Beschuldigt. Rita Renate Schönig

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Beschuldigt - Rita Renate Schönig страница 3

Beschuldigt - Rita Renate Schönig Seligenstädter Krimi

Скачать книгу

der meckert

      Matzelauge – verklebte Augen

      Oigeplackte – Hinzugezogene

      zobbele – zupfen, ziehen

      Freitag – 06. September 2019 / 09:50 Uhr

      Seit Frank Lehmann wusste, dass er nicht mehr allzu lange zu leben hatte, stellten sich immer häufiger Erinnerungen an seine Heimatstadt ein und er beschloss: Bevor ich endgültig den Löffel abgebe, will ich noch mal durch die schöne Altstadt und am Main entlang gehen, mir die hübschen Fachwerkhäuser ansehen – vor allem aber meine Schule.

      Jetzt, als er vor dem Gebäude stand, musste er mit Bedauern feststellen, dass die Schule offenbar sein eigenes Schicksal teilte. Es war fast schon zum Lachen, wäre es nicht so traurig. Beide waren sie nur noch eine leere Hülle – ausgemustert. Gedankenverloren ging er zur Mauer, von der aus man einen wunderschönen Blick auf den Main hatte, und strich mit einer Hand über den rauen Sandstein.

      Gerade legte die Fähre an, eine für Seligenstadt nicht wegzudenkende und schon fast historische Institution. Fröhlich schwatzende Menschen, mit und ohne Fahrräder, sowie einige Autos, verließen die schwimmende Querung zwischen dem Freistaat Bayern und Hessen. Manche steuerten direkt auf das nur wenige Schritte entfernte Eiscafé zu. Andere strömten durch die Kleine Maingasse in Richtung Innenstadt und die Fahrradfahrer traten kräftig in die Pedale, um die kurze Steigung der Großen Maingasse zu meistern, während die Autos an ihnen vorbei rollten.

      Die nächsten Stunden verbrachte Frank damit, alle Ecken der Stadt aufzusuchen, die ihm vertraut waren. In „Kloa Frankreich“ – einem idyllischen Bezirk in der Altstadt und von den Einheimischen noch immer so genannt, weil Abt Leonhard Colchon im 17. Jahrhundert, nach dem 30-jährigen Krieg, einige Franzosen dort angesiedelt hatte – setzte er sich auf die Bank unter der alten Linde und spielte auf seinem Akkordeon. Früher hatte er auch gesungen. Er hatte eine schöne Stimme. Jetzt aber blieb ihm nach nur wenigen Worten die Luft aus.

      Dieser verdammte Krebs. Er machte ihn gleichermaßen wütend und traurig. Vor allem, weil es für eine Therapie zu spät wäre, wie der Arzt erklärte und fast schon vorwurfsvoll nachsetzte, dass er, wäre er früher gekommen, man vielleicht noch etwas hätte tun können.

      Frank musste sich eingestehen, dass ihm das Atmen in letzter Zeit immer schwerer gefallen war. Besonders, wenn er die Treppen des Museums der >Neuen Schatzkammer Haus Papst Benedikt XVI< hochrannte. Der folgende fast regelmäßige Hustenanfall kostete ihn noch mehr an Kraft. Trotzdem traf ihn die Diagnose „Lungenkrebs im fortgeschrittenen Stadium“ heftig. Dabei hatte er nur in den Siebzigern geraucht, auch mal einen Joint – wie viele aus seiner Generation – es aber aufgegeben, als seine Ex-Frau schwanger geworden war.

       Einige der alteingesessenen Bewohner von Seligenstadt, diejenigen, die ihn noch als Lehrer in Erinnerung hatten, würden bestimmt sagen, dass das Schicksal ihn eingeholt hatte und er nun seine gerechte Strafe erhalten würde. Wobei er sich nichts hatte zuschulden kommen lassen.

      Lea, eine dreizehnjährige Schülerin hatte ihn der sexuellen Belästigung bezichtigt. Dass es genau umgekehrt war, wussten nur Lea und er. Wegen ihrer schlechten Noten speziell in Geschichte bat sie um ein persönliches Gespräch. Selbstverständlich kam er der Bitte nach, schließlich war er doch auch Vertrauenslehrer.

      Kaum alleine im Klassenraum, kam sie dicht an ihn heran und knöpfte ihre Bluse auf. Als plötzlich eine andere Schülerin zur Tür hereinkam, schrie Lea und schlug wie eine Wilde auf ihn ein und das Schicksal nahm seinen Lauf. Dass er nichts getan hatte, für das er sich schämen oder gar verantworten müsste, interessierte damals niemanden. Im Nachhinein war ihm jedoch klar: Er hätte es besser wissen müssen. Lea Albrecht hatte es nicht so mit der Moral. Des Öfteren wurde sie mit älteren Schülern im Heizungskeller erwischt, woraufhin ihre Eltern einbestellt worden waren, sich aber nicht nennenswert darüber aufregten. Zum Glück für Frank Lehmann und aufgrund nicht eindeutiger Beweise kam es zu keiner Anklage. Die Angelegenheit wurde intern geregelt und die kurzfristige Suspendierung zurückgenommen. Dennoch stachen die Blicke, denen er in der Stadt ausgesetzt war, wie Nadeln in seinen Rücken.

      Letztendlich war es aber das einsetzende Misstrauen seiner Frau Marion und deren Auszug mit ihrer zweijährigen Tochter Nele aus dem gerade neu erbauten Haus, das ihn veranlasste, aus seiner Heimatstadt wegzugehen. Nicht einmal die Tür hatte er abgeschlossen, als er am Abend des 6. August 1990 in die Regionalbahn stieg. Warum auch? Er hatte nicht vor, jemals wiederzukommen. Und trotzdem war er jetzt wieder hier.

chapter6Image1.jpeg

      Sehr zur Enttäuschung seiner jungen Zuhörer hörte er auf zu spielen. Zuerst noch scheu, dann mutiger, hatten sich vier oder fünf Kinder neben ihn auf die Bank und auf das niedrige Mäuerchen gesetzt, welches das kleine Areal zum Teil eingrenzte.

      Er schnallte sich sein Musikinstrument auf den Rücken und lief durch enge Altstadtgässchen zum Marktplatz. Anstatt der hier früher parkenden Autos hatten die ringsum ansässigen Gasthäuser den Platz mit ihrer jeweiligen Bestuhlung eingenommen. Der Geruch nach Schnitzel, Pommes und anderen schmackhaften Speisen lag in der Luft. Frank verspürte Hunger.

      Er hatte sein gesamtes Bargeld, das er in einem Safe seiner Hausbank aufbewahrte, mitgenommen und zusätzlich sein Girokonto geplündert. Wenn er sparsam wirtschaftete, sollte es bis Ende des Jahres reichen – falls er überhaupt so lange leben würde. Sein Sparbuch, sowie die Wertpapiere und Anleihen hatte er zur Hälfte Franziska überlassen – sozusagen als Zeichen der Abbitte für sein Verschwinden – und dies in seinem kurzen Abschiedsbrief, in dem er ihr ebenfalls von seiner unheilbaren Erkrankung berichtete, bekundet. Den anderen Teil sollte seine Tochter Lea erhalten, sobald er selbst nicht mehr unter den Lebenden weilte. So hatte er es festgelegt und seinen Anwalt entsprechend instruiert.

      Sein Blick blieb an der Gaststätte hängen, in die er schon früher gerne eingekehrt war. Am Essen jedenfalls würde er keinesfalls sparen. Schließlich konnte jede Mahlzeit seine Letzte sein – sozusagen seine Henkersmahlzeit.

      Am Rande der Außenbestuhlung war ein Tisch frei. Darauf steuerte er zu und platzierte sein Akkordeon neben sich auf den Stuhl. Auf der Speisekarte standen noch immer deftige Gerichte, nur die Wirtsleute hatten einen jugoslawischen Namen. Ach nein – Jugoslawien gab es ja auch nicht mehr. Er bestellte ein Schnitzel mit Pommes, einen großen Salat und ein Radler.

      Während er auf sein Essen wartete, fiel ihm auf, dass sich viele Touristen in der Stadt tummelten, eindeutig zu erkennen an den stets in die Umgebung gerichteten Handys. Zudem folgten die Augen einer Gruppe Leute dem ausgestreckten Arm – vermutlich einer Stadtführerin – die zum Erker des „Einhardhaus“ zeigte. Über dessen Fenster schaute der geschnitzte Kopf des legendären Eginhard herab, der Berater und Freund Kaiser Karls aus dem Geschlecht der Merowinger.Wegen seiner imposanten Erscheinung und der eigenen 7-Fuß-Größe, dem heutigen Maß von 1,92 Meter wurde er auch Karl der Große genannt.

      Frank Lehmann erinnerte sich an die Geschichtsstunden, in denen er den Zweitklässlern die Fabel erzählte, wie Seligenstadt angeblich seine Namensgebung erhielt und sie gebannt an seinen Lippen hingen. Besonders gefallen hatte den Kindern, dass Emma, die Tochter Kaiser Karls mit Eginhard durchgebrannt war und der mächtige Kaiser nach den beiden suchte. Gefunden und letztlich verraten hätte sie der Duft von Emmas einzigartigen Pfannkuchen. Der Kaiser soll ausgerufen haben:

       Selig sei die Statt genannt, in der ich meine Tochter Emma wiederfand.

      Zum

Скачать книгу