Mörderische Schifffahrt. Charlie Meyer

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Mörderische Schifffahrt - Charlie Meyer страница 33

Автор:
Серия:
Издательство:
Mörderische Schifffahrt - Charlie Meyer

Скачать книгу

zu antworten, bückte sich Inga und spähte deprimiert durch eins der breiten, niedrigen Fenster hinter der Theke auf den Anleger. Wo kamen bloß die vielen Touristen her? Sie liebte die Schifffahrt, da konnte man jeden an Bord fragen, aber dass sie gezwungen war, diese anmaßenden Heerscharen an Bord zu lassen, wurmte sie jeden Tag aufs Neue. Alice folgte ihrem Blick und schrak zurück. Eine Welle Adrenalin schwappte über ihrem Scheitel zusammen und das Herz ging mit ihr durch. Eine undurchdringliche, zu allem entschlossene Mauer, anders ließ es sich nicht beschreiben. Vor dem schmalen Holzsteg aufs Schiff hatte sich irgendwann, während sie nicht hinsah, ein hundertköpfiger Pulk Menschen angesammelt, die alle dasselbe im Blick hatten – den Einstieg – und offenbar nur auf den Startschuss warteten. Was den Anblick noch erdrückender machte, war die hohe Kaimauer unmittelbar hinter der Menschenmenge.

      Breitbeinig auf dem Steg stand Eddie in weißem Hemd, schwarzer Hose und Schulterklappen mit vier goldenen Streifen und einem goldenen Stern und hielt mit grimmigem Gesicht den Mob in Schach.

      Schwer beeindruckt überfiel Alice die Assoziation vom ersten Tag des Winterschlussverkaufs in irgendeinem Kaufhaus. Im Geiste sah sie Eddie zur Seite springen, sah die Menschenmassen unaufhaltsam durch den Einstieg quellen auf der Suche nach ... Tja, nach was eigentlich? Gab es irgendetwas umsonst auf dem Schiff? Freibier? Sahnetorte? Ein Schnäpschen mit Eddie, dem Schiffsführer? Nicht einmal die vier Streifen und der Stern konnten seine violett-rote Säufernase und die Schnapsfahne kaschieren.

      »Gibt’s an Bord was umsonst? Die da draußen sehen so ... so gierig aus.« Alice hörte das angstvolle Beben ihrer Stimme und ärgerte sich.

      Inga grinste. »Fensterplätze«, gab sie launisch Auskunft. »Fünf Minuten noch, dann bläst Eddie zum Angriff und du ziehst besser deine Füße ein. Apropos Füße: Ich stehe hinter der Theke, du läufst. So ist es an Bord Usus. Die Verantwortliche steht, die Aushilfen laufen.« Inga wurde geschäftig, wetzte hin und her, drückte an der Kaffeemaschine den Aufheizknopf und kontrollierte die Schubfächer für Kaffee- und Milchpulver in der Spezialitätenmaschine, während Alice mit hängenden Armen im Weg stand. Etwas wie ein Eisenband zog sich über ihrer Brust zu, und etwas wie ein schmerzhaftes Loch tat sich in ihrem Magen auf, während sie ungläubig die Menschentraube vor dem Steg anstarrte.

      »Ich laufe?«, fragte sie mit wenig Hoffnung in der Stimme. »Wohin denn?« Laufen würde sie in diesem Moment zwar gern und das so weit weg wie möglich, aber dass Inga diese Art der Fortbewegung gemeint hatte, war eher unwahrscheinlich.

      »Laufen heißt, du nimmst die Bestellungen auf, bringst sie an die Tische und kassierst ab. Ich stehe hinter der Theke und bestücke deine Tabletts. Was habt ihr denn in Bayern dazu gesagt? Auffi und abbi gehen?« Inga kontrollierte eine nach dem anderen den Füllzustand der Getränkeschubladen. Dann steckte sie zwei Finger in den Mund. Der Pfiff, der kurz darauf durchs Schiff hallte, ließ Alice um ein Haar über Bord springen. Einen Moment lang hatte sie geglaubt, den Startpfiff für die Hundertschaft draußen zum Run auf die Fensterplätze zu hören. Doch es war nur Wikingersprössling Chris, der unter seinem weißblonden Schopf die Nase aus dem Niedergang steckte. »Ja, Chefin?«

      »Alkoholfreies Weizen, Cola und Malzbier, aber dalli. Und bring ein paar Flaschen Wasser mit. Abtreten.«

      »Zu Befehl Chefin.«

      Die kopfüber hängenden Biertulpen an den Gestellen über der Theke klirrten einen Moment lang lauter. Chris grinste, doch Alice fiel erneut auf, dass nur der Mund grinste und die Heiterkeit nicht seine Augen erreichte, in denen ein Ausdruck düsterer Resignation lag. Strahlenbündel winziger Fältchen zeugten allerdings davon, dass er früher gern gelacht hatte. An diesem Tag allerdings erweckte er den Eindruck, in seinen dreißig Lebensjahren bereits alles gesehen zu haben, was es auf der Welt zu sehen gab und von dem Schrott maßlos enttäuscht zu sein. Die Aussicht, bis zu seinem Tod in einer frustrierenden Schleife festzuhängen - und täglich grüßt das Murmeltier - schien ihn nicht eben mit Begeisterung zu erfüllen.

