Anno 2100 - Moderne Kurzgeschichten und Gedichte über das 21. Jahrhundert. Gino Aliji

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für die Superreichen. Die machen sich ja um die Umwelt und die hohen Strafsteuern keine Sorgen.“

      Ich versuche, ihn zurück zu meiner Frage zu leiten. „Ja, die deutsche Automobilindustrie hat damals die große Wende verschlafen und dadurch anderen Firmen wie Tesla, Volta, ElectricDrive oder Sono Motors die Möglichkeit gegeben, sich große Anteile am Markt zu sichern.“

      „Das stimmt allerdings“, antwortet Herr Umbert. „Ich tendiere im Moment tatsächlich eher zu ElectricDrive oder Sono Motors. Die haben ein paar sehr schöne kleinere Modelle im Angebot. Als alleinstehender älterer Herr, der ich ja nun mal bin, muss ich keine großen Luxusschlitten mehr fahren.“

      Herr Umbert lässt mich in der Nähe meines Wagens raus und ich bedanke mich für die äußerst interessante Probefahrt mit seinem alten Ford Universe. Wir verabreden uns für ein weiteres Treffen zwei Wochen später im Museum für Automobilgeschichte in Wolfburg, dem er sein Auto als einer der letzten Besitzer eines Vebrennungsfahrzeugs übergeben möchte. Bevor ich in meinen Volta Swift steige, höre ich, wie sich der Ford von Herrn Umbert brummend und mit einer kleinen Abgaswolke hinter sich davon macht.

      ***

      Als ich das Museum für Automobilgeschichte zwei Wochen später betrete, befinden sich bereits eine ganze Reihe weiterer Journalisten und Reporter im Eingangsbereich. Auch interessierte Museumsbesucher sind anwesend und stehen vor der festlich geschmückten Bühne in der Eingangshalle. Bei genauerem Hinsehen erkenne ich den alten Ford Universe wieder, der gut sichtbar und glänzend auf ihr platziert wurde. Die Luft ist von Gesprächsfetzen erfüllt, aber als der Museumsdirektor zusammen mit Herrn Umbert die Bühne betritt, legt sich eine fast gespannte Ruhe über die Zuschauer.

      „Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Presse, liebe Besucher“, setzt Direktor Halmet an, „heute ist ein besonderer Tag für dieses Museum und für die Automobilgeschichte. Man könnte vielleicht sogar sagen, dass am heutigen Tag eine Ära zu Ende geht, die weit mehr als ein Jahrhundert angehalten hat und ihren Ursprung am Ende des 19. Jahrhunderts hatte.“

      Der Direktor macht eine kleine Pause und das Publikum klatscht Beifall.

      „Ich freue mich, Ihnen heute verkünden zu dürfen, dass das Museum ab sofort ein neues Ausstellungsstück zu seiner umfangreichen Kollektion zählen kann“, setzt er fort und zeigt auf Herrn Umberts aufpolierten Ford Universe hinter sich. „Dieser Ford Universe gilt als einer der letzten noch auf der Straße zugelassenen Fahrzeuge mit einem Verbrennungsmotor und wurde 2024 von Herrn Umbert, unserem heutigen Ehrengast neben mir, bis vor ein paar Tagen noch aktiv gefahren.“

      Einen Moment später geht die Bühne in einem Schauer aus Kamerablitzen unter. Der Museumsdirektor holt Herrn Umbert näher zu sich heran und die beiden posieren mit einem Lächeln und einem freundlichen Händedruck für die Presse. Danach setzt der Direktor seine kleine Rede fort.

      „Wie sie vielleicht alle wissen, wurden von dem Ford Universe damals 2024 nur zehntausend Stück in Europa verkauft und innerhalb kurzer Zeit durch den zunehmenden Umstieg auf Elektro- und Brennstoffzellenfahrzeuge verschrottet. Dadurch, dass Herr Umbert diesen Wagen so lange gefahren und gepflegt hat, ist dieses Fahrzeug sozusagen zu einem Einzelstück geworden. Und Museen freuen sich ja bekanntlich immer über Einzelstücke“, sagt er mit einem leicht verschmitzten Lächeln. Der Direktor fährt noch einige Minuten mit seiner Rede fort, spricht von der Zukunft der Automobilindustrie und ihrer „dreckigen“ Vergangenheit.

      „Aber nun genug von mir, lassen wir nun Herrn Umbert selbst zu Wort kommen“, sagt er schließlich und räumt seinen Platz am Rednerpult. Herr Umbert tritt leicht verlegen und von den neugierigen Blicken des Publikums etwas eingeschüchtert ans Mikrofon.

