Liebreiz, Mord und Kaktusstiche. Bernharda May

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Liebreiz, Mord und Kaktusstiche - Bernharda May

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Praktikum in einem Seniorenheim gemacht. Dort lernt man das.«

      Wir nutzten die Gelegenheit, unbeobachtet die Sachen meiner Tante zu durchwühlen. Ich schaute im Schlafzimmer nach, welche Art von Kleidung vorhanden war und welche fehlte. Tony inspizierte derweil die Mülleimer in der Küche und fand schließlich einen Hinweis im Altpapier, der uns weiterhelfen konnte.

      »Zwei Papierumschläge der Bahngesellschaft«, sagte er. »In solchen Umschlägen verschicken sie Zugtickets, das weiß ich.«

      »Also ist Tante Mariebelle mit dem Zug nach Niederfichtel gefahren«, erriet ich. »Was sie da wohl wollte?«

      Ich eiferte Tony nach und kramte ebenfalls im Altpapier, während Tony sein Handy hervorholte, sein Internet aktivierte und den Ortsnamen in eine Suchmaschine eintippte.

      »Sieh an«, sagte er. »es handelt sich bei Niederfichtel um einen ganz kleinen Ort am Rande des Gebirges. Gilt als Kurort, weshalb er einen eigenen Bahnhof bekommen hat. Wenig Einwohner, kaum Sehenswürdigkeiten, aber immerhin ein Schloss. Nennt sich Liebreiz.«

      Ich konnte mir die Bemerkung nicht verkneifen, dass »Schloss Liebreiz« ein alberner Name war.

      »Es heißt erst seit Kurzem so«, las Tony weiter vor. »Seitdem es umgewandelt wurde in ein… oha!«

      Er blickte auf.

      »Flo, auf einer Skala von eins bis zehn, wie hoch würdest du die Attraktivität deiner Patentante einschätzen?«

      »Was soll die dumme Frage?«

      Tony hielt mir sein Handy-Display vor die Nase. Schloss Liebreiz war, wie es schien, nichts anderes als eine Schönheitsfarm.

      »Mit Moorbädern, Diäten, Massagen, Gurkenmasken und allem«, grinste er.

      Ich überlegte. Tante Mariebelle war für ihr Alter nicht hässlich, aber ein bisschen fülliger als der Durchschnitt. Es war ihr durchaus zuzutrauen, sich vor einem Wanderausflug zunächst einer Schlankheitskur zu unterziehen, zumal, wenn sie dort professionell betreut wurde. Und natürlich würde sie niemandem, auch nicht mir, verraten, was sie vorhatte. Dafür war sie zu eitel.

      »Wir brauchen nur in Schloss Liebreiz anzurufen und nachzufragen«, meinte Tony.

      Ich war dagegen.

      »Am Telefon wird man uns nichts verraten. Tante Mariebelle könnte unter falschem Namen dort sein oder gewünscht haben, dass man keine Auskunft über sie gibt. Außerdem –«

      Ich zeigte auf den zweiten leeren Umschlag der Zuggesellschaft.

      »– fehlt ein weiteres Ticket. Es ist bestimmt das für die Fahrt zum Hohen Meißner. Im Schlafzimmer habe ich weder Wanderschuhe, noch ein Trekkingoutfit gefunden.«

      »Das heißt, sie könnte von Niederfichtel aus direkt zum Meißner gefahren sein«, schlussfolgerte Tony.

      »Und hat mich und das Bistro tatsächlich einfach nur vergessen«, seufzte ich.

      »Aber die Sache mit dem plötzlichen Ausfall ihres Handys?«, gab Tony zu Bedenken.

      Stimmt, das war nach wie vor merkwürdig. Ich wollte unbedingt herausfinden, was es damit auf sich hatte. Deshalb machte ich Tony folgenden Vorschlag:

      »Wir teilen uns auf. Für den Fall, dass etwas Ernstes passiert ist, erhöht das die Chance, dass wir Tante Mariebelle helfen können.«

      »Und für den Fall, dass du dir jedwede Gefahr nur einbildest, haben wir nicht allzu viel Zeit verschwendet«, fügte Tony hinzu. »Welchen Weg gebietest du mir also zu gehen?«

      Ich staunte über Tonys Ausdrucksweise.

