Beschuldigt. Rita Renate Schönig

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Beschuldigt - Rita Renate Schönig Seligenstädter Krimi

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      Beim Klang der Kirchenglocke schreckte Frank zusammen. Reflexartig zuckte seine Hand nach rechts, wo er sein Akkordeon abgestellt hatte, und atmete erleichtert auf. Das Instrument lag neben ihm. Er musste wohl auf der >Bambelbank<, wie eine angebrachte Plakette die erhöhte Sitzgelegenheit bezeichnete, eingeschlafen sein. Vor einigen Stunden hatte er sich der auf den ersten Blick unbequem aussehenden Bank nahe dem Spielplatz genähert. Schnell stellte er aber fest, dass es sich gut darauf sitzen ließ, obwohl oder gerade, weil die Füße den Boden nicht erreichten und deshalb baumelten. Die anhaltenden Schläge der Kirchenglocke verkündeten, es war 6 Uhr abends und er brauchte eine Unterkunft für die Nacht – und dringend eine Dusche.

      Noch immer schien die Sonne aus einem fast wolkenlosen Himmel mit schätzungsweise um 20 Grad Temperatur. Aber laut Wetterbericht würde es schon bald abkühlen und für die nächsten Tage war Regen angesagt. Frank besann sich des Schildes im Fenster eines Fachwerkhauses in der Altstadt, das Ferienzimmer anbot. Sollte er da sein Glück versuchen, oder doch lieber die unpersönliche Umgebung eines Hotels bevorzugen? Mit Sicherheit würde man dort weniger Fragen bezüglich seines Aufenthaltes stellen – wenn überhaupt. Aber was machte es schon? Er brauchte ja nicht zu antworten. Dennoch entschied er sich für die Ferienwohnung; schließlich wollte er den Rest seines Lebens in dieser Stadt verbringen. Da wäre eine kleine Wohnung besser als ein 12-Quadratmeter-Hotelzimmer.

      Als er den Platz vor der Schule überquerte, fiel ihm ein Mädchen mit einem roten Kapuzenshirt auf, das sich am >Mainbau<, dem 1905 südöstlich zum Main hin angebauten Trakt, herumtrieb und kurz darauf verschwunden war. Neugierig ging er in die Richtung. Doch von der Jugendlichen fehlte jede Spur. Auch in dem Höfchen neben dem Gebäude, dessen Eisentür mit einem Vorhängeschloss gesichert war, konnte er niemanden entdecken.

      Schon zu seiner Zeit an der Schule hatte die Absperrung den Zweck, dass sich kein Kind, während der Pausen dort aufhalten sollte und somit der Aufsicht des Lehrpersonals entging. Dennoch war es, vor allem für die älteren Jahrgänge eine Verlockung gewesen, auf der Brüstung balancierend das Gittertürchen zu umgehen, um in den Hofbereich dahinter zu klettern. Mittlerweile hatte man, wie Frank feststellte, auf der Mauer ein nach innen gebogenes Eisengeländer angebracht, das den Zugang aber nicht wirklich unmöglich machte.

      Jetzt hörte er leise gemurmelte Wortfetzen, die aus dem Gebäude zu ihm drangen. War die Schule doch nicht so verlassen, wie es ihm erzählt worden war? Wurden einzelne Räume vielleicht noch immer genutzt? Vermutlich. Was sonst sollten die Teenies außerhalb der normalen Schulstunden dort zu suchen haben? Frank drehte am Türknauf. Ohne ein Geräusch zu verursachen, ließ sich die Tür öffnen. Einen Moment stand er still und lauschte. Nichts! Sein Akkordeon legte er in die Ecke neben dem Eingang und sah durch das Treppenhaus nach oben. Dann setzte er seinen Fuß auf die erste Stufe. Noch immer der gleiche PVC-Belag wie damals. Langsam ging er weiter. Dabei glitten seine Hände auf dem hölzernen Handlauf entlang, der über dem schmiedeeisernen Geländer angebracht war. Die Erinnerungen flammten auf wie heiße Feuerzungen. Er meinte das helle Lachen und das Geschrei der Kinder zu hören und vernahm sogar die schrägen Töne von Flöten sowie eines Bogens, der die Darmsaiten des Geigenkorpus malträtierte. Dann das Aufschlagen des Stocks auf dem Lehrertisch, der eine Unterbrechung und einen Neustart forderte.

      Ohne Übergang mischten sich Schüsse, krachendes Getöse und Zischen zwischen die musischen Klänge. Es hörte sich wie eines dieser merkwürdigen Ballerspiele an, die Jugendliche oftmals bevorzugen, um sich in eine Parallelwelt zu flüchten. Ja, natürlich – die Teenies! Er selbst betreute als ehrenamtlicher Mitarbeiter an drei Tagen in der Woche Kinder und Heranwachsende im Jugendtreff in Altötting. Hatte, korrigierte er sich. Über sein Verschwinden waren die Kids bestimmt nicht amused. Innerhalb der Jahre hatte sich ein Vertrauen zwischen ihnen aufgebaut. Mit ihm besprachen sie, was sie ihren Eltern verschwiegen. Das war jetzt vorbei.

      Für einen kurzen Moment legte sich der Schatten des schlechten Gewissens über Frank. Ebenfalls, wenn er an Sebastian und Maximilian dachte, seine besten und einzigen Freunde. Sie kannten sich seit seiner Ankunft in Altötting. Sebastian hatte ihm den Job im Museum, der neuen >Schatzkammer Haus Papst Benedikt XVI< verschafft und ihn seinem Kumpel Maximilian vorgestellt, mit dem zusammen er bei Hochzeiten und ähnlichen Veranstaltungen im Duo auftrat. Nachdem Frank andeutete, dass er Akkordeon, Geige und so manch anderes Musikinstrument leidlich spielen könne, war aus der Zweiergruppe ein Trio geworden.

      Wie werden die beiden reagieren, wenn sie den Brief am Montagmorgen finden, den er unter Sebastians Bürotür geschoben hatte? Wären sie sauer auf ihn? Geschockt? Oder würden sie versuchen, ihn zu finden?

      Franziska hatte er ebenfalls in nur wenigen Zeilen gebeten, nicht nach ihm zu suchen. Ob sie sich daran halten würde? Er hoffte es zumindest. Er wollte kein Mitleid, von keinem der drei. Deshalb hatte er sich still und heimlich vom Acker gemacht. Nur eins erhoffte er sich, bevor er den Löffel abgeben musste: Er wünschte sich, mit seiner geschiedenen Frau Marion zu reden und seine Tochter Nele sehen zu dürfen. Für sie beide war neben seinen Aktien ein Teil des Geldes gedacht, das in der Tasche im Kofferraum seines Wagens lag und das er persönlich überreichen wollte. Keine Wiedergutmachung. Er war nicht so naiv zu glauben, dass eine gewisse Summe genügte, die Jahre seiner Abwesenheit wettmachen zu können. Er wollte nur … ja was eigentlich, fragte er sich jetzt, vor einem Fenster im ersten Stock stehend und auf die Große Maingasse hinausschauend.

      Eine weitere Detonation aus dem Obergeschoss katapultierte ihn im wahrsten Sinne des Wortes in die Wirklichkeit zurück und er setzte seinen Weg fort.

      „Hallo!“, rief er in den Raum, in dem das Mädchen mit der roten Kapuzenjacke und ein Junge auf einer Art Couch oder über was auch immer die orangefarbige Decke ausgebreitet war, lümmelten. Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, hackten sie angespannt auf die Tastatur ihrer Laptops ein. Ansonsten stand hier nur noch ein Tisch, auf dem Pizzakartons mit Essensresten lagen sowie etliche Bier- und Coladosen. Vier Stühle wahllos verteilt vervollständigten das Inventar.

      Er ging einige Schritte in das ehemalige Klassenzimmer, das er als Musiksaal in Erinnerung hatte. Jetzt hoben sich die Köpfe und er hatte die Aufmerksamkeit der Jugendlichen. In der gleichen Sekunde sprangen sie in die Senkrechte.

      „Was suchst en du hier?“

      Trotz der schroffen Anschnauze bemerkte Frank einen Funken von Unsicherheit, die sich in den Augen des Mädchens widerspiegelte. Interessanter aber war, dass beide ihre Laptops noch immer fest umklammert hielten.

      Er hob seine Hände. „Ich wollte nicht stören. Mir wurde erzählt, die Schule stünde seit Jahren leer. Deshalb wunderte ich mich …“

      „Tut sie auch“, wurde er von dem Jungen unterbrochen. „Is aber noch lang kein Grund, hier einfach so hereinzuspazieren. Außer, du bist Lehrer.“

      Für den Spruch erhielt er von dem Mädchen ein High Five und ein breites Grinsen.

      „Also, was willst du hier und wie bist du überhaupt hier reingekommen?“, wandte der Junge sich erneut an ihn. Dabei versuchte er durch eine gerade Körperhaltung, durchgedrücktem Brustkorb, sowie einer festen Stimme einen bedrohlichen Eindruck zu vermitteln.

      Frank kannte das. Und, dass manchmal wenige Worte mehr brachten. Weshalb er nun einsilbig antwortete: „Offene Tür, Stimmen und Geräusche. Wollte mal sehen, was hier so abgeht.“

      „Sieh zu, dass du Land gewinnst“, spuckte ihm das Mädchen ins Gesicht, das, wie er jetzt feststellte, dem Jungen zum Verwechseln ähnlich sah; rotblonde, wellige Haare und blaue Augen. Kurz flackerte eine Erinnerung auf. „Wenn Till und Marco dich hier finden, wirst du es bereuen“, fuhr sie fort.

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