Anno 2100 - Moderne Kurzgeschichten und Gedichte über das 21. Jahrhundert. Gino Aliji

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Anno 2100 - Moderne Kurzgeschichten und Gedichte über das 21. Jahrhundert - Gino Aliji

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ihre Eltern fuhren damals auch noch einen Verbrenner?“, bekam ich überrascht als Frage zurück.

      „Ja, sie hatten damals einen alten Mercedes Benz“, erzähle ich. „Das war eine richtige Klapperkiste und dauernd ging irgendetwas daran kaputt. Ich erinnere mich noch daran, wie sich meine Eltern einmal darüber stritten, ob sie das Auto noch reparieren lassen sollten, oder nicht. Damals ging es für sie um ziemlich hohe Kosten. Sie haben sich dann relativ schnell ein Elektroauto zugelegt, weil es schlichtweg günstiger für sie war.“

      „Günstiger in der Haltung, aber nicht in der Anschaffung, oder?“, fragt Herr Umbert. „Ich erinnere mich, dass die Elektroautos am Anfang ziemlich teuer gewesen waren. Ganz zu schweigen von den Wagen mit Brennstoffzellen.“

      „Das stimmt. Aber meine Eltern verkauften einfach ihren alten Wagen, kratzten ihre letzten Ersparnisse zusammen und schafften es dann trotzdem, sich einen gebrauchten Renault ZOE zuzulegen. Sie erzählen mir heute immer noch, dass sie diese Entscheidung nie bereut hätten.“

      Herr Umbert überlegt einen Moment lang. „Renault ZOE … Ja, ich erinnere mich noch an dieses Modell. Ein hübscher elektrischer Kleinwagen. Den hatte ich damals auch im Blick, das war aber noch vor 2024, vor dem Elektoboom. Da kosteten diese Autos noch ein kleines Vermögen.“

      Während wir auf eine alte Treibstofftankstelle fahren, erklärt mir Herr Umbert, dass er anfangs auch von den Elektroautos begeistert gewesen sei, sie sich aber einfach nicht leisten konnte und es noch kaum Lademöglichkeiten für Leute gab, die kein eigenes Haus mit Solardach besaßen. Außerdem wollte er für ein Auto keinen Kredit bei der Bank aufnehmen, für ihn gab es wichtigere Dinge im Leben als ein Auto.

      Wir beide steigen aus dem alten Ford aus und ich schaue mir interessiert die alten Tanksäulen an. Bei ihrem Anblick kommen alte Kindheitserinnerungen in mir hoch.

      Herr Umbert schiebt seine DigiCash-Karte in den Kartenschlitz der automatisierten Tanksäule, nimmt die Zapfpistole aus der Halterung und hält sie mir hin. „Wollen Sie es mal versuchen?“, fragt er mich herausfordernd. Ich nehme ihm die Zapfpistole ab und stelle mich vor das Tankloch. Herausforderung angenommen.

      Mein Vater betankte mit mir zusammen einmal sein Fahrzeug, als ich noch sechs Jahre alt war. Während des Tankens bemerke ich den stechenden Benzingeruch, den ich ebenfalls noch dunkel aus meiner Kindheit kenne.

      „Man sollte die Dämpfe nicht zu tief einatmen“, sagt mir Herr Umbert, als er bemerkt, wie ich meine Nase rümpfe. „Wussten Sie, dass es damals Leute gab, die diesen Bezingeruch sogar unwiderstehlich fanden?“

      „Das müssen ja seltsame Leute gewesen sein,“ sage ich mit gerunzelter Stirn.

      Herr Umbert lacht. „Ja, in der Tat. Das waren wirklich andere Zeiten damals. Manchmal habe ich das Gefühl, als wäre früher alles einfacher und besser gewesen, aber rein logisch betrachtet macht das natürlich keinen Sinn“, offenbart er mir dann. „Immerhin fährt man heute wesentlich umweltfreundlicher als damals und auch bei den Leuten hat ein Umdenken stattgefunden. Sie leben heute umweltbewusster und gesünder.“ Nach einer kurzen Pause fährt er fort, „Ich weiß, dass ich nicht so klinge, wie es das Klischee von alten Leuten immer behauptet, aber ich wünsche mir die Welt von früher auf keinen Fall zurück.“

      „Und trotzdem fahren Sie noch einen alten Verbrenner, Herr Umbert?“, entgegne ich ihm.

      „Ja, aber nicht mehr lange“, sagt er grinsend, als wir zurück ins Auto steigen.

      „Früher gab es viel mehr von diesen alten Treibstofftankstellen“, sagt er beim Einbiegen auf die Hauptstraße. „Heute muss man teilweise sehr weit fahren, nur um seinen alten Verbrenner überhaupt noch auftanken zu können. Und wenn man dann mal eine Tankstelle gefunden hat, dann muss man sich auch noch mit diesen blöden automatisierten Tanksäulen herumschlagen. Früher waren da wenigsten noch echte Leute, mit denen man an den Kassen sprechen konnte.“ Herr Umbert seufzt tief. „Na ja, heute leben wir einfach in anderen Zeiten“, sagt er dann nach einer kurzen Pause.

