Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig Bechstein

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Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen - Ludwig Bechstein

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weit von der Burg hinweg in eine unwegsame Wildnis.

       Dort erbaute sie sich eine Hütte von Gezweig und

       lebte als Einsiedlerin nur dem Gebet und der Andacht.

       Wasser war ihr Getränk, Waldbeeren und Wurzeln

       waren ihre Nahrung. Bald darauf sagte ein Diener

       dem Grafen von seines Mitgesellen Ringfund im Rabennest,

       und nun lastete seine Tat schwer auf des

       Grafen Seele. Einstmals verirrte sich unversehens ein

       Jäger des Grafen in diese Waldeinöde und fand die

       Einsame. Schnell trug er diese Kunde zu seinem

       Herrn, der längst jene übereilte Tat eines doppelten

       Mords ohne Verhör und Richterspruch bereute, und

       der Graf eilte zu der Einsiedlerin, wollte sie wieder

       hinauf in sein Schloß führen und erflehte ihre Vergebung.

       Aber Ida ließ sich nimmer bewegen. Der Graf

       von Toggenburg nahm das Kreuz, entbot seine

       Dienstmannen rings im Schweizerlande und zog mit

       ihnen, zur Büßung und Entsühnung seiner Tat, nach

       dem Heiligen Lande, dort gegen die Ungläubigen zu

       fechten. Dort kämpfte er mit in großen Schlachten und

       machte seinen Namen gefürchtet – aber es zog ihn die

       mächtige Sehnsucht im Busen immer wieder nach der

       Heimat zurück; immer noch hoffte er, Ida werde sich

       wieder mit ihm einigen, denn nie hatte er sie mehr geliebt,

       als seit er sie wiedergefunden. Und nach einem

       Jahre schiffte er wieder der Heimat zu. Aber da er

       nach Ida fragte, ward ihm die Kunde, daß sie im Kloster

       Fischingen den Schleier genommen und dort lebe,

       still und heilig. Da tat der Graf sich allen ritterlichen

       Geschmuckes ab, hing Wehr und Waffen in seine Kapelle

       und pilgerte hinab gen Fischingen als armer Einsiedler,

       erkor sich einen Platz in der Nähe des Klosters,

       darin lebte, büßte und betete der Graf, bis er

       starb.

       10. Der Pilatus und die Herdmanndli

       In der ganzen Schweiz, im Berner und Luzerner Land,

       im Haslital und fast allenthalben gehen Sagen von

       Zwergen und Berggeistern, die sich vielfach ähnlich

       sind. Absonderlich viel Redens ist von dem hohen

       Berge Pilatus und den Zwergen, die sonst in seinem

       Geklüft wohnen, die heißen Herdmanndli. Der Pilatus,

       das ist der rechte und wahre Broch- oder

       Brockenberg der Schweiz, auf welsch Fraxmont

       (mons fractus) geheißen, auf lateinisch aber mons pileatus,

       Hutberg, weil im Land die bekannte Rede

       geht:

       Hat der Pilatus einen Hut,

       So steht im Land das Wetter gut.

       Aber es geht die Sage, daß nach Christi unseres Herrn

       Leiden, Tod und Auferstehung der römische Landpfleger

       Pilatus in dieses Land gezogen sei, oder gar,

       daß der Satan seinen Leichnam hergetragen, und da

       habe er am Berge den ungeheuerlichen See gefunden,

       der hat weder Zu- noch Abfluß und ist wegen der unergründlichen

       Tiefe schwarz und gräßlich anzusehen,

       ein unheimlicher Moorgrund. Lange hat die Sage gelebt,

       daß, wer etwas in den See werfe, alsbald ein heftiges

       Unwetter mit Hagel und Wolkenbrüchen errege,

       wie auch das Gewässer den Krienser Boden und Luzern,

       die Stadt, in den Jahren 1332 und 1475 in große

       Not gebracht, darum hat man Fremde nicht gern hinzugelassen,

       und das Hineinwerfen von Steinen oder

       Holz bei Leib- und Lebensstrafe verboten. In diesen

       See habe sich der römische Landpfleger gestürzt, weil

       sein Gewissen ihn fort und fort gepeinigt, andere

       sagen, der Teufel habe ihn hineingesteckt. Die

       Herdmanndli, die wohnten vielfach in der Pilatushöhle,

       die hoch oben liegt, tief und schaurig. Sie waren

       den Menschen gar gut und hülfreich, gar »gespäßige

       Lüet«, wie die Hirten sagen, sie verrichteten nachts

       der Menschen Arbeit; kamen vom Berg auch herunter

       in die Täler, schafften und ackerten redlich, und ein

       Herdmanndli konnte mehr verrichten als zehn Meister

       mit allen Knechten. Aber sehen ließen sich die

       Manndli wunderselten, und auch da hatten sie lange

       graue Kutten an, die bis auf die Erde reichten, daß

       man nimmer ihre Füße sah. Einem Hirten begegnete

       es, daß er einen reichtragenden Kirschbaum oben am

       Berge hatte, dem pflückten die geschäftigen Zwerglein

       die Kirschen ab und brachten sie zum Trocknen

       auf die Hürden, daß hernach gutes Kirschwasser gebrannt

       werden konnte, der Hirt ward aber neugierig,

       zumal mocht' er gern die Füße der Herdmanndli

       sehen, war her und streute Asche rings um den Baum,

       als die Früchte im nächsten Jahre wieder reiften. Die

      

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