Mörderische Schifffahrt. Charlie Meyer

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Mörderische Schifffahrt - Charlie Meyer

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aus Abgesandten deutscher Großfirmen wie Bayer oder Thyssen und zur anderen Hälfte aus Vertretern der wichtigsten Binnenschifffahrts-Reedereien wie Stinnes und Lehnkering zusammensetzte. Mit dem Tarifaufhebungsgesetz 1994 und der Auflösung dieses Gremiums setzte unter den Binnenschiffern ein massiver Konkurrenzkampf ein und die Frachtraten fielen um bis zu sechzig Prozent. Viele Eigner sahen sich gezwungen, ihr Frachtschiff zu verkaufen oder zu verschrotten und fanden sich plötzlich in der Fahrgastschifffahrt wider und taten sich redlich schwer.

      Statt wochenlang in Eigenregie über Europas Flüsse und Kanäle zu schippern, fuhren sie jetzt jeden Tag ein und dieselbe Strecke, schreckten flussauf- und flussabwärts jeden Tag dieselben Reiher und dieselben Kormorane am Ufer auf, sahen dieselben Kirchtürme auftauchen und wieder verschwinden und mussten, zeitweise sogar im Stundentakt, Horden anmaßender Passagiere an Bord ertragen. Nicht zu vergessen einen Chef, dem sie Rechenschaft schuldeten, bloß, weil sie einen dieser verdammten Anleger übersehen hatten.

      Am Schlimmsten waren die Rundfahrten in Hameln. 4,6 Kilometer weseraufwärts, vom Hamelner Anleger bei Stromkilometer 134,5 bis zur alten Fährstraße zwischen Tündern und Ohr bei Stromkilometer 129,9. Dann wenden und die 4,6 km wieder flussabwärts, erneut wenden, anlegen, eine Viertelstunde später wieder ablegen, 4,6 km weseraufwärts, wenden und so weiter und so fort. Im Stundentakt von morgens halb zehn bis nachmittags um halb sechs, sechs Tage die Woche, bis das Schiffsvolk die Orientierung verlor.

      Eddie und Chris hielten den Drehwurm mit einem kräftigen Schluck aus der Buddel in Schach, Inga stopfte sich mit Schokolade voll. Im letzten Jahr hatte sie mindestens zehn Kilo zugenommen und würde, wenn sie nicht gewaltig aufpasste, wie ein Hefekloß auseinandergehen. Dazu gab es in jeder Saison auf jedem Schiff ein oder mehrere Besatzungsmitglieder, die einen Saisonkoller bekamen und nicht selten erheblichen Schaden anrichteten. Auf dem Rundfahrtschiff in Holzminden hatte sich der Saisonkoller in der letzten Saison darin entladen, dass die Schiffscrew in seltener Einigkeit eines Morgens die Schiffsäxte schwang, auf dem Oberdeck Tische und Bänke zerlegte und über die Reling ins Wasser warf. Eine halbe Bank hatte einen Schwan erschlagen, ihr Pendant war zwölf Kilometer weserabwärts getrieben worden, bevor er in Polle erst den Radkasten des Schaufelrads vom Raddampfer Wieland zertrümmerte und dann die Schaufeln des Rades.

      Immer öfter träumte die Personalchefin vom richtigen Theater, den Brettern, die die Welt bedeuteten und nicht von Planken über schwankendem Grund. Dieses Theater hatte sie gründlich satt. An diesem Morgen zum Beispiel. Erst rief Malte, der Schiffsführer eben jener Seerose an, die in Holzminden Rundfahrten fuhr, und schiss sie, die Personalchefin, zusammen, weil das Büro für eine vorgebuchte Gruppe auf dem Schiff zehn Kaffeegedecke zu wenig nachgemeldet hatte. Gleich darauf heulte ihr Jan-Erik, die Nervensäge von der Neptun aus Minden, die Ohren voll, weil er sich von Jansen missverstanden fühlte, und anschließend rief der Bürgermeister von Kleinkleckersdorf an, der sich über die Besatzung der Libelle beschwerte. Eddie hatte in Fuhlen nicht angelegt, weil er vergessen hatte, dass eben jener Bürgermeister dort aussteigen wollte, um mit seiner Ehefrau im dortigen Gasthaus die silberne Hochzeit zu feiern. Auf seine Frage beim Aussteigen in Rinteln, wie er denn jetzt nach Fuhlen kommen sollte, hatte Eddie lapidar laufen geantwortet.

      Ich muss mit dem Chef über diesen verflixten Fuhlenanleger sprechen, dachte die Personalchefin, während sie mit wohlwollendem Lächeln die neue Kandidatin musterte.

      Sie schnappte sich einen Ordner aus dem Regal und suchte nach den Vertragsformularen. »Da ist es ja«, sagte sie zufrieden. »Wir fangen mit einem Vertrag auf vierhundertfünfzig Euro an, und wenn Sie sich in einem Monat bewährt haben, stelle ich Sie als verantwortliche Servicekraft für die Schrecke ein.« Wenn ein Wunder geschieht und Jansen einen neue Nautiker für die Schrecke findet, dachte sie fromm. Soweit würde es voraussichtlich nicht kommen, aber die Neue sah ehrgeizig aus und verantwortliche Servicekraft klang besser als Aushilfe. »Diesen einen Monat arbeiten Sie allerdings zur Eingewöhnung auf der Libelle.« Alles andere würde sich finden, und Ende der Saison würde sie, die Personalchefin, ohnehin kündigen. Allerdings schwebte ihr vor, bis dahin das Niveau auf den Schiffen dermaßen anzuheben, das man mit Respekt an sie zurückdachte.

