und
wurden eins, daß sie noch andere treue und vertraute
Männer aufsuchen und mit ihnen einen Bund gegen
den Druck der Vögte schließen wollten. Das gelang
ihnen trefflich, und ward ein großer heimlicher Bund,
zu dem traten auch viele von ritterlichem Geschlecht,
denn die Vögte waren auch ihnen aufsässig, nannten
sie Bauernadel und adelige Kuhmelker. Darauf erkieseten
die Männer des Bundes zwölf aus ihrer Mitte
als ihren Vorstand, die kamen zusammen und tagten
in ihren Sachen auf einer Matte, die man nennt im
Gryttli, an dem Vierwaldstätter See, wie es nun werden
sollte. Da rieten die von Unterwalden, man solle
noch verziehen und zuwarten, weil es schwer wäre, in
aller Schnelle die festen Plätze wie Sarnen und Roßberg
zu gewinnen, und wolle man sie belagern, so gewinne
der Kaiser Zeit, ein Heer zu senden, das sie allzumal
aufreiben werde. Man solle lieber die Schlösser
mit List gewinnen, niemand töten, der sich nicht bewaffnet
widersetze, allen übrigen freien Abzug gewähren
und dann die Festen bis auf den Boden schlei-
fen. Als die Männer so tagten und den großen Bund
beschwuren, da entsprangen der Matte heilige Quellen.
Mittlerweile geschah es, daß ein Mann aus Uri,
Wilhelm Tell geheißen, etliche Male achtlos an
Grißlers Hut vorübergeht und ihm keine Reverenz
macht. Kaum ward das angezeigt, so beschickte ihn
der Vogt, Tell aber sprach: Ich bin ein Bursmann und
vermeint' nit, daß so viel an dem Hut lieg, hab' auch
nit sonder acht darauf gehabt. – Da ergrimmte der
Vogt, schickte nach des Tellen allerliebstem Kind und
sagte: Du bist ja ein Schütz und trägst Geschoß und
Gewaffen mit dir herum, jetzt schieße diesem deinem
Kind einen Apfel vom Kopf. – Dem Tell erschrak das
Herz, und er sprach: Ich schieße nicht, nehmt mein
Leben. – Du schießest, Tell! schrie der Landvogt,
oder ich lasse dein Kind vor deinen Augen und dich
hinterdrein niederstoßen. Da betete der Tell innerlich
zu Gott, daß er seine Hand führe und des liebsten
Kindes Haupt schirme. Und der Knabe stand still und
ruhig und zuckte nicht, und Tell schoß und traf den
Apfel. Da jauchzte das Volk laut auf und umjubelte
den Tell, den meisterlichen Schützen, das verdroß erst
recht den Grißler, und er schrie den Tell an, der noch
einen Pfeil im Koller hatte: Du hast noch einen Pfeil,
Tell, sag an, was hättst du getan, wenn du dein Kind
getroffen? – Tell antwortete: Das ist so Schützen-
brauch, Herr. – Nein, das ist eine Ausrede, Tell! antwortete
der Landvogt. Sag es frei, ich sichere dich
deines Lebens. – Wenn Ihr denn es wissen müßt,
sprach Tell, und meines Lebens mich versichert, so
höret denn, traf ich mein Kind, so hätte dieser Pfeil
Euer wahrlich nicht fehlen sollen. – Ha, du Schalk
und Erzbösewicht! schrie der Landvogt, das Leben
hab' ich dir versichert, aber nicht die Freiheit. Ich will
dich an einen Ort bringen, wo weder Sonne noch
Mond dich bescheinen soll! – Hieß alsobald seinen
Knechten, den Tell zu binden und ihn in sein Schiff
bringen, darin er über den Urner- und den Vierwaldstätter
See fahren wollte, und von Weggis nach
Küßnacht reiten. Da schuf Gott der Herr einen Sturmwind
und ein schrecklich Ungewitter, daß das Wasser
ins Schiff schlug, da sagten die Schiffsleute dem
Landvogt, daß der Tell der beste Schiffslenker sei, der
allein könne sie noch aus der Todesgefahr retten. Darauf
ließ der Landvogt den Tell losbinden, der ruderte
flugs mit starken Armen und brachte das Schifflein
nach dem rechten Ufer, wo das Schwyzer Gelände
sich hinabsenkt, da war ein Vorsprung mit einer Felsenplatte,
auf diese sprang plötzlich der Tell mit seinem
Geschoß und Pfeil, das er rasch ergriff, stieß mit
Gewalt das Schifflein von sich und ließ es durch die
Wellen treiben. Des erschraken der Landvogt und
seine Leute mächtig, Tell aber entfloh eilend auf Pfa-
den, die ihm wohlbekannt waren. Als die im Schiff
bei Laupen kamen, legte sich der Sturm, Grißler ließ
aber dennoch bei Brunnen anlegen, denn er fürchtete
sich nun vor dem Ungestüm der Seen. Tell wandelte
auf Bergpfaden hoch über den Seetälern und sah,