      »Äh, Inga«

      »Was willst du?«

      »Mit dem Abkassieren wird es etwas schwierig, ich kenne die Preise noch nicht. Ich bin neu hier an Bord, schon vergessen? Eure Getränkekarten habe ich bisher noch nicht einmal von außen gesehen.« Alice gab sich Mühe, einen deutlichen Hauch von rechtschaffener Empörung in ihre Stimme zu legen, doch was sie hörte, war pure Angst. Eine Gelernte vom Hofbräuhaus, herzlichen Glückwunsch auch, hauchte ihr ein hämisches Stimmchen ins Ohr. Irgendetwas lief gerade aus dem Ruder, und das war nicht das Schiff. Das lag noch sicher vertäut am Anleger, vorn und hinten von Wikinger Chris festgebunden. Ein Tau vom Schiffspoller im Vorschiff zu einem Poller an Land vorn, ein Tau vom Schiffspoller im Hinterschiff zu einem Poller an Land hinten. Als Puffer zwischen Schiff und Kaimauer, als Fender, dienten zwei Kanthölzer, die an Seilen von der Reling des Oberdecks hingen und schon reichlich ausgefranst aussahen. Alices erster Eindruck vom Schiff war ein entschiedenes Wow! gewesen und ein Hauch von Respekt für Okko Jansens Mut zum Klotzen. Ein großes weißes Schiff für viele Fahrgäste und zwei riesigen, blauschillernden Libellen rechts und links vom Bug. Eine knallbunte Wimpelkette überspannte das gesamte Freideck. Ihr zweiter Eindruck sagte hausbacken und marode. Selbst die Wimpel der Wimpelkette waren ausgefranst.

      »Kannst du mit einem Ordermen umgeben?«

      »Einem was?«

      »Himmeldonnerwetter noch mal, du hast uns gerade noch gefehlt«, fauchte Inga, gereizt bis zur Halskrause und verdrehte die Augen. Ohne ein weiteres Wort verschwand sie unter Deck. Als sie wieder auftauchte, schob sie eine junge Frau vor sich her, die in stummer Auflehnung die Füße gegen die Treppenstufen stemmte, während Inga auf sie einredete.

      »Komm schon, Lina, die Neue taugt nichts, du musst mit dem Ordermen rumgehen.«

      Alice öffnete den Mund zum Protest – und schloss ihn wieder. Zwei Meter weiter, jenseits der Fenster, pflanzte sich ein erwartungsvolles Zucken durch die Menschenmauer. Alice schauerte zusammen. Wie hatte sie sich nur dermaßen überschätzen können? Sie kannte die Preise nicht, konnte weder mit dem Ordermen noch mit der Computerkasse umgehen, hatte nie im Leben ein Bier gezapft oder irgendjemanden bedient. Jedenfalls keinen zahlenden Gast, höchstens Crispin, wenn sie ihm das Champagnerglas ans Bett brachte. Sie war auf diesem Schiff so fehl am Platz wie Inga in einem 5-Sterne-Restaurant. Oder Eddie in einer Luxussuite. Oder ...

      »Ich hab’ frei.« Lina schob angriffslustig ihr Kinn vor, und Alice schluckte verzweifelt gegen ihre Panik an.

      »Du bist auf dem Schiff, oder nicht?«

      »Ja, aber doch nur, um den Jungs und dir hallo zu sagen«, protestierte Lina. Sie war etwa einen Meter fünfzig klein und schmal wie ein Kind. Lila gefärbte Haare standen ihr in Stacheln vom Kopf ab. Sie trug einen schwarzen Overall mit kurzen Ärmeln und einen breiten lilafarbenen Lochgürtel.

      »Wer frei hat und trotzdem aufs Schiff geht, tut es auf eigenes Risiko«, behauptete Inga ungerührt und zerrte das Mädchen hinter die Theke. »Hör auf rumzulamentieren und schnapp dir den Ordermen. Du nimmst die Bestellungen auf, die Neue bringt die Tabletts raus und kassiert ab. Wir wollen beten, dass sie wenigstens das zustande bringt.«

      »Ich will aber nicht.« Ein kleiner Fuß in lila Clogs stampfte auf den Boden.

      Ich auch nicht, dachte Alice und fühlte sich wie gelähmt.

      »Du willst aber weiterhin auf der Libelle arbeiten, oder etwa nicht?«

      Schmale, ein wenig schräge Augen starrten Inga in stummer Fassungslosigkeit an und eine kleine, sommersprossige Nase zuckte empört. Zehn lange Sekunden später polterte Lina hinter die Theke und beugte sich über ein schwarzes Teil mit Display,

Скачать книгу