Anno 2100 - Moderne Kurzgeschichten und Gedichte über das 21. Jahrhundert. Gino Aliji

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Anno 2100 - Moderne Kurzgeschichten und Gedichte über das 21. Jahrhundert - Gino Aliji

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Woche später wurde ein globales Fischereiverbot verhängt und alle Ölgiganten, die mittlerweile hauptsächlich mit erneuerbaren Energien ihr Geschäft machten, wurden verpflichtet, sämtliche ihrer ehemaligen Ölquellen in den Meeren sicher zu versiegeln. Kurz darauf folgte ein globales Produktionsverbot für Plastikgüter aus fossilen Rohstoffen und ein strenges Recyclinggebot für Plastik aus organischen Rohstoffen. Man wollte verhindern, dass noch mehr unzersetzbares Plastik und Öl in die Weltmeere floss.

      Natürlich versuchten sich die Firmen gegen solch eine teure Verpflichtung zu wehren, aber bevor ihre Lobbyisten auf die Politiker einreden konnten, war es bereits zu den größten zivilen Massenprotesten der modernen Geschichte gekommen, die als die We-Are-The-World-Bewegung in die Geschichte eingingen.

      Von solch großem Erfolg beflügelt, gingen die Regierungschefs der Welt das nächste Problem an, nämlich die Säuberung der Ozeane. Allerdings herrschte zu Beginn viel Fraglosigkeit. Niemand schien zu wissen, wie man so ein großes Projekt angehen sollte. Aber zum Glück meldete sich ein junger Mann aus dem holländischen Bundesstaat der Vereinigten Staaten von Europa und hatte eine Lösung parat. Er träumte von riesigen schwimmenden Inseln, die durch die Ozeane glitten und sie von dem dort herumschwimmenden Müll befreiten. Das Eden-Projekt war geboren. Dieses globale Projekt sah nicht nur den Bau von marinen Reinigungsstationen auf den Weltmeeren vor, sondern auch die Wiederaufforstung der Regen- und Urwälder, die Verwertung und Entsorgung des Atommülls von früher und den Aufbau einer globalen Recyclingwirtschaft. Die Menschen hatten bis zu dem Zeitpunkt so viele Rohstoffe aus der Erde geholt und verarbeitet, dass der Bedarf an neuen Rohstoffen allein durch Recycling gedeckt werden konnte.

      Bereits 2043 begannen die ersten Konstruktionsarbeiten der Archen. Insgesamt sollte es fünf von ihnen geben und sie sollten sich in jeweils einem von fünf globalen Strömungswirbeln aufhalten, in denen sich der Großteil des Plastikmülls über die Jahre angesammelt hatte. Geleitet wurde das Projekt von der UNO, aber jeder einzelne Staat beteiligte sich am Bau der Archen. Immerhin ging es hier um das Allgemeinwohl nicht nur von uns, sondern auch von der Erde.

      2046 war es schließlich soweit. Alle fünf Archen – die Jangtse, die Nil, die Mississippi, die Amazonas und die Donau – nahmen in dem Jahr ihre Arbeit auf und begannen, die Weltmeere nach und nach von der Plage der vergangenen Jahrzehnte zu befreien. 2046 war auch das Jahr, in dem ich als eines der ersten Archenkinder auf der Donau geboren wurde.

      ***

      Ich war die ganze Zeit so sehr mit dem Schreiben meines Aufsatzes beschäftigt, dass ich gar nicht merkte, wie spät es mittlerweile geworden war. Von meinem Vater war allerdings noch immer keine Sicht.

      „Hoffentlich kommt er bald“, murmelte ich leicht enttäuscht vor mich hin.

      Und schwupps kam mein Vater auch schon durch die Wohnungstür gelaufen. Wenn man vom Teufel spricht …

      Beim Reinkommen warf er mir einen entschuldigenden Blick zu. „Mensch, heute war aber echt ein anstrengender Tag. Mehrere der Einfangarme haben rumgemuckt und es hat sich immer wieder Müll in ihnen verfangen“, erzählte er mir, als wir uns zur Begrüßung umarmten und gemeinsam in die Küche gingen, um das Abendessen vorzubereiten. „Tut mir leid, dass du so lange auf mich warten musstest.“

      „Schon gut“, beruhigte ich ihn, „ich hatte sowieso zu tun.“

      „Ach ja?“, fragte mein Vater sichtlich interessiert. „Hast du wieder versucht, KAI ein paar Witze beizubringen?“

      Ich musste lachen. „Nein, heute mal ausnahmsweise nicht. Wir müssen für die Schule einen Aufsatz über unsere Arche und unser Leben hier schreiben. Die Texte sind nicht nur Teil unserer Abschlussbewertung, sondern werden sogar zu Schülern auf den anderen Archen und den Kontinenten geschickt, damit sie sehen können, wie wir hier so leben.“

