Der Totenflüsterer. Dietmar Kottisch

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Der Totenflüsterer - Dietmar Kottisch

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der lauter werdenden Baustellengeräusche weitere Einspielungen ergebnislos.“

      Das Mitteilungsblatt erreichte nun auch ausländische Forscher und Experimentatoren, die die Erfahrungen der Kollegen zur Kenntnis nahmen und auch selbst Mitteilungen machten, die veröffentlicht wurden.

      Im September 1976 bekam Paul Post. Er öffnete den dicken Umschlag und entnahm ihm einen Brief und eine kleine Kassette. Der Absender war der Engländer Antony Hall aus Bridlington in Nordengland. Darin schrieb er, dass er am 23.August 1976 um 18. Uhr eine Einspielung gemacht hatte (Dialogexperiment, das heißt direkte Antwort) und den Inhalt zunächst nicht einordnen konnte. Er wollte Kontakt mit Konstantin Raudive, und eine sehr laute und deutliche Stimme brach durch: >Muss Raudive an der Baustelle warten oder wartet<. Er konnte mit dieser Aussage zunächst nichts anfangen. Nachdem er später in besagtem Mitteilungsblatt des Interessenvereins Pauls kurzen Bericht gelesen hatte, wusste er Bescheid. Konstantin Raudive nahm Bezug auf eine damalige Einspielung in Frankfurt unter den störenden Baustellengeräuschen.

      Paul staunte. Er ging in die Küche und brühte sich einen neuen Tee auf. Dann legte er die Kassette in sein Radiofach und drückte auf Play. Er hörte die englisch sprechende Stimme von Antony Hall und dann eine sehr laute und deutliche Stimme inmitten von kratzenden Radiogeräuschen: < Muss Raudive an der Baustelle warten>!

      Da wollte er am 22.August 1976 in Frankfurt Kontakt mit Raudive haben, und am dreiundzwanzigsten August meldet sich dieser tote Raudive an der Nordostküste Englands bei einem anderen Mensch und verweist auf die Baustelle, an der er warten musste.

      Das würde er in der nächsten Versammlung in Wiesbaden vorspielen, es war einfach phänomenal! Das Dialogexperiment, also die direkte Antwort ist wie ein Telefongespräch. Antony Hall spricht ins Mikrophon und hört sofort die Antwort aus dem Radio; und alles wird aus Gründen der Nachprüfung auf Tonband aufgenommen.

      Sie hatten sich an einem Freitagabend bei einem guten Essen im italienischen Restaurant >Da Nino< wieder über die Stimme von Sarah unterhalten. Für Klara war es ein immerwährendes Thema geworden, obwohl sie stets mit sehr gemischten Gefühlen daran dachte. Paul trug das Argument vor, man solle diesen damaligen Freund ihrer Schwester irgendwie ausfindig machen.

      „Das wird schwer. Ich weiß nur noch, wie der Ort hieß, in dem wir Urlaub gemacht hatten, es war eine kleine private Pension in der Nähe von Bern, Ostermundigen hieß er. Wir sind fast jedes Jahr dorthin gefahren. Meine Eltern und die Wirtsleute hatten sich im Laufe der Zeit angefreundet.“

      Sie stocherte mit der Gabel auf dem Salatteller herum.

      „Außerdem war es billig.“

      „Die Wirtsleute gibt`s wahrscheinlich nicht mehr, oder?“

      „Die sind Jahre später gestorben.“

      „Und dieser Äppli, du erinnerst dich an ihn?“

      „Ja, er war ein reizender Junge, ein, zwei Jahre älter als Sarah. Auch ich hab mich in ihn ein bisschen verliebt. Aber Sarah war richtig verknallt in ihn. Er kam fast täglich mit dem Fahrrad nach Ostermundigen, und die beiden trafen sich heimlich. Meine Eltern durften nichts wissen davon. Ich verstehe, dass es andere Beweise geben muss, damit die Sache richtig untermauert ist. Aber ich glaube nicht, dass wir ihn aufstöbern können.“

      „Gibt es Briefe von ihm?“

      „Ich weiß nicht. Ich habe damals, als ich das Haus verkaufte, alle persönlichen Sachen in einen Koffer gepackt. Ich konnte sie nicht wegwerfen, konnte sie aber auch nicht mehr sehen, das tat so weh, verstehst du?“

      „Also besteht die Möglichkeit, dass es Briefe gibt von diesem Äppli. Wenn wir sie finden, untermauern wir unsere These, dass es Sarah ist, die sich gemeldet hat. Würdest du…. oder hättest du die Kraft, in dem Koffer nachzusehen?“ Er nahm einen Schluck Wein.

