Anno 2100 - Moderne Kurzgeschichten und Gedichte über das 21. Jahrhundert. Gino Aliji
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Ja, sieht denn niemand,
was hier geschieht?
Stellt euch vor,
die Menschen sterben
und keiner schaut hin ...
Erst ein Schuss, dann zwei
und dann drei,
Wann ist das Leid
denn endlich vorbei?
Stellt euch vor,
das Geld regiert
und keiner schaut hin ...
Das Geld, das Geld
regiert stinkend die Welt,
Und niemand merkt,
wie es uns unter Kontrolle hält.
Stellt euch vor,
die Vernunft ist tot
und keiner schaut hin ...
Oh Kant, Oh Kant,
was würdest du sagen?
Würdest du heut'
an uns Menschen verzagen?
Stellt euch vor,
es ist Krieg
und keiner schaut hin ...
Oh Brecht, Oh Brecht,
die Geschicht' ist vergessen,
Ist unsere Arroganz
nicht absolut vermessen?
Doch halt, doch halt,
es geht auch anders.
Es muss nicht so laufen,
wir können es ändern.
Wir müssen's nur wollen,
nur planen, nur machen,
und am Ende, gewiss,
werden unsere Kinder lachen.
Stellt euch vor,
es ist Frieden
und jeder macht mit …
Seht, wie die Kinder spielen und lachen
Seht, wie sie furchtlos in die Zukunft blicken,
Seht, wie wir uns an die Arbeit machen
und beginnen, die Löcher der Erde zu flicken.
Seht, wie die Natur sich erholt
Seht, wie sie wieder zum Leben erwacht,
Seht den Boden, der einst verkohlt,
Wir haben ihn zum Garten Eden gemacht.
Doch weh, doch weh,
noch ist es nicht so weit,
Wir müssen ‘was tun gegen
Zerstörung, Krieg und Leid.
Stellt euch vor,
die Menschen erwachen
und retten die Welt …
Die Erde, die Erde,
sie ist unser Ursprung,
und für diese blaue Perle
tragen wir Verantwortung.
Die Erde brennt, die Erde brennt,
und der Mensch ist dran schuld,
Ein Weiser ist, wer das erkennt,
doch die Lösung braucht Geduld.
Die Erde brennt,
die Erde brennt.
Eine Ära geht zu Ende
2024 brachen die Dämme der Elektroautoindustrie. Plötzlich wollte jeder einen Stromer fahren und konnte es sich auch leisten. Nicht so Herr Umbert, er kaufte damals ein Verbrennungsauto und ist heute einer der letzten, der ein solches Fahrzeug privat überhaupt noch fährt. Er möchte nun endlich dem Strom folgen und sein geliebtes Stück als geschichtliches Andenken an ein Museum weitergeben.
Eine Reportage von Odi Majan, 24.05.2043
Als Friedrich Umbert den Schlüssel in die Zündung steckt und seinen mittlerweile 19 Jahre alten Ford Universe zum Leben erweckt, geht eine leichte Vibration durchs Auto und aus dem Motorraum ertönt ein leises Brummen.
Herr Umbert nickt zufrieden. „In all den Jahren hat mir dieser Wagen nicht ein einziges Mal wirkliche Probleme bereitet“, sagt er fast entschuldigend. „Er läuft immer noch so, wie am ersten Tag und war mir in den 19 Jahren ein treuer Geselle. Natürlich gibt es immer mal wieder kleine Dinge, die an so einem Wagen mit der Zeit gemacht werden müssen. Aber bereuen tue ich den Kauf auf keinem Fall.“
Es ist Januar und die Außentemperaturen sind das erste Mal seit Weihnachten wieder stark unter den Gefrierpunkt gefallen. „Die alten Verbrennungsmotoren sollte man am besten immer vorsichtig warmfahren“, erklärt er. „Das hat etwas mit der Ausdehnung der Kolben in den Zylindern und der Schmierfähigkeit des Öls zu tun“, fährt er fort und legt den ersten Gang ein. Herr Umbert tritt aufs Gaspedal, der Motor heult leicht auf und der Wagen setzt sich langsam in Bewegung.
Der Innenraum des Autos ist kalt und ich bitte Herrn Umbert, die Heizung aufzudrehen. „Da müssen Sie sich leider noch etwas gedulden, junger Mann“, bekomme ich mit einem strafenden Unterton als Antwort zurück. „Die Heizung wird erst dann richtig warm, wenn auch der Motor seine Betriebstemperatur erreicht hat.“
Ich konfrontiere ihn mit der Tatsache, dass die Heizungen in Elektro- und Brennstoffzellenfahrzeugen keine „Vorwärmzeit“ benötigen und die Innenraumluft sofort aufwärmen. Herr Umbert entgegnet darauf nur kalt: „Wenn ich das all die Jahre überlebt habe, dann werden Sie es sicherlich auch.“ Er lacht kurz auf. „Die Jugend von heute …“, murmelt er dann fast unhörbar vor sich hin.
Während ich darauf warte, dass die Heizung endlich ihren ersehnten Dienst aufnimmt, schaue ich mir den Herrn Friedrich Umbert genauer an. Trotz seines stolzen Alters von fast 80 Jahren bewegt er sich aufmerksam und vorausschauend durch den Straßenverkehr. Er hat eine schlanke Statur, trägt einen kurzen grauen Bart, eine ebenso kurze Haarkranzfrisur und schaut mit einem lieben, aber strengen Blick zu mir herüber.
„Und, was halten Sie von so einem alten Verbrenner? Gar nicht mal so schlecht, was?“, fragt er mich mit einer Mischung aus Neugier und Provokation in seiner Stimme.
Ich denke einen Moment nach. „Es ist ungefähr so,