Sonnenwarm und Regensanft - Band 1. Agnes M. Holdborg
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Ohne zu bemerken, dass ihr eine Träne die Wange entlanglief, schaute sie ihm in die tiefblauen Augen. Vorsichtig nahm Viktor die Träne mit seiner Fingerspitze auf und hielt sie ins Licht. Sie glitzerte in der Sonne wie ein funkelnder Diamant.
»Selbst deine Tränen sind besonders«, flüsterte er.
Nun stockte ihr der Atem. Sie konnte einfach nicht mehr richtig Luft holen. Schnell ließ er ihre Hand los und blickte sie zunächst ernst an, um sie dann übergangslos mit einem Lächeln zu bedenken.
»Nein!«, rief er munter aus. »Schluss mit Trübsal blasen! Wie wäre es mit einem kleinen Spaziergang? Der würde dir gefallen und dich auf andere Gedanken bringen, könnte ich mir vorstellen. Dieser Wald ist zwar nicht gerade der größte, aber ich glaube, so manches schöne Plätzchen ist dir bestimmt entgangen. Was meinst du?«
Er hatte es tatsächlich geschafft. Anna fühlte sich erheblich wohler und schmunzelte nun belustigt in sich hinein. Schließlich kannte sie hier so gut wie jeden Baum und Strauch. »Na schön«, erwiderte sie trotzdem ernst und wollte rasch aufstehen, hatte allerdings schon wieder weiche Knie und wieder half Viktor ihr auf.
Sie gingen den ihr bekannten verschlungenen schmalen Pfad weiter hinauf.
»Der ist gut! Als wenn der sich hier besser auskennen würde als ich!«
Für den Bruchteil einer Sekunde trat Viktor einen Schritt vor und murmelte in einer eigenartigen, für Anna unverständlichen Art leise vor sich hin. Nach einer weiteren Biegung kam ihr auf einmal alles so fremd und eigenartig vor, dass sie stutzte.
»Ist was?«, wollte Viktor in unbeteiligtem Ton wissen.
»Nein, nichts Besonderes«, entgegnete sie trocken und ärgerte sich gleichzeitig, weil sie wieder einmal ihre Standardantwort gegeben hatte.
Während sie noch ein Stück liefen, verrenkte sich Anna fast den Hals, als sie sich neugierig umsah. So bemerkte sie zunächst nicht, wie Viktor immer wieder verstohlen zu ihr herüberschielte und sich über ihre augenscheinliche Verwirrung zu amüsieren schien.
»Ich hab ja gesagt, dass du nicht alles hier im Wald kennst, Anna.«
Sie antwortete nicht, sondern betrachtete weiterhin die Umgebung. Die Bäume hier wirkten irgendwie anders: größer, höher, dichter, als sie es gewohnt war. Dennoch war alles hell und luftig und dabei so seltsam still. Anna wusste einfach nicht, was sie davon halten sollte.
Noch bevor sie die Gelegenheit erhielt, eingehend darüber nachzudenken, nahm Viktor sie bei der Hand und zog sie blitzschnell durch ein dichtes Gebüsch.
Da tat sich eine Lichtung vor ihnen auf, viel größer als ihre, sehr viel größer, dazu einfach nur traumhaft schön.
Mitten hindurch plätscherte munter ein Bach. Schillernde Schmetterlinge flatterten über bunte Blumen, die auf einer Wiese gemeinsam mit Farnen, Moosen und Flechten wuchsen.
Anna machte große Augen. Es fiel ihr außerordentlich schwer, alles auf einmal zu erfassen:
Diese spektakuläre Lichtung mit einer Pflanzenvielfalt, wie sie ihres Erachtens hier eigentlich gar nicht wachsen dürfte.
Dieses Licht, das – wieder fiel Anna nicht nichts Besseres ein – anders war. Es strahlte. Nicht gleißend, sondern wie im Morgendunst. Es wirkte diffus und transparent, gleichzeitig aber gläsern hell.
Dann dieser Himmel, der sich in einem Blau über ihnen spannte, das sie so noch nie gesehen hatte.
All das zusammen – Pflanzen, Farben, Licht und Himmel – gab sich so lebensfroh und freundlich, fügte sich zu einem fremden und doch vertrauten und eben spektakulären Bild.
