Sonnenwarm und Regensanft - Band 1. Agnes M. Holdborg
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Ihre Gedanken schweiften ganz woanders hin – zu ihm!
Weil sie an diesem Abend ohnehin nichts Neues von Johannes erfahren würde und sie sich auf den Krimi so gar nicht konzentrieren konnte, streckte und reckte sie sich ein paarmal, stand dann auf und gab ihrem Vater einen kleinen Kuss. »Nacht, Papa. Grüß Jens und Lena, wenn sie kommen.«
»Mach ich. Nacht, Engelchen. Schlaf schön.«
»Ja, du auch.«
***
Obwohl sie todmüde war, fand sie in dieser Nacht keinen Schlaf.
Auch als Lena am späten Abend von ihrer Verabredung heimkam und leise das gemeinsame Zimmer betrat, um sich schlafen zu legen, war Anna immer noch wach.
Ständig schwirrte ihr dieser mysteriöse Viktor im Kopf herum. Er hatte einen tiefen Eindruck bei ihr hinterlassen. Trotzdem beschlichen sie Zweifel. Fast war ihr so, als hätte sie sich das alles nur eingebildet. Sein Gesicht tauchte zwar vor ihrem geistigen Auge auf, dennoch fragte sie sich, ob es vielleicht lediglich ihrer regen Fantasie entsprang. Schließlich hatte sie ja schon des Öfteren, gerade auf ihrer Lichtung Feen und Elfen tanzen gesehen.
Sie seufzte schwer und wälzte sich unentwegt hin und her.
»Kannst du nicht schlafen?«, fragte Lena im Bett nebenan.
»Nein, ja, ich … Hhm, ich bin wohl irgendwie ein bisschen aufgedreht.«
Gerne hätte sie ihrer Schwester von der Begegnung im Wald erzählt. Aber sie wusste, Lena hätte sie nicht verstanden. Wie auch? Sollte sie ihr sagen, manchmal, na ja, eigentlich sehr oft, im Wald laut vor sich hin zu faseln und dabei von einem äußerst attraktiven Jungen überrascht worden zu sein? Wohl kaum!
Und da sie das wusste, ließ sie es auch besser bleiben. Stattdessen sagte sie, dass sie noch ein Glas Milch trinken wollte, und stand wieder auf.
In der Wohnung war es still. Alle schliefen. Sie nicht. Die ganze Nacht.
***
Am nächsten frühen Morgen war sie zwar weiterhin todmüde, dennoch voller Tatendrang. Die Sonne strahlte wie am Tag zuvor, weshalb Anna am liebsten sofort in den Wald gelaufen wäre. Doch ihrer Mutter ging es nach wie vor schlecht. Außerdem hatte sie Anna ja gebeten, ihr ein wenig zur Hand zu gehen.
Da das eindeutig vorging, machte sich Anna zunächst an die Hausarbeit und begann danach, das Mittagessen für alle vorzubereiten. Sie versorgte die Mutter mit Kräutertee und versuchte vergeblich, sie dazu zu bewegen, eine Kleinigkeit zu frühstücken. Annas Besorgnis wuchs, wusste sie doch nicht, was Theresa fehlte. Sie nahm sich deswegen vor, alsbald beim Arzt anzurufen.
Entgegen diesen Sorgen musste sie ständig an den gestrigen Tag denken. Viktor – oder der Traum? – ging ihr einfach nicht aus dem Kopf.
»Sollte ich ihn wiedersehen, dann ist er mir so einige Antworten schuldig! Dann muss er mir allerhand erklären!«
Nach dem Mittagessen räumte sie eilig den Tisch ab. Langsam, aber sicher wurde sie nervös. Deshalb stellte sie das Geschirr auch nicht so ordentlich wie sonst, sondern mit viel Geklapper in die Spülmaschine und machte auch die Küche nur fahrig sauber. Trotz ihrer Ungeduld schaute sie aber noch einmal rasch nach der schlafenden Mutter. Anna legte ihr einen Zettel ans Bett, mit der Nachricht, sie auf dem Handy anzurufen, falls sie gebraucht würde. Dann schlich sie sich aufgeregt hinaus.