      »›Jedwede Gefahr‹? ›Gebieten‹?«, äffte ich ihn nach und setzte noch eins drauf:

      »Warum, so künde mir, befleißigst du dich derart ausgewählter Sprache?«

      Tony lachte.

      »Schloss Liebreiz hat mich inspiriert«, entschuldigte er sich. »Ich habe mal bei einer Gauklertruppe gearbeitet, die regelmäßig auf Mittelaltermärkten aufgetreten ist. Dort haben wir alle so geredet.«

      »Na, dann ist Schloss Liebreiz das rechte Ziel für dich«, entschied ich. »Fahr hin und frag persönlich nach Tante Mariebelle. Ich gebe dir ein Foto mit.«

      »Und was willst du unternehmen?«

      »Ich werde alle Hotels rund um den Hohen Meißner abtelefonieren, ob sie dort irgendwo abgestiegen ist. Das wird dauern.«

      Ich schnappte mir ein Adressheft, das im Flur neben Tante Mariebelles Festnetztelefon lag, und steckte es ein.

      »Vielleicht finde ich einen Fred oder eine Gitta da drin«, sagte ich.

      In der Tür trafen wir ein letztes Mal Herrn Ullmann.

      »Sie gehen schon?«, fragte er. »Haben Sie das Buch gefunden?«

      Ich nickte und klopfte auf meine Handtasche. Tony schloss die Wohnungstür ab und reichte dem Nachbarn den Schlüssel. Der kicherte wieder eigentümlich vor sich hin.

      »Schon komisch«, sagte er, »solange Ihre Tante daheim ist, empfängt sie kaum Besuch. Jetzt ist sie im Urlaub und die Leute wollen ihr schier die Tür einrennen.«

      »Wie meinen Sie das?«

      Ich war verwirrt. Die geringe Anzahl von gerade einmal zwei Besuchern konnte auf den Greis kaum solch starken Eindruck gemacht haben, um eine Bemerkung wie eben zu rechtfertigen.

      »Es war heute noch jemand anderes hier und wollte zu Frau Puttensen«, erklärte er. »Ein hochgewachsener Kerl mit Halbglatze war das. Hab ihn nie zuvor hier gesehen. Hat sich nach Ihrer Tante erkundigt und ist wieder abgezogen.«

      Tony schaute mich fragend an. Ich zuckte mit den Achseln; die Beschreibung des Fremden sagte mir rein gar nichts.

      »Keine Angst, Fräulein Flo«, sprach Ullmann weiter. »Ich habe diesem Kerl natürlich nicht von meinem Schlüssel zu Frau Puttensens Wohnung erzählt. Bei den klobigen Schuhen, die er trug, hätte sie ihn niemals auf ihren Teppich gelassen, da bin ich sicher.«

      4. Nur ein kleiner Lauschangriff

      Auf dem Rückweg ging ich noch einmal bei Josés Bistro vorbei und erkundigte mich, wann genau Tante Mariebelle den Tisch vorbestellt hatte. Vielleicht hatte Tony recht und ihre Anfrage lag bereits Monate zurück, was ein zwischenzeitliches Vergessen ihrerseits wahrscheinlich machen würde.

      »Ich weiß nicht mehr, wann Señora Puttensen angerufen hat«, bedauerte Jośe.

      Er konnte mir zumindest versichern, dass sein Bistro keine Reservierungsanfrage entgegennahm, die über den Zeitraum eines Monats hinausging. Seine Aussage half mir insofern, als ich ausschließen konnte, meiner Patentante wäre unser Treffen schlicht entfallen. Das wäre ihr innerhalb von nur vier Wochen bestimmt nicht passiert.

      Die folgenden 48 Stunden verbrachte ich in meiner Einraumwohnung, mit krummen Rücken vor dem Laptop sitzend. Ich hatte die Jalousie heruntergezogen, damit der strahlende Sonnenschein mich nicht

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