      Nachdem die Elektoautoindustrie ab 2024 immer mehr Elektrofahrzeuge verkaufte und der enorme Verkaufserfolg auch mehrere Jahre später noch anhielt, bekam man das zuerst an den Tankstellen zu spüren. Viele Tankstellenstandorte wurden nach und nach geschlossen, weil sie keine Gewinne mehr abwarfen und auch die Politik wandte sich mehr und mehr von der damaligen Öl- und Autoindustrie ab, als klar wurde, dass die Zukunft der Fortbewegung in der Elektromobilität lag. Als nächstes kam das Elektromobilitätsgesetz im Jahr 2026, welches Besitzern von Elektrofahrzeugen steuerliche Vorteile, kostenlose Lademöglichkeiten an öffentlichen Straßenlaternen und exklusive Parkplätze zusicherte. Im gleichen Atemzug war im selben Jahr eine sogenannten Umweltschadensausgleichssteuer für Besitzer von Verbrennungsfahrzeugen vorgesehen, aber durch die Arbeit der damaligen Lobbyistenverbände wurde die Einführung der Steuer erst 2029 durchgesetzt.

      Jetzt da der Innenraum von Herrn Umberts Wagen kuschelig warm geworden ist, fasse ich all meinen Mut zusammen und stelle ihm die entscheidende Frage. „Herr Umbert, heutzutage muss so ein altes Verbrennungsauto doch eine echte Stange Geld kosten. Ich meine, Sie zahlen ja nicht nur für den Treibstoff, die zusätzlichen Steuern, sondern auch für etwaige Reparaturen. Da diese Motoren aus unzähligen Kleinteilen bestehen und dann noch an einem Getriebestrang hängen, kann dort doch alles Mögliche zu Schaden kommen. Warum haben Sie sich nicht schon längst ein Elektro- oder Brennstoffzellenauto zugelegt?“

      Herr Umberts Gesichtsausdruck nimmt einen ernsteren Ausdruck an. „Nun, das hat ehrlich gesagt mehrere Gründe“, setzt er an. „Zuerst dachte ich, dass der überraschende Erfolg dieser Fahrzeuge damals 2024 nur eine Phase war, die wieder vorbeigehen würde. Ich meine, die Verbrennungsmotoren waren damals eine alte, aber ausgereifte Technologie. Ich sah keinen Grund, damals auf eine andere Antriebstechnologie zu wechseln, die nicht nur Nachteile wie eine geringere Reichweite und fehlende Lademöglichkeiten hatte, sondern auch noch in den Kinderschuhen steckte. Ich hätte es damals nie für möglich gehalten, dass wir alle einmal fast nur elektrisch unterwegs sein würden.“

      Nach einer kleinen Pause fährt er fort. „Und dann ist da noch der Tod meiner Ehefrau. Mit ihr hatte ich das Auto damals 2024 gekauft und ich habe es bislang einfach nicht übers Herz bringen können, diesen Wagen wegzugeben.“ Herr Umbert holt tief Luft. „An ihm hängen einfach zu viele Erinnerungen. Für mich ist dieses Auto nicht nur ein Fahrzeug, das mich von A nach B bringt. Es ist für mich wie eine Zeitmaschine, die es mir erlaubt, wieder mit meiner Frau zusammen zu sein und an unsere glücklichen Tage zurückzudenken.“ Er macht eine kleine Pause und sagt dann: „Aber alles muss irgendwann ein Ende finden. Ich habe allmählich begriffen, dass meine Frau ein Teil von mir ist“, er tippt mit seinem Zeigefinger erst gegen seine Brust und dann gegen die Stirn, „und ich mein Erinnerungen nur auf dieses Auto projiziert habe.“

      Ich nicke nur und gebe ihm so zu erkennen, dass ich verstanden habe. Ich beschließe, die Sache ruhen zu lassen und nicht weiter anzusprechen. Ein Themenwechsel muss her.

      „Da Sie ihren Wagen dem neuen Museum für Automobilgeschichte in Wolfsburg überlassen werden und auf ein Elektroauto umsteigen wollen, haben Sie sich denn schon für ein Modell entschieden? Heutzutage ist die Auswahl schließlich nahezu unüberschaubar“, frage ich ihn.

      Die Gesichtszüge von Herrn Umbert entspannen sich und seine Augen fangen an zu leuchten. „Oh ja, ich habe mich natürlich schon informiert und ein paar interessante Modelle ins Auge gefasst“, sagt er mit Begeisterung. „Ich hätte natürlich gerne einen Ford, Audi, VW oder BMW als Elektrofahrzeug, aber all die deutschen Autofirmen sind nach dem Elektroboom von 2024 nahezu Pleite gegangen und haben den Einstieg in die Elektromobilität nie richtig geschafft.“

      Als wir an einer roten Ampel stehen,

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