Das Gespenst der Karibik. Hans W. Schumacher

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Das Gespenst der Karibik - Hans W. Schumacher

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daraus wurde nichts. Im Hotel empfing ihn wütend sein Onkel. Der Sarg stehe immer noch im Frachtraum von Le Bourget. Elende Schlamperei! Erst habe man ihm versichert, die Papiere kämen noch im Lauf des Nachmittags, dann vertröstete man ihn auf den nächsten Morgen. Und jetzt seien sie unauffindbar, angeblich von irgendeiner untergeordneten Behörde verlegt. Also erneutes Warten. Porfirio nutzte es aus, Claudine zu lieben, Beziehungen zu festigen, Rechtsanwälte zu konsultieren und Freunde zu besuchen.

      "Wo steckst du nur die ganze Zeit? Du kümmerst dich wirklich um nichts," schimpfte Onkel Leo, wenn Porfirio nachts an ihm vorbeieilte und seinem Zimmer zustrebte. Dem Onkel wurde der Knabe zu selbständig, immerhin konnte er frei über eine halbe Million Dollar verfügen, so stand es im Testament. Aber das würde bei seinem Lebensstil binnen kurzem verbraucht sein, dann war er ganz auf Leo angewiesen und mußte sich erkenntlich zeigen. Zunächst jedoch war es vordringlich, den verdammten Ballast von Sarg loszuwerden.

      Tatsächlich kam es so, wie er es dunkel geahnt hatte. Am Morgen des siebten Tages stellte sich die ganze Geschichte mit den verlegten Papieren als bloße Hinhaltetaktik heraus. Es war schon ziemlich beleidigend, in welche faule Entschuldigungen und Taktlosigkeiten ein Zollbeamter die Verweigerung der "Einfuhrgenehmigung" hüllte. Als wäre eine Leiche eine Art Stückgut!

      Und wieder saß man im Flugzeug. Porfirio hatte sich erst weigern wollen, weiter an der Irrfahrt teilzunehmen, aber das war schlecht möglich, obwohl Claudine ihn weinend angefleht hatte, dazubleiben. Er würde nie mehr wiederkommen, und alle seine Beteuerungen, sich gleich nach der Beerdigung in die Maschine nach Paris zu setzen, nutzten nichts. Sie war schon ein etwas überspanntes Mädchen wie alle Schauspielerinnen, aber als er es sich in seinem Sessel bequem machte, durchlief ihn noch eine Wonneschauer, so geliebt zu sein. Leicht erschöpft von der letzten Liebesnacht und in angenehme sinnliche Träumereien versunken, genoß er es, wie das Dröhnen der Propeller anschwoll, das Flugzeug erst langsam, dann immer schneller über die Piste rollte und sich dann in die Luft erhob.

      Aus dem Onkel, der in den letzten Tagen immer finsterer geworden war und der ihn praktisch nur noch über die Schulter hinweg ansprach, war nicht herauszukriegen, wohin es ging.

      "Du wirst schon sehen!", war die kryptische Antwort. Profirio ließ es sich gefallen. Es kam ihm vor, als ob die ganze Angelegenheit ihn nichts mehr anginge. Er versenkte sich in freundliche Erinnerungen, ließ sich vom Stewart eine Flasche Dom Perignan bringen und leerte sie auf