      Klara stocherte weiter auf ihrem Teller herum. „Ich kann mich erinnern, dass meine Schwester damals ein Tagebuch geführt hatte. Ob es noch vorhanden ist, weiß ich nicht.“

      Sie trank auch einen kleinen Schluck Rotwein. Ihre Wangen hatten eine rötliche Farbe, Paul nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie: „Du siehst unglaublich sexy aus … wenn du Rotwein getrunken hast, ich könnte dich jetzt hier im Lokal …..“

      „Klar! Wenn sie in diesem Tagebuch ihren Äppli erwähnen würde, wären wir einen großen Schritt weiter,“ ignorierte sie schamhaft seine Bemerkung.

      Der Kellner fragte, ob er noch eine Flasche Wein bringen sollte. Paul schüttelte den Kopf. Aber die Rechnung könnte er bringen.

      Kaum hatten sie die Haustüre geschlossen, schob er ihren Rock nach oben. Klaras Reaktion war ein herzhaftes Quieken, was ihn noch mehr antörnte. Er hob sie hoch, warf sie über seine rechte Schulter und trug sie ins Wohnzimmer und legte sie auf den Teppich.

      Sie lachte laut… „lass uns ins Bett gehen, Paul, bitte….“

      „Nein, hier bleibst du jetzt…“ befahl er, und seine Stimme hörte sich an, als wäre Widerspruch sinnlos.

      Etwa eine Stunde später ging Paul in sein Arbeitszimmer, allerdings nicht der Tonbandstimmen wegen, sondern weil er auch noch einige Büroarbeiten für seine Läden zu erledigen hatte. Er schrieb ein paar Überweisungen für morgen und überprüfte seine Kontoauszüge, wobei für einige Momente seine gute Laune verschwand.

      Sein Büro war dreißig Quadratmeter groß. Der riesige Schreibtisch aus 1,5 cm dickem Glas stand vor dem Fenster. Rechts standen seine Tonbandmaschine, zwei Lautsprecher und das Mikrofon. In der Mitte stand die Schreibmaschine. Links war ein freier Platz für sonstige Papiere, für seine Teetasse, das Telefon. Die Wände waren weiß getüncht. Bis auf fünf Worpsweder Keramikplatten und einem eingerahmten Spruch (Der Himmel hilft niemals solchen, die nicht handeln wollen, Sophokles 497-406 v.Chr.), sowie 3 Kupferstiche Tee aus 1790, waren sie ohne Behang. Linker Hand von der Eingangstüre stand ein großes Regal für seine Ordner. Auf einem kleineren Glastisch links befand sich das Faxgerät und der Fotokopierer. Als Lichtquelle dienten drei Bürolampen auf den Tischen.

      Klara beschäftigte sich mit dem Gedanken, den alten Koffer zu öffnen – und die Vergangenheit wieder lebendig werden zu lassen. Zuerst aber dachte sie an den Liebesakt im Wohnzimmer auf dem Teppich. Er kam ihr etwas gewaltsam vor, aber nicht unbedingt unangenehm.

      Sie ging nicht gleich auf den Dachboden, sondern setzte sich ins Wohnzimmer und überlegte. Sie musste die Barriere in ihrem Kopf überwinden, das war wichtig, für sie selber und auch für Paul. Je größer die Wahrscheinlichkeit war, dass Sarah zu ihr gesprochen hatte, desto kleiner wurde der Schmerz der Trennung, den sie neunzehn Jahre in sich hatte. Sarah lebt weiter, sagte sie sich immer wieder, sie hat sich gemeldet und sich zu erkennen gegeben mit dem Stichwort Äppli. Dreiunddreißig müsste sie jetzt sein. Seit dem Tod der Schwester erinnerte sie sich neunzehn Jahre lang an sie in einer trauernden Stille. Sarah existierte nur noch in Gedanken. Und jetzt plötzlich war sie wieder irgendwie existent!

      Wer sollte das auf dem Tonband sonst gewesen sein? Wer?

      Sie ging in den ersten Stock. Von da aus gelangte sie zum Dachboden, der als kleiner Stauraum genutzt wurde. Sie öffnete die Eingangsluke, holte die ausziehbare Leiter herunter und kletterte nach oben. Der Stauraum war niedrig, und sie musste sich bücken, um ein paar Meter zu den Koffern zu gelangen. Sie sah diesen rotbraunen Koffer auf den ersten Blick. Sie hatte damals jene letzten persönlichen Sachen hineingetan, die sie nicht wegwerfen, die sie aber auch nicht mehr betrachten konnte. Sie angelte den total verstaubten

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