Als sie bemerkte, dass sie rannte, nahm sie sich zurück und ging in gemäßigtem Tempo zu ihrer Lichtung.
Dort herrschte wieder dies wundervolle grüngoldene Licht. Dieses Mal spielte zusätzlich eine sanfte Brise mit den Blättern. Sie zauberte tanzende Lichterpunkte in das flirrende Farbenspiel von Sonnenschein und Schatten und überzog Annas Lieblingsort mit mystischem Schimmer.
Wie leicht sie solch ein Sonnentanz im Wald in den Bann ziehen konnte. Als trüge dieser glanzvolle Tanz ihr Herz an ferne, unbekannte Orte. Fasziniert sah sie sich um, vergaß bei dem Anblick fast, warum sie so eilig hergekommen war, und setzte sich gedankenversunken an ihre Birke.
Und ehe sie sich versah, saß Viktor auch schon neben ihr. Einfach so! Nur einen Wimpernschlag zuvor hatte sie ein kurzes helles Blitzen im Augenwinkel vernommen. Anna hatte keine Zeit gehabt, sich zu erschrecken. Sie war mit Staunen beschäftigt und wollte ihren Augen nicht trauen.
»Das ist doch gar nicht möglich! Das ist ja viel zu verrückt, um wahr zu sein. Also träume ich wieder mal!«
»Schön, dass du gekommen bist, Anna«, holte er sie aus ihren gedanklichen Zweifeln und bedachte sie auch heute wieder mit einem warmen, freundlichen Lächeln.
Obschon verwirrt, war sie daneben hingerissen von ihm, genau wie am Tag zuvor. Es gelang ihr nur eine zögerliche Antwort: »Ja, mit Brille, hhm, schön.«
»Mit Brille? Mensch, Anna, blöder geht’s wohl nicht!«
Viktor sah verdächtig danach aus, als müsste er sich ein Lachen verkneifen. Dann schmunzelte er. Allem Anschein nach amüsierte er sich köstlich über ihre Erwiderung, was sie aus irgendeinem unerfindlichen Grund maßlos ärgerte.
»Was?«, fragte sie daher etwas zu laut.
Er schien unbeeindruckt. »Nichts«, gab er zurück. »Du siehst heute nur wieder so hübsch aus, besonders mit deiner Brille. Die steht dir wirklich gut.«
»Na, wenn du meinst.« Sie glaubte ihm kein Wort, schon gar nicht das mit der Brille.
Viktor neigte den Kopf zur Seite und musterte sie. »Du klingst ziemlich gereizt. Habe ich was Falsches gesagt? Bist du wieder traurig?«
Ja, da gab es so einige Punkte, die ihrer Gereiztheit Schwung gaben, dachte Anna: Die Sorge um Theresa. Der immerwährende und anstrengende Streit mit Jens. Der derzeit missmutige Vater. Die stets sorglos anmutende Schwester. Noch dazu nannte Viktor Anna hübsch. So ein Stuss! Und schlussendlich hatte sie in der vergangenen Nacht kein Auge zugetan. Aus all diesen Gründen war sie tatsächlich ein wenig gereizt.
Ohne weiter zu überlegen, sprudelte es einfach aus ihr heraus: »Nein … Ja …« Sie räusperte sich. »Okay, pass auf: Meine Mutter, die ist krank. – Und wer soll hübsch sein, ich? Ach, und was hast du nur andauernd mit meiner Brille? Wieso interessiert dich das überhaupt? Wieso interessierst du dich überhaupt für mich? Ich verstehe das einfach nicht!«
Ihre Müdigkeit war wie weggeblasen. Jetzt war sie einfach nur aufgebracht, so sehr, dass sie wusste, ihre Augen würden funkeln. Diese ganze Situation zu Hause und Viktor, seine geheimnisvolle Art, seine Worte, aber auch ihre unglaubliche Freude über eben genau diese Worte – all das, all dieses Hin und Her machten sie noch verrückt.
»Hey, nicht.« In Viktors Stimme schwang ein mitfühlender Unterton. Dabei überraschte er sie, indem er mit einer sehr schnellen Bewegung näher an sie heranrückte und ihre Hand nahm.
Sofort spürte Anna wieder diese eigenartig wohlige innere Sonne: hell, warm, tröstend.