Das Gespenst der Karibik. Hans W. Schumacher

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Das Gespenst der Karibik - Hans W. Schumacher

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nicht oder wie man so sagt, was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.

      Den General hatten nur seine Geschicklichkeit und nicht die Panzergläser und kugelsicheren Westen vor einem früheren Dahinscheiden bewahrt. Über der Sicherheit, die ihn bei seinem Jonglierspiel mit Staaten, Weltanschauungen, Parteien, Organisationen, Anhängern und Gegnern, Speichelleckern und Trotzköpfen überkommen hatte, hatte sich ihm die uneingestandene Gewißheit eingeflößt, daß er einst wie Jeremias lebend zum Himmel fahren würde, sozusagen. Nie dachte er ans Sterben als nackte Scheußlichkeit. Er würde in den Himmel der Unantastbaren eingehen. Aber nun war es unbewußt, unvorbereitet über ihn gekommen bei Hörnchen, Kaffee, Ingwermarmelade. Man hatte ihn in einem Augenblick der Schwäche erwischt, beim Frühstück, in der Zeit der Unschuld, der kindlichen Arglosigkeit. Perfide war das gewesen, aber wirksam. Er lag da und wartete darauf, daß er sich in eine Bombe verwandelte, zumindest aber in ein Gespenst.

      Die Chartermaschine stand bereit, ihre Silhouette zeichnete sich scharf gegen einen orangeroten Streifen am westlichen Horizont ab. Von einem Seitenportal aus näherte sich ihr langsam eine kleine Eskorte mit dem schwarzlackierten Leichenwagen an der Spitze, dahinter leise murmelnde Mercedes. Ein Trupp Soldaten stand unauffällig im Schatten eines Hangars bereit, um eventuelle Zwischenfälle zu verhindern. Doch es geschah nichts, was sollte auch passieren? Die ganze Angelegenheit war von der neuen Regierung sorgfältig abgeschirmt worden, nichts war an die Öffentlichkeit gedrungen, kein Propagandaeffekt zu erwarten.

      Die Anhänger des Generals erfaßte das schmerzliche Gefühl düpiert worden zu sein. Die Reibungslosigkeit der Abfertigung hatte etwas Maskiertes an sich. Sie standen schwarzbefrackt und unbequem an der Luke des Flugzeugs und in ihrer Verlegenheit halfen sie den Trägern den Sarg in die Türöffnung zu schieben. Dabei entfalteten sie eine unfeierliche Geschäftigkeit, die ihre nagenden Gedanken verdrängen sollte.

      Im Osten war unterdes der Mond, ein zitronengelber Ball, aufgegangen, er sah riesig und unwahrscheinlich aus, ein echter Theatermond. Sein Erscheinen galt nicht den korrupten Beteiligten des politischen Spektakels, er war nur da für den General. Es war sein Mond und alles Ästhetische um ihn herum ein Mißverständnis. Der Mond, der dottergelb über die Palmen wuchs, sprach mit dem verblichenen Diktator in einer nur ihnen beiden verständlichen Sprache, deren Kernsatz lautete: Es ist alles sinnlos! So spricht der Mond auch manchmal zu Lebenden, wenn sie sich seinem Sog ausgesetzt sehen.

      In einer Vollmondnacht war einst der General über den weißen Kies des hauptstädtischen Gefängnishofes auf den Trakt der Todeszellen zugeschritten. Über seinem Kopf stand scharf ausgeschnitten, kreisrund die blendende Scheibe und erhellte einen gläsernen, schwarzblauen Abgrund rings um sich. Er schien wie ein Trichter, in den alle Erinnerungen, die Freuden und Leiden der Vergangenheit und die Hoffnungen der Zukunft hineingezogen wurden. Als der General schließlich vor seinem wegen Hochverrats verurteilten Freund stand, um ihm ein Abschiedswort zu sagen, war sein Gehirn völlig leer. Er erinnerte sich an nichts, wußte kaum noch, wer vor ihm saß, konnte nichts Bedeutendes formulieren, während er mit seinen glänzenden Schaftstiefeln vor dem auf der Pritsche sitzenden Todeskandidaten auf und ab schritt. Der Gefangene wartete auf etwas, vielleicht einen Gnadenspruch, vielleicht hoffte er, den Donner des Zorns zu vernehmen, der die dürren Worte des Todesurteils vermenschlicht hätte. Aber sein ehemaliger Freund und Kampfgenosse schritt weiter gedankenleer auf und ab. Das Licht der Scheinwerfer löste seinen Schatten in kristallene Überschneidungen auf, die kreuz und quer über das offene Hemd des Verurteilten glitten. Schließlich rang sich in dem General etwas hoch, er beugte sich zu dem Zusammengesunkenen hinunter, packte seine Schultern und flüsterte mit einer Stimme wie zerbrechendes Glas die Worte: "Du bist mir doch nicht böse, Carlos...?" Da gurgelte es im Hals des Delinquenten, etwas, das vielleicht "nein" hieß, das aber anhielt wie ein Schrei, dabei klammerte er sich an den General, wie um ihn zu umarmen oder zu erwürgen, doch dauerte es kaum zwei Sekunden, da hatten die Wärter die Tür aufgerissen und seine Hände vom Hals des Präsidenten gerissen. Brüllend warf er sich zwischen den Soldaten, die ihn hinausschleiften, hin und her. Eine Minute später prasselten Schüsse auf dem Hof, und der Schrei starb mit ihnen.