Fasziniert ließ Anna Viktors Hand los, ging langsam zu dem Bach, setzte sich am Ufer ins Gras und schaute in das glasklare Wasser, das unter ihr gurgelte und gluckste. Darin entdeckte sie zahlreiche kleine Fische.
»Das ist eindeutig zu viel für mich«, flüsterte sie matt. »Es kann ja nur ein Traum sein. So etwas gibt’s doch nicht.«
Viktor war ihr gefolgt, ließ sich neben ihr nieder, pflückte eine kleine Butterblume und spielte gedankenverloren damit. Anna gewann den Eindruck, als würde die gelbe Blüte bei seiner Berührung wachsen und dabei pulsierend leuchten. Verstört starrte sie erst die Blüte, dann ihn an, sodass er die Blume schnell zur Seite legte.
Sie atmete tief durch. »Okay, hör zu. Ich finde, du könntest mir allmählich ein paar Antworten geben.«
»Ich dachte halt nur, dir würde es hier gefallen, Anna. Ich dachte, so könnte der Ort aussehen, an dem du bist, wenn du träumst und redest. Deshalb wollte ich dir das hier zeigen«, erklärte er leise. »Außerdem hast du mich doch noch überhaupt nichts gefragt.«
»Viktor, ich bitte dich!«, empörte sie sich, redlich bemüht, die Fassung zu wahren. »Okay, wie wär’s damit?«, meinte sie. »Wer bist du? Wo kommst du her? Wie machst du das alles? Träume ich?«
»So viele Fragen, Anna?« Er legte den Kopf schief. »Na ja, du träumst nicht, glaub mir. Du bist hier, und zwar mit mir. Ich bin Viktor, wie du bereits weißt. Außerdem mache ich doch gar nichts. Was meinst du denn damit? Ich zeige dir doch nur den ganzen Wald. – Fast«, fügte er noch kleinlaut hinzu.
»Nein, Viktor, nein!«, rief sie nun wieder erregt aus. »Das hier, das ist einfach nicht normal. Es ist zwar wunderschön, keine Frage, aber hier stimmt doch was nicht. Es ist wie ein Traum, der sich allerdings überhaupt nicht wie ein Traum anfühlt. Das geht aber doch gar nicht. Das ist total verrückt!«
»Anna, bitte.«
»Nein, ich möchte gehen. Ich möchte sofort nach Hause.« Ihr fröstelte trotz der sonnig warmen Atmosphäre dieses seltsamen Ortes.
Viktor sah sie forschend an. »Anna, ich bringe dich gerne zurück. Aber wäre es wohl zu viel verlangt, wenn du mir vorher ganz kurz zuhören würdest?«
Sein Blick war derart flehend, dass sie auf der Stelle seufzend nickte und damit seine Miene deutlich aufhellte. Er schien von innen heraus zu leuchten, jedenfalls sah es in Annas Augen so aus.
Erneut nahm er die Blume zur Hand, so, als würde sie ihm helfen, die richtigen Worte zu finden. Und wieder schwoll sie in seiner Hand strahlend an.
Anna platzte fast vor Erwartung. Stocksteif, mit durchgedrücktem Rücken saß sie neben ihm.
Verlegen blickte er zu Boden, fing dann langsam an zu sprechen: »Du hast natürlich recht. So ganz normal ist das für dich wohl nicht.« Er hob den Kopf und sah sie durchdringend an. »Für mich aber schon. Und du träumst nicht, hörst du, Anna. Du träumst das nicht. Das hier, das ist meine Welt. Hier gehöre ich hin, ich und meine Schwester Viktoria. Dies ist unser Wald, unser Land, unser Leben.«
Anna riss die Augen auf. »Unser Land? Unser Leben? Was meinst du denn damit?«
»Also, das ist so.« Er zögerte, als suchte er wieder nach den richtigen Worten. »Anna, kannst du dir vielleicht vorstellen, dass manche deiner Träume gar nicht soo fantastisch sind, sondern wahr?«
»Hä, was soll wahr sein?« Sie konnte nicht anders. Sie musste einfach dazwischenfragen. »Meinst du etwa so was wie: Es gibt Zauberer und