      In der Stimme meines Vaters war zu hören, dass er beeindruckt war. „Oh, das klingt aber interessant. Ich würde gerne wissen, wie es den Kindern auf den anderen Archen so geht. Deine Mutter und ich … wir haben lange überlegt, ob wir dich wirklich hier großziehen sollen …“

      Plötzlich wurde die Stimmung etwas getrübt. Ich konnte meinem Vater die Trauer jedes Mal ansehen, wenn er von meiner Mutter sprach. Ich kannte sie zwar nicht, weil sie ein Jahr nach meiner Geburt verstarb, aber ich teilte das Leid meines Vaters.

      Beim Abendessen konnte die drückende Frage, die mir auf dem Herzen lag, nicht länger zurückhalten.

      „Papa, für meinen Aufsatz musste ich viel über die Geschichte der Archen nachschlagen und dabei ist mir immer wieder aufgefallen, wie zerstörerisch und respektlos die Menschen früher mit der Erde und der Natur umgegangen sind. Was hatten sie sich damals dabei gedacht, ihren Müll einfach im Meer zu entsorgen? Wussten sie denn nicht, dass es irgendwann Konsequenzen haben würde?“

      Mein Vater überlegte einen Moment. Wahrscheinlich wollte er seine Worte richtig wählen.

      „Ich weiß es ehrlich gesagt nicht genau. Ich glaube eher, dass die meisten Leute damals einfach nicht weit genug vorausdachten und vielleicht sogar hofften, dass sich die Probleme irgendwann von selbst lösen würden. Ich denke, die Leute von damals waren einfach ein wenig zu naiv …“

      Ich runzelte meine Stirn. „Unsere Vorfahren waren nicht gerade die Hellsten, oder?“

      Der ernste Gesichtsausdruck meines Vaters lockerte sich etwas. „Nun, natürlich gab es schon damals Wissenschaftler und Organisationen, die explizit davor warnten, dass die anhaltende Verschmutzung des Planeten zur einer großen Krise für die Natur und den Menschen führen würde. Aber vor 2030 waren die Konsequenzen nicht so extrem sichtbar und kamen eher schleichend.“

      „Achso ist das…“, sagte ich und stocherte mit der Gabel in meinem Gemüse herum.

      „Als Kind der neuen Generation kannst du das wahrscheinlich nicht mehr richtig nachvollziehen“, fuhr mein Vater fort, „aber ich wurde 2014 geboren und von der Welt um mich herum ganz anders erzogen. Damals achtete man nicht so auf die Umwelt. Die Mode war es, möglichst viel unnötigen Krimskram zu kaufen – der damals hauptsächlich aus Plastik bestand – und hübsche aber schmutzige Autos zu fahren.“

      „Hmm, wenn ich so darüber nachdenke“, sagte ich, „bin ich froh, im Hier und Jetzt zu leben und dabei helfen zu können, die Erde von all dem Müll zu befreien. Außerdem kann nicht jeder auf so einer wundervollen Arche leben, also ist das schon etwas Besonderes.“

      Da musste mein Vater lachen. „Da hast du wohl recht, meine Kleine.“

      ***

      Nach dem kleinen Ausflug in die Geschichte, möchte ich jetzt gerne von mir und meinem Leben auf der Arche Donau berichten. Ich weiß eigentlich gar nicht recht, was ich da berichten soll … Für mich ist das Leben auf der Donau eigentlich ganz normal. Man steht früh auf, geht in die Schule, macht seine Hausaufgaben und hilft zwei Mal in der Woche den Erwachsenen bei ihrer Arbeit. Meistens gehe ich dann meinen Vater besuchen und helfe ihm unten in der Recyclinganlage, für die er zuständig ist. Dort wird der von der Arche eingesammelte Plastikmüll entweder verbrannt oder zu kleinen Plastikpellets zerkleinert, mit denen wiederum neue Plastikprodukte für die Bereiche des Lebens hergestellt werden, wo sie unersetzlich sind. Mein Vater sagt, dass wir die Pellets an Firmen schicken, die daraus zum Beispiel Einweg-Gummihandschuhe für Ärzte herstellen.

       Bei dem restlichen Plastikmüll, der bei uns verbrannt wird, braucht ihr euch allerdings keine Sorgen machen. Mein Vater hat mir erzählt, dass wir auf der Donau einen sogenannten organischen Hochleistungsfilter haben, der sämtliche giftigen Stoffe aus den Abgasen herausfiltert! Ist das nicht wunderbar?

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