Wolken, Land und Wasser. Michael Schenk
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Frau Indara war die unbestrittene Herrin des Marktes von Llaranea. Sie war klein, mollig und gutmütig, doch das durfte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie über den Markt und sein Treiben wachte und keinen Regelverstoß duldete. Sie trug ein langes Kleid mit langen Ärmeln, schlicht, jedoch aus bester Wolle. Darüber eine ärmellose Jacke mit zahlreichen Taschen, in denen sie persönliche Dinge und jene Gegenstände mit sich führte, die sie für ihre Funktion benötigte. Die Füße steckten in flachen weichen Schuhen, die Indara zusätzlich ausgepolstert hatte, denn ihre Fülle und die langen Fußwege verursachten ihr abends stets schmerzende Beine. Ein breiter Gürtel vervollständigte ihre Kleidung. An ihm hing ein Beutel mit goldenen Schüsselchen.
Einst hatte man im Pferdevolk des Hochlords nur den Tauschhandel gekannt. Handel und Freundschaft mit dem Königreich von Alnoa führten dazu, dass man dessen Währung übernahm. Zuvor hatte Gold nur dem Zierrat gedient, doch nun goss man es in runde Formen von Daumennagelgröße. Die Bezeichnung als „Schüsselchen“ rührte daher, dass der Landesherr, dem allein die Herstellung vorbehalten war, sein Zeichen in die Goldmünze schlagen ließ. Die Wucht des Schlages hinterließ in dem weichen Metall eine leicht gewölbte Form.
Frau Indara war in Begleitung eines Schwertmannes. Llaranea verfügte über eine Garnison. Diese befestigten Anlagen wurden als Reet bezeichnet. In ihnen waren berittene Schwertmänner und Fußgardisten stationiert. Der Mann, mit dem langen grünen Umhang der berittenen Krieger, begleitete die Herrin des Marktes zu Fuß. Er war das sichtbare Symbol, das Frau Indara im Namen des Hochlords handelte. Seine Präsenz sollte ihren Entscheidungen und ihrem Schlichtungsspruch bei Unstimmigkeiten, Nachdruck verleihen. Er brauchte die Hand jedoch nur selten an den Griff seines Schwertes zu legen, denn die Autorität der Frau war unbestritten. Weitaus öfter musste er die Hand an eine Umhängetasche legen, in der sich die Prüfgewichte für die Waagen befanden.
Das bekam auch einer der Händler zu spüren. Frau Indara und der Schwertmann hatten einen kleinen Imbiss zu sich genommen, als sie den Disput zwischen dem Händler aus Llaranea und einem anderen hörten, der aus einem der Weiler stammte. Eigentlich war man sich über den Preis der Tuchwaren einig, die der Weiler auf dem Markt anbot, doch scheinbar gab es Unstimmigkeiten über den Gegenwert.
„Es ist beste Handarbeit und die Frauen unseres Weilers haben lange und sorgfältig gearbeitet, um das Tuch zu weben“, beharrte der Vertreter der kleinen Siedlung. „Feine Handarbeit und nicht der grobe Dung, den ihr hier auf den dampfbetriebenen Webstühlen produziert. Unser Tuch verlangt nach einem gerechten Preis.“
„Den ich Euch biete“, knurrte der Tuchhändler aus Llaranea.
„Ja, der Preis ist gerecht, doch mir scheint, unsere Tuchballen haben auf der Reise an Gewicht verloren.“
Tuch wurde nach Gewicht und Beschaffenheit bemessen und nicht nach seiner Länge. Der Händler des Weilers deutete mit seiner Behauptung an, dass sein Pendant aus Llaranea das Gewicht der Ballen zu niedrig ansetzte.
„Vielleicht hat es in Eurem Weiler geregnet, als Ihr das Tuch gewogen habt“, hielt der Tuchhändler dagegen. „Es ist nur natürlich, dass es da ein wenig mehr gewogen hat.“
„Und vielleicht sind Eure Gewichte zu alt und der Rost hat an ihnen gefressen. Jedenfalls stimmt nicht, was Ihr an Gewicht gewogen habt.“
Das Lächeln des Mannes aus Llaranea gefror. „Nennt Ihr mich einen Betrüger?“
Ringsum schienen die Gespräche zu verstummen. Ein furchtbarer Vorwurf stand im Raum und schlagartig richtete sich die Aufmerksamkeit der Umstehenden auf die Kontrahenten.