      Das geheime Einverständnis mit dem Mond setzte sich fort. Die Totenlade bekam Flügel und schoß in den Nachthimmel hinauf. Durch die Luken des Frachtraumes fiel Silberlicht und umglänzte den Sarg. Schwerelos schwebte der General zwischen Himmel und Erde. Manchmal schien die schwachleuchtende Fläche des Meeres umzukippen, während der Mond herabsackte, dann wieder entschwand er in unerreichbare Höhen, nur seine Spiegelung in gerippten Wellen begleitete das Flugzeug ständig. Wo der Himmel schwarz war, wimmelten Sterne.

      Gläserne Schlaflosigkeit dehnte sich im Passagierraum. Die verbannte alte Junta lag, erschöpft von den Anstrengungen und Schrecken der letzten Tage, kreuz und quer in den Sitzen. Mit rotgeränderten Augen sah man in die Nacht hinaus und kam sich vor wie in einem sich endlos fortträumenden Traum. Dem künftigen Präsidenten war, als würde die Reise zum Grabe des Vaters eine Weltraumfahrt, in der sich Sterne wie Inseln zur Ruhe anböten. Doch wie weit war es dahin und ehe man dort war, war man vielleicht selbst schon tot. Der Gedanke überfiel ihn mit erschreckender Wucht: Tote, die einen Toten begleiten! So sah er endlose Prozessionen wie schwarze Würmer durch das Universum kriechen.

      Das monotone Brummen der Motoren schläferte ihn ein, doch hielt er die brennenden Augen auf die Tür zum Frachtraum geheftet, als könnte er, wenn er nur wach und aufmerksam bliebe, den Toten dahinter festbannen und alle schlimmen Gedanken, die er einflößte.

      Doch es war vergeblich. Es war, als bräche er mit seiner verzweifelten Anstrengung, ihn draußen zu halten, die Klinke ab. Beharrlich und langsam öffnete sich die Tür und aus dem spukhaften Dämmer, den die Mondstrahlen um den Sarg webten, schwebte der General in seiner kostbaren, grünlich aufglühenden Uniform durch den Raum. Blut tropfte aus Löchern in der ordenbesetzten Jacke. Seine Augen waren geschlossen. Mit der preziösen Fingerhaltung gotischer Statuen wies er auf seine Wunden.

      "Ecce homo", seufzte sein Sohn und fuhr auf. Die Tür zum Frachtraum stand dunkel und geschlossen am Ende des Ganges. Das Mondlicht glitzerte auf dem Meer und blendete ihn. Er zog die Vorhänge vor das Fenster und dämmerte vor sich hin.

      Später träumte er, daß er in hellstem Licht Arm in Arm mit seinem Vater auf ein pompöses Grabmal zuschritt. Der General schleifte die Füße nach, schließlich mußte ihn Porfirio unter die Achseln packen, am Ende schleppte er ihn auf dem Rücken dem gähnenden Loch der Gruft entgegen, über dem sich barocke Skulpturen aufreckten. Allmählich nahm das Gewicht zu, er ging in die Knie, versuchte sich noch einmal hochzustemmen und brach zusammen. Sein Vater war Marmor geworden.

      Vom Kreischen und Poltern der aufsetzenden Maschine geweckt, schreckte er auf und sah die Positionslichter der Rollbahn des Airports von Miami an sich vorüberschießen. Ihm war wirr zumute, seine Glieder schmerzten, kaum verstand er die aufgeregten Anweisungen der Mitreisenden. Er wurde völlig übergangen, als zähle seine Anwesenheit nicht. Sein Onkel tauchte bleich aus dem Funkraum auf und wandte sich an den Ko-Piloten, der mit den Achseln zuckte, während das Flugzeug auslief.

      Schließlich gelang es Porfirio, seine Benommenheit abzuschütteln, er drängte sich zu seinem Onkel durch und fragte, was los sei.

      "Sie lassen uns nicht einreisen," sagte der Onkel, "wir müssen es woanders versuchen."

      "Aber der Grabplatz ist doch schon bestellt."

      "Sie wollen ihn nicht haben, die verdammten Yankees", zischte Leo, "wir fliegen nach Quebec. Geh schlafen, mein Junge", sagte er versöhnlich, "wir müssen noch nachtanken lassen."

      Und wieder erhob sich der Unglücksvogel in die Nacht. Es war inzwischen zwei Uhr. Man hatte gegessen und war nun beim Whisky. Hatte vor der Landung in Miami jeder für sich schlafend und vor sich hin brütend dagesessen, während die Gleichgültigkeit der Erschöpfung sie überfiel, so drängte sie nun die Ungewißheit, was geschehen sollte, zusammen. Über Funk hatte man den Botschafter

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