      »Mädels«, wisperte sie händereibend im Büro, während die Neue im Nebenzimmer den Vertrag ausfüllte. »Wir haben gerade das große Los gezogen.«

      Nebenan beugte sich Alice mit einem Kugelschreiber in der Hand über den Vertrag und lauschte mit halbem Ohr dem Flüstern aus dem Büro. Die Büromäuse steckten die Köpfe zusammen und taten ganz aufgeregt.

      Tja, Leute, dachte sie selbstzufrieden. So was wie mich kriegt ihr nicht jeden Tag serviert. So sieht eine verdeckte Ermittlerin aus, auch wenn ihr nicht die geringste Ahnung davon habt.

      Der Zeit auf dem Schiff sah sie mit freudiger Spannung entgegen. Sie sah sich gern Das Traumschiff oder Love Boat im Fernsehen an, und vielleicht gab es ja an Bord den einen oder anderen feschen Steward, der willens war, ihren Romeo abzulösen. Ach was, Steward! Wer wollte einen Steward, wenn es auch Kapitäne mit Streifen und Sternen auf den Schulterklappen gab. Sie sah sich bereits eingehakt bei einem schnieken Herrn in Uniform durch Hamelns Fußgängerzone flanieren. Aber erst einmal galt es den Mord aufzuklären, dann kam die Geschichte mit den Fernsehkameras und anschließend, wer weiß ...

      Servicekraft, schrieb sie schwungvoll in die Spalte, vor der Beruf stand und grinste. Gib dem Pöbel, was er erwartet, und lass dir die Füße küssen. Außerdem konnte die Arbeit einer Servicekraft nicht so kompliziert sein wie der Job einer Detektivin. Man brachte die Getränke an die Tische, kassierte die Trinkgelder und das war es auch schon. Eine ruhige Hand, ein nettes Lächeln, einen kleinen Hüftschwung, was brauchte eine erstklassige Servicekraft mehr?

      Einen Moment lang sah sie sich und den Kapitän im mondbeschienenen Steuerhaus, hörte das leise Aneinanderklirren der Sektkelche, ein gehauchtes Ti amore, bella, falls er zufällig italienisch sprach ...

      »Fertig, Liebes?«, fragte die laute Stimme der Personalchefin direkt neben ihrem Ohr, und um ein Haar wäre Alice Hupe vor Schreck vom Stuhl gefallen. Ihr schien, im Büro blieb wenig Zeit zum Träumen. Die Telefone klingelten alle auf einmal, das Fax spuckte Seite um Seite aus, und die Stimmung schwankte zwischen betriebsam und hektisch.

      Ihr armen Luder, dachte Alice, während sie ihren Vertrag unterschrieb und die kleine, schmächtige Büromaus in der Ecke aus irgendeinem undefinierbaren Grund in Tränen ausbrach. Jede Menge Hektik die ganze Saison über und ein Gehalt, von dem ihr euch bestimmt keinen Schnorchelurlaub auf den Malediven leisten könnt.

      In diesem Moment flog die Bürotür auf, und alle drei Damen zuckten zusammen. Alice ebenfalls, auch wenn es bei ihr eher ein erotisches Schaudern war. Sekundenlang blieb die lichtüberflutete Gestalt in der Tür stehen, während über ihrem Kopf ein Frachtzug durch den Bahnhof donnerte und die Lampe wild zu schaukeln begann. Ein Mann, ein Meter neunzig schätzungsweise, braun gebrannt, keine Haare, aber einen derart formvollendeten Kopf, dass Alice ein zweites Mal schauderte. Schwarze Schatten auf der Kopfhaut zeigten an, wo Haare sein würden, wenn er es ihnen eines Tages gestattete zu wachsen. Ein schwarzer Bartschatten umgab sein Kinn. Er trug enge Jeans und ein blau-weißes Schifferhemd mit Stehkragen, das seine Muskeln bis in die letzte Naht ausfüllten. Sein Gesicht war ... Gott, es ließ sich nicht beschreiben. Männlich eben. Ein markantes Kinn, eine gerade Nase, dunkle Augen, dunkle Brauen. Ein Männermodel, das sich verlaufen hat, dachte Alice, die unwillkürlich aufgestanden war und hingerissen seufzte, den Vertrag gegen die Brust gedrückt. So einen findest du nur einmal auf dem Planeten.

      Gleich darauf holte sie die Erkenntnis ein, dass Männer, die so aussahen, unweigerlich schwul waren. Alice seufzte ein zweites Mal. Die Gaben dieser Welt waren einfach ungerecht verteilt. Mit dieser deprimierenden Feststellung drückte sie der Personalchefin den Vertrag in die Hand und schritt zugleich mit ihr auf die göttliche Erscheinung zu, die ein Ding

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