Frau Indara kam gerade hinzu, als der Tuchhändler die Hand an den Griff seines Ehrendolches legte. „Im Namen des Hochlords Nedeam, haltet ein!“
Indara trat zwischen beide Kontrahenten und sah sie mit blitzenden Augen an. „Ihr werdet euch mir erklären. Erst Ihr, Händler des Weilers, und ich will kein Geschwätz hören.“
Der Mann klagte sein Leid und der Vorwurf des Betrugs war nicht zu überhören. In der Menge war gelegentlich leises Raunen zu vernehmen, wenn die Anwesenden für den einen oder anderen Händler Partei ergriffen. Der Tuchhändler aus Llaranea wollte seinem Widersacher mehrmals ins Wort fallen, beherrschte sich jedoch angesichts des grimmigen Ausdrucks des Schwertmanns. Dann war er an der Reihe und beteuerte die Korrektheit seiner Gewichte und das er stets einen ehrlichen Handel betreibe.
Schließlich hob Frau Indara die Hand und gebot Schweigen. „Nun gut, ihr Herren, ich werde nun die Waage prüfen und dann werden wir ja sehen, wessen Worte die Wahrheit sprachen.“
Der Schwertmann nahm nacheinander die geprüften Gewichte Indaras aus seinem Beutel und stellte sie, mit dem entsprechenden Pendant des Händlers auf der anderen Seite, auf die Fläche der Waage. Das Ergebnis war eindeutig.
„Die Gewichte sind gleich“, verkündete die Herrin des Marktes. „Doch die Skala der Waage ist fehlerhaft.“ Wütendes Gemurmel erhob sich gegen den Tuchhändler und erneut gebot Indara Ruhe. „Haltet ein, denn der Tuchhändler ist nicht des falschen Handels schuldig. Seine Waage zeigt zu wenig an. Doch das gilt gleichermaßen für die Warenwaagschale und die mit dem Gewicht. Tuchballen und Gewicht wiegen somit gleichermaßen zu wenig. Dies gleicht sich aus. Keiner erlangt einen Vorteil. Der ausgehandelte Preis für das Tuch ist somit gleich ausgewogen, doch damit gerecht gezahlt wird, muss eine neue Waage her. Der Tuchhändler aus Llaranea hat diese zu beschaffen. Dann mag neu gewogen und die gerechte Zahl an Schüsselchen entrichtet werden. Das verkünde ich, Indara, als Herrin des Marktes von Llaranea und im Namen des Hochlords Nedeam.“
Das Gerät war fehlerhaft, doch niemand war absichtlich betrogen worden und so konnten beide Händler ihr Gesicht wahren.
Der Tradition folgend verneigten sich beide Männer voreinander und bekundeten so, dass kein Unmut zwischen ihnen stand. Während Helfer des Tuchhändlers zu einem Schmied eilten, um eine neue Waage zu besorgen, schlenderte Indara mit ihrem Begleiter weiter.
Plötzlich entstand erneute Unruhe.
„Seht dort! Am Himmel!“
Aus einem einzelnen Ruf wurden erregte Schreie und immer mehr Blicke richteten sich in den Himmel hinauf. Drei seltsame Objekte waren dort sichtbar, die sich langsam der Stadt näherten.
„Das … sind keine Lebewesen“, stellte Indara überrascht fest. „Das sind Schiffe, die den Himmel befahren!“
„Himmelssegler!?“ Der Schwertmann neben ihr umklammerte den Griff seiner Waffe. „Die alten Legenden berichten von Himmelseglern, die das Königreich Alnoa einst besaß.“
Kurz vor dem Untergang des alten Kontinents, durch den verheerenden Ausbruch eines Vulkans und der Flucht mit Hilfe der Evakuierungsflotte, hatte das Königreich Alnoa die ersten Luftschiffe entwickelt. Inzwischen hielt man die Berichte über sie allerdings für eine Legende. Doch was jetzt am Himmel schwebte, das war real.
„Jedenfalls sind es Dinge, die von sehr geschickten Händen gefertigt wurden“, stellte ein Glasschmelzer fest, der gerade ein von ihm gefertigtes Langauge ansetzte. „Es fragt sich nur, wessen Hände.“
„Soll ich das Reet alarmieren