Sonnenwarm und Regensanft - Band 1. Agnes M. Holdborg
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Читать онлайн книгу Sonnenwarm und Regensanft - Band 1 - Agnes M. Holdborg страница 9
»Na ja, ganz so ist es ja auch nicht. Nur etwas«, erwiderte er vorsichtig. Auf seinen Wangen tauchte ein Hauch von Rosa auf. »Meine Zwillingsschwester Viktoria und ich.« Er räusperte sich verlegen. »Wir sind …«
»Was, Viktor? Was seid ihr?«
»Wir … Wir sind … Ähm … Tja, wir sind – Halbelfen!« Das letzte Wort stieß er förmlich aus sich heraus. Danach schüttelte er seine Haarpracht, ganz so, als wäre er erleichtert, ja, sogar stolz, es endlich rausgebracht zu haben.
»Hat er Halbelfen gesagt?«
»Halbelfen? Halb Elfe, halb was?«, wollte Anna wissen. Sie hörte sich dabei erheblich ruhiger an, als ihr zumute war.
Wieder einmal schien Viktor ihre Gemütsverfassung zu erkennen. Er legte die Blume beiseite und nahm ihre Hände.
Eine gewaltige Lawine warmen Sonnenlichts durchflutete Anna. Es floss regelrecht in sie hinein, anders konnte sie es nicht beschreiben. Daran verblüffte sie ganz besonders, dass sie sich auf der Stelle beruhigte.
»Halb Elfe, halb Mensch, Anna. Das sind wir«, antwortete er nun gelassen.
»Elfe! Er sagt immer Elfe!«
»Aber, wie ist das möglich? Wie kann das sein?« Jetzt zweifelte Anna doch an ihrem Verstand.
Offenbar entlockte ihr ungläubiges Staunen ihm ein kleines Schmunzeln. »Tja, du musst nur einfach akzeptieren, dass es manche Fabelwesen wirklich gibt.« Er wurde ernst. »Ja, ich weiß, das ist nicht so einfach. Aber versuch es doch bitte, wenigstens ein bisschen, ja? Es macht mir meine weiteren Erklärungen leichter, wenn du nicht so zweifelst und mich nicht anschaust, als sei ich irgendein Biest.«
»Nein, du bist kein Biest«, gab sie hastig zurück. »Tut mir leid, wenn ich mal wieder so bescheuert aus der Wäsche gucke. Ich wollte dich nicht kränken. Ich muss es nur …«
»… glauben, Anna?«
»Ja, hhm, glauben. Das ist schwer. Das ist echt nicht leicht. Aber ich versuche es. Bitte erzähl weiter, ich hör dir zu.«
Anna versuchte, sich ein wenig zu entspannen, auch wenn es ihr unsagbar schwerfiel. Auf keinen Fall aber wollte sie Viktor vergraulen.
So fuhr er weiter fort: »Unser Vater, Vitus, er ist ein Elfenkönig.« Sein Gesicht nahm einen merkwürdigen Ausdruck an, fast so, als hätte er Angst vor seinem Vater. Doch dann hellte sich seine Miene auch schon wieder auf. »Eigentlich heißt er Viniestra Tusterus, erster Sohn der Tustera. Aber alle nennen ihn nur Vitus. Ich glaube, er mag es nicht, wenn man ihn bei seinem vollen Namen nennt. Genau wie unser Onkel. Der heißt nämlich Capiestra Tusterus, zweiter … Na ja, du weißt schon. Er wird Estra genannt.«
»Und eure Mutter?«
»Unsere Mutter hieß Veronika. Sie war ein Mensch. Sie …«
»War? Sie war ein Mensch?«, unterbrach sie ihn.
»Ja, sie starb direkt nach unserer Geburt. Vater konnte ihr nicht helfen.«
»Oh, Viktor, das tut mir furchtbar leid. Das ist schrecklich traurig.«
Er nickte. »Das ist es, Anna. Unser Vater ist seitdem sehr verbittert. Er hat sie abgöttisch geliebt und ist mit dem Schmerz nicht fertiggeworden. Uns hat er zu Estra, seinem Bruder, und dessen Frau Isinis gebracht. Bei ihnen sind wir aufgewachsen.« Als er ihr unglückliches Gesicht sah, fügte er rasch hinzu: »Sehr glücklich aufgewachsen, Anna. Estra und Isinis lieben uns wie ihre eigenen Kinder. Es war schön bei ihnen, wirklich schön. Aber nun sind wir achtzehn Jahre alt und erwachsen. Wir wollen mehr von der Welt, natürlich besonders von der Menschenwelt, sehen und verstehen.«
Viktor sprach nicht weiter. Anna glaubte zu spüren, dass ihn die Schilderungen über seine Eltern mehr bedrückten, als er zu erkennen gab. Sie empfand instinktiv, dass sie ihm heute keine weiteren Fragen stellen sollte. Er wollte anscheinend nicht mehr darüber reden, also beließ sie es dabei. Außerdem hatte sie selbst schon mehr gehört, als sie verdauen konnte.
