Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig Bechstein
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Rätiens und Helvetiens, Sankt Gallus und seine
Gefährten Mangold und Siegbert, ersterer der Sohn
eines Königs in Schottland, mit dem heiligen Columban
an den Bodensee, zerstörten die Götzenbilder und
brachen das Heidentum. Sie wohnten als fromme Einsiedler
in Hütten, heilten Kranke und predigten das
Evangelium. Ein alemannischer Herzog, Gunzo,
wohnte in Überlingen, damals Iburinga genannt, dem
war die Tochter schwer erkrankt; der heilige Gallus
heilte sie, und dafür schenkte ihm und seinen Gefährten
Gunzo ein großes Waldgebirge zum Eigentum, in
welchem sie sich nun besser anbauten. Aus diesem ersten
Anbaue ist die hernachmals so berühmte und
herrliche Abtei Sankt Gallen geworden, welche einer
Stadt und einem ganzen Lande den Namen gegeben.
Aber St. Gallus blieb, als er noch im irdischen Leben
wandelte, nicht beständig in seiner Einsiedelei, er
stieg, als die Abtei St. Gallen schon begründet war,
der Sitter entlang höher empor und erbaute sich an geeignetem
Ort eine neue Zelle, das Hirtenvolk zu bekehren.
Diese nannte das Volk des Abten Zelle, daraus
ist der Name Appenzell entstanden. Das Hirtenvolk
nahm auch willig das Christentum an, als aber
später die mächtige Abtei dasselbe in seiner Freiheit
bedrohte, erhob es sich zum Kampfe. Der Abt von St.
Gallen suchte Hülfe bei Österreich, da saß aber droben
auf der festen Burg Werdenberg ein edler Grafensohn,
Rudolf von Werdenberg, der hielt zu den Hirten
des Appenzeller Gebietes und führte sie zum Kampfe
gegen St. Gallen. Am Stoß geschah eine heftige
Schlacht, lange schwankte der Sieg, plötzlich kam
über den Berg herüber eine großmächtige Schar
Kriegsvolk den Hirten zu Hülfe – als die Feinde der
Appenzeller diese erblickten, flohen sie eilend vom
Schlachtfeld. Es waren aber die Hülfsvölker, die sich
gezeigt und durch ihren Anblick von weitem den
Feind hinweggeschreckt, keineswegs Kriegsmänner,
sondern der Hirten Weiber und Töchter in männlicher
Tracht gewesen. Seitdem blieb das Ländlein Appenzell
mitten im St. Galler Lande ein eigenfreies und regierte
sich selbst.
4. Die St. Galler Mönche erbeten Wein
In der stattlichen Abtei St. Gallen war große Sorge
um den lieben Wein. Es war eben ein durstiges Jahr
gewesen und lange Jahre nichts Erkleckliches nachgewachsen;
nur noch zween Ohmfässer lagerten voll in
dem großen Abteikeller, die reichten voraussichtlich
nicht mehr weit, und dann wäre den frommen Vätern
eine weinlose, schier schreckliche Zeit gekommen. Da
wendete Gott das Herz eines frommen und heiligen
Mannes, des Bischof Adalrich in der alten Stadt
Augsburg, daß er den nicht weniger frommen Vätern
zu St. Gallen ein ganzes Stückfaß voll Wein in ihre
Abtei verehrte. Da kam aber die Nachricht nach St.
Gallen, das Faß sei unterwegs im Rhein ertrunken,
der Fuhrmann habe auf der steilen Brücke über den
Fluß in der Nähe des Bodensees die Pferde allzuhart
angetrieben, da sei die Achse gebrochen und das Faß
hinab in den Strudel gestürzt. Das war ein Schrecken!
Ohne Säumen berief der Abt den Konvent, und bald
wallte eine lange Prozession mit Kreuz und Kirchenfahnen
und Heiligenbildern von St. Gallen herab,
sang und betete und kniete am Strudel, und die Küper
des Klosters suchten mit Stricken das Faß zu fahen,
das glücklicherweise noch unversehrt war und im
Strudel tanzte. Wäre der Strudel nicht gewesen, so
wäre das Stückfaß längst in den Bodensee geflossen,
und ward allda ersichtlich, wozu manchmal ein Strudel
gut ist. Nach mancher Mühe gelang es unter
Gebet und Fürbitte der lieben Gottesheiligen, das
Stückfaß an den Strand zu ziehen, und nun wurde es
bekränzt und im Triumphe nach der Abtei geführt,
allwo ein Dankfest mit einem Te Deum laudamus
und vielen Trankopfern gefeiert ward.
Solches ist wahr und wahrhaftig geschehen, aber
»das Märlein gar schnurrig« vom Abt von St. Gallen
und dem Kaiser mit den drei Fragen hat sich mitnichten
alldort begeben, sondern mit einem Abt von Kentelbury
in Altengland, und ward nur durch Dichtermund
auf deutschen Boden verpflanzt.
5. Dagoberts Zeichen
Es war ein König im Frankenreiche, Dagobert, ein
Sohn Chlotars und Herr über Austrasien. Von dessen
Taten leben noch in Sagen viele Kunden. Er führte