      „Hallo liebe Besucher“, setzt er an, „mein Name ist Friedrich Umbert und ich freue mich, dass ich selbst in meinem hohen Alter noch jüngeren Leuten und Interessierten mit dieser Geste eine Freude machen kann.“ Er macht eine kleine Sprechpause und das Publikum ergreift die Gelegenheit, um Beifall zu klatschen.

      „Ich muss zugeben, dass ich eine sehr lange Zeit lang einfach nicht an den Mythos der Elektromobilität glauben wollte. Die Idee, dass wir alle einmal komplett mit elektrischem Strom fahren und uns fortbewegen sollten, erschien mir damals einfach zu wahnwitzig und zu weit hergeholt. Also schaffte ich mir damals diesen alten Ford Universe an. Ich bereue die Entscheidung nicht und an diesem Fahrzeug hängen auch viele persönliche Erinnerungen, aber erst im Rückblick ist mir klar geworden, dass ich mit meinem Gefährt auf der Straße von Jahr zu Jahr immer mehr zu einer Rarität wurde. Ich sah zu, wie immer mehr Ladestationen an den Straßenrändern auftauchten, ich erlebte, wie die herkömmlichen Tankstellen jedes Jahr immer weniger wurden und ich bemerkte immer öfter, wie sich die Leute immer mehr nach diesem Ford hier umdrehten, wenn ich an ihnen vorbeifuhr. Und dabei ist dieses Auto eine Familienkutsche, wie wir damals sagten, und kein Sportwagen.“

      Unter den Zuschauern breitet sich Lachen aus. Auch Herr Umbert muss daraufhin kurz lachen und man merkt, wie die Anspannung von ihm weicht.

      „Aber man sollte ein gutes Vorbild für andere sein und zugeben, wenn man sich geirrt hat“, fährt Herr Umbert fort. „Ich habe mich geirrt und es ist genau das passiert, was ich damals für unmöglich hielt. Heute fahren wir alle elektrisch, haben in unseren Städten endlich wieder saubere Luft und gewinnen die Energie fast ausschließlich aus erneuerbaren Quellen. Wir Älteren neigen dazu, die Jugend von heute oft schlechtzureden und uns über ihr seltsames Verhalten zu ärgern. Aber ich glaube, das liegt schlicht und einfach daran, dass wir sie missverstehen. Die Jugend von heute hat nicht nur Unsinn im Kopf, wie wir immer sagen würden. Sie hat aus unserer Welt wieder einen sauberen Ort gemacht und nicht dieselben Fehler begangen, wie meine Generation und die Generationen von mir. Die Jugend von heute ist ihren eigenen Weg gegangen und schauen Sie nur, wo wir heute dadurch stehen. Wir haben wieder saubere Luft und die Zerstörung des Planeten nimmt schon seit dreißig Jahren stetig ab. Und wenn das kein Erfolg ist, dann weiß ich auch nicht. Es wird nun–“

      Herr Umbert wird von dem plötzlich ausbrecheden Jubel und Applaus des Publikums unterbrochen. Die Bühne wird wieder von einer Flut an Kamerablitzen überschwemmt und auch der Direktor ist so angetan von den Worten Umberts, dass er ihm anerkennend auf die Schulter klopft. Als sich die Zuschauer wieder beruhigen, setzt er seinen letzten Satz erneut an.

      „Es wird nun Zeit, dass ich mich der Zukunft zuwende und dem guten Beispiel der jüngeren Generationen folge. Sie haben mir das gezeigt, was ich für unmöglich hielt, und um ehrlich zu sein juckt es mich schon sehr in den Fingern. Ich möchte auch endlich in den Genuss der elektrifizierten Fortbewegung kommen.“

      Nach seiner Rede, werden Herr Umbert und der Museumsdirektor von den Vertretern der Presse belagert. Während sie den investigativen Fragen der Journalisten Rede und Antwort stehen, verlieren sich die anderen Zuschauer allmählich und verteilen sich im restlichen Teil des Museums. Eine ganze halbe Stunde später verabschiedet sich Herr Umbert von den Journalisten und dem Direktor. Ich sehe, wie er ein letztes Mal auf die Bühne geht, seinen alten Ford sanft berührt und ihm etwas zuflüstert. Danach kommt er mit einem Lächeln auf mich zu.

      „Schön, dass Sie da sind“, sagt er, als wir uns die Hände reichen.

      „Da haben Sie aber eine eindrucksvolle Rede gehalten, Herr Umbert“, lobe ich ihn.

      Herr Umbert bleibt bescheiden. „Ich habe nur das gesagt, was schon lange einmal gesagt werden musste. Kommen Sie, ich nehme Sie ein Stück in meinem neuen Wagen mit.“

      Wir gehen zusammen auf den Museumsparkplatz und steigen in seinen neuen ElectricDrive Evolution ein. Ich bin vom dem Auto sehr angetan.

      „Das ist aber ein sehr schönes Auto, das Sie da haben“, sage ich ihm.

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