»Du bist also ein halber Mensch«, stellte sie fest und kicherte. »Das ist doch schon mal was«, rutschte es ihr zudem heraus.
Erst kicherte auch er leise, doch dann begann Viktor schallend zu lachen und riss Anna förmlich mit. Beide saßen sie da und hielten sich die Bäuche, während sie gar nicht mehr aufhören konnten, zu kichern und zu lachen.
»Ja«, stieß er erleichtert aus, als er es endlich konnte, »das ist doch schon mal was, nicht wahr, Anna?«
Der König
Das Meer war spiegelglatt. Es war vollkommen ruhig. Er aber nicht. Er war nie ruhig. Er war stets rastlos. Die jahrelange Trauer hatte Viniestra Tusterus, genannt Vitus, innerlich verzehrt. Nicht seine Kraft! Er war mächtiger denn je. Seine Seele aber war fast verbraucht. Und der kleine Rest davon hielt sich fest versteinert tief in seinem Innersten verborgen.
Das stete, beinahe schon liebliche Plätschern und Rauschen der See war ihm heute eindeutig zu wenig. Er brauchte mehr. Ihm fehlte ihr Stürmen, Grollen und Tosen, damit es seine finsteren Gedanken vertrieb und ihm die Sinne reinigte. Das Meer sollte ihm Vergessen schenken. Meist war es so rastlos wie er und auch genauso unberechenbar. In dieser Nacht allerdings nicht. Doch war er einfach zu tief erschöpft, um etwas daran zu ändern.
»Ich bin schon viel zu lange hier«, überlegte er. »So lang, ich weiß gar nicht, wie viel Zeit seitdem vergangen ist. Waren es Wochen oder Monate? Ich sollte später darüber nachdenken. Erst muss ich mich jedoch vergewissern, ob alles in Ordnung ist. Ich traue ihnen nicht. Sie sind seit geraumer Zeit irgendwie so eigenartig still und zurückhaltend. Das ist sehr verdächtig. Ich kenne diese Brut, da stimmt etwas nicht. Nun denn, wir werden sehen.«
Es war eine sternenklare Vollmondnacht, in der Vitus an einem breiten Strand auf das offene Meer hinausblickte, dabei inständig hoffte, dass es ihm mit seiner Brise die dunklen Gefühle fortblies. Doch sosehr er sich auch darum bemühte, heute hatte er keinen Erfolg damit. Es war einfach viel zu ruhig.
Als das wunderschöne Antlitz seiner geliebten Veronika langsam in ihm auftauchte, sah er sich nicht dazu in der Lage, es wieder zu verbannen. Dieses feine und liebliche Gesicht mit den vollen weichen Lippen und den leuchtend dunkelblauen Augen. Alles umrahmt von dichten braunen Locken, in denen immer so ein mahagonifarbenes Licht spielte. Der Gedanke an sie zerriss ihm schier das Herz. Er hatte sie geliebt, so sehr geliebt. Und sie hatte ihn verlassen. Die Erinnerungen stiegen unaufhaltsam in ihm hoch und griffen nach dem Rest seiner verborgenen Seele. Klein und zart war ihre Gestalt. Elfengleich, so sagten die Menschen.
»Elfengleich«, flüsterte er schwach lächelnd und schüttelte den Kopf. »Ja, ein Mensch hätte sie wohl so beschrieben.«
Nur war sein Elfenvolk in Wirklichkeit ganz und gar nicht klein und zart. Elfen waren in der Regel groß und stark, zwar meist auch sehr schön und anmutig, aber ganz gewiss nicht klein und zart. Die Mehrzahl von ihnen jedenfalls. Doch Veronika war ja auch keine Elfe gewesen, sondern ein Mensch.
Vitus wurde zornig, weil ihn seine Gedanken zu ihr getragen hatten,