Kopfsprung ins Leben. Marc Lindner

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Kopfsprung ins Leben - Marc Lindner

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worden und die Fremden, deren Namen ich nun kennen könnte, fühlten sich gänzlich wie zu Hause.

      Nicht selten empfahl ich mich gar rückwärts und ließ aufgescheuchte Pärchen ungestört. Von den Ruhmeshymnen, die ich mir heimlich erhofft hatte, war kein Ton zu hören. Man kannte sich und traf sich hier, weil es schlicht eine Gelegenheit war, uns selbst zu feiern. Jeder für sich und durch das Anwesen von den unwichtigen Leuten der Insel abgesondert.

      „Ist toll hier“, stieß ich mit einem leidenschaftlichen und gleichermaßen unbegabten Sänger zusammen. Er schlang seine Arme um mich. Ich brummte und versuchte sie zu lösen.

      „Weißt du ...“ Er blickte kurz in den Himmel und starrte mich dann an. „Weißt du ...“ Er war verwundert, dass ich ihn offenbar nicht in den Arm nehmen wollte. „Weißt du eigentlich welcher eingebildeter ...“ Trotz meines Bemühens ihn los zu werden, ließ er sich nicht beirren. Nur seinem Alkoholpegel musste er Tribut zollen und musste eine Pause einlegen, bevor er weitersprechen konnte.

      „Weißt du, welchem eingebildeten Trottel wir die Party verdanken?“ Sein Atem stank fürchterlich. Er kippte vorn über und sein Gewicht lastete vollends auf mir. Unangemessene Gewalt wäre von Nöten gewesen, ihn nun von mir zu trennen. Sein Kinn lag auf meiner Schulter und sein Arm glitt mir unangenehm sanft den Rücken hinunter.

      „Dem, der sich gerade an deine Freundin macht“, flüsterte ich ihm ins Ohr und bekam das ungute Gefühl mich übergeben zu müssen.

      Ihn schienen die Worte weit mehr zu beeindrucken, als ich gehofft hatte. Er ließ von mir ab und richtete sich kurzzeitig auf. Er verlor aber schnell das Gleichgewicht und musste zwei Schritte nach hinten treten, um stehen zu bleiben. Erleichtert atmete ich auf und sog die saubere Luft genüsslich ein. Auf den Schreck genehmigte er sich einen kräftigen Schluck aus der Flasche. Nachdem er die nächste Gleichgewichtsstörung ausbalanciert hatte, hob er die Flasche in meine Richtung.

      „Ich habe eine Freundin?!“ Er lachte vergnügt auf. „Wieso sagt mir das denn keiner?“ Er wirkte als wollte er mich erneut in den Arm nehmen. Vorsichtshalber trat ich einen Schritt rückwärts. Unterdessen hatte er es sich anders überlegt und sich umgedreht. Seine Arme waren dabei reichlich beschäftigt, seinen Körper aufrecht zu halten.

      „Trottel“, lachte er und schritt noch tiefer durch den Garten. „Trottel“, rief er voller Begeisterung. „Trottel mein Freund, zeig mir, wer meine Freundin ist.“ Er begann von Neuem, die Nacht mit seinem Gesang zu bestrafen.

      Beruhigt ihn los zu sein, machte ich mich auf in Richtung Partygetöse, bevor ich einem weiteren Irren Gelegenheit bot, mich anzuspringen.

      Es war ein ungewohntes Gefühl am Rande der Gartenanlage zu stehen. Vor mir erblickte ich eine lichtertränkte Kulisse. Trunkene jaulten, riefen sich zu und lachten. Gruppen bildeten und lösten sich auf. Von mir schien derweil niemand Notiz zu nehmen. Weder mein Erscheinen noch meine Abwesenheit fand auf irgendeine Weise Beachtung. So blieb ich unentschlossen stehen und verbarg mich im Halbdunkeln. Im Garten dienten die Spots lediglich den Pflanzen und huldigten ihnen mit punktuellen Lichtoasen.

      Ich konnte mich nicht entscheiden, welche Gruppe ich mit meiner Aufmerksamkeit als Gastgeber beehren sollte. Etwas abseits vom Geschehen erspähte ich einen unbeleuchteten Fleck. Ein mir fremder Gedanke führte mich dorthin. Verwundert, dass ich ungestört dort angekommen war, drehte ich mich um. Das Geschehen berührte mich nicht. Ich wandte mich ab und erkannte, dass ein verborgener Pfad den Abhang hinab führte. Ein Schrei ließ mich aufschrecken. Obwohl mein Blut in Wallung geriet, musste ich feststellen, dass nicht ich gemeint war. Meine Füße zogen mich ins Dunkel hinein. Bevor der Abhang steil wurde, erhob sich mit einem kleinen Absatz eine Wand aus der Erde. Dies war unverkennbar Steves Reich. Eine üppige Hecke verbarg die Sicht auf Vaters Anwesen.

      Ich saß eine Weile auf der niedrigen Mauer und versuchte das gedämpfte Partygetöse zu verdrängen. Es dauerte lange, bis ich die Aussicht über die Insel wahrnahm. Nach einer Weile gar fragte ich mich, warum ich die Stelle nicht schon viel früher entdeckt hatte. Ich musste lachen. Es fühlte sich an, als würde ich etwas Verbotenes tun. Einfach nur hier zu sitzen und meine Gäste allein zu lassen.

      „Schön hast du es hier.“ Eine leise Stimme schreckte mich auf.

      Ich drehte mich um und suchte nach jemandem, der dort stand. Ich hörte ein amüsiertes aber unaufdringliches Lachen. Dort stand niemand. Ich folgte dem Lachen. Erkennen konnte ich sie nicht, aber nun wusste ich, dass dort im Dunkeln ein Mädchen ebenfalls auf der Mauer saß. Obwohl sie nicht weit entfernt saß, hatte ich sie bisher nicht bemerkt. Mir wurde unwohl. Sie muss die ganze Zeit über hier gesessen haben. Hatte sie mich beobachtet?

      Ich ärgerte mich über den Eindruck, den ich erwecken musste. Ich brachte in meinem Kopf keinen sinnvollen Gedanken zusammen und starrte deshalb hinunter zur Küste und suchte dort nach einem Ausweg. Als es längst zu spät war, um etwas zu antworten, wandte ich mich ihr zu. Sie hatte wohl nicht darauf gewartet, etwas von mir zu hören und schaute ebenfalls Richtung Meer. Vielmehr als Konturen konnte ich nicht von ihr erkennen. Doch so wie sie dort saß, sah es viel entspannter aus, als ich mich fühlte. Sie genoss den Ausblick. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie mich angestarrt hatte. Augenblicklich kam ich mir lächerlich vor, als ich mir meiner Gedanken bewusst wurde.

      Nachdem ich ihr Relief eine Weile ansah, merkte ich, dass sie mir durchaus bekannt war. Nur wer sie war, konnte ich für den Augenblick nicht sagen.

      Sie spürte wohl, dass meine Blicke auf ihr ruhten, und drehte ihren Kopf in meine Richtung. Sie lächelte mir zu als würde meine Neugier sie nicht stören. Kurze Zeit später wandte sie sich dem Meer zu. Erneut hatte ich den passenden Moment verpasst etwas zu sagen und folgte schweigend ihrem Blick.

      Ich spürte, dass meine Hände Beschäftigung suchten.

      „Verzeih, wenn ich dir dein Versteck gestohlen habe.“ Ihre Stimme war ungewohnt sanft. Ein kleiner Stein hatte sich gelöst und ich hielt ihn in der Hand. Ich wollte nicht, dass sie das sah und ließ ihn bedächtig im Dunkeln verschwinden. Mein Versteck? Wovon redete sie eigentlich?

      Vorsichtshalber ließ ich ein kurzes Lachen ertönen, für den Fall, dass es ein Scherz gewesen war. Aber auch dadurch ließ sie sich nicht davon abhalten, den Ausblick zu genießen.

      Sie verwirrte mich mit dem, was sie tat. Und mehr noch mit dem, was sie nicht tat. Was machte ich eigentlich hier, sollte ich nicht bei meinen Gästen sein? Ich drehte mich um und konnte den Lärm hören. Ich konnte nicht verstehen, wie ich den überhaupt hatte vergessen können.

      „Du redest nicht gerne.“ Ihre Stimme brachte mich dazu, den Berg hinab zu schauen. „Das kann ich gut verstehen.“

      Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich eigentlich sie anschauen sollte. Als ich diesmal ihre Konturen im Schatten ausmachte, hallte ihre Stimme in mir wider.

      „Ich mag diesen Lärm auch nicht.“ Diesmal lachte sie leise und wandte sich ab.

      Mein Blick blieb an ihr kleben. Ich erkannte die Stimme. „Amanda?“ Ich erschrak, als sie sich zu mir umdrehte. Ich hatte es nicht aussprechen wollen. Erneut ärgerte ich mich und spürte, wie sich mein Körper verkrampfte, weil ich nicht wollte, dass sie dies merkte.

      Sie lachte nur. Es war ein angenehm weiches Lachen. Ich konnte nicht anders und musste kichern. Meine Gedanken ordneten sich. Natürlich war sie es. Wer sonst von meinen Bekannten würde sich abseits des Partygeschehens verstecken. Ihre Mutter war eine der angesehensten Anwälte auf der Insel und mein Vater war einer ihrer wichtigsten Mandanten. Deshalb war sie hier. Freiwillig hätte sie sich nicht hier blicken lassen. Ich kannte sie seit der Grundschule als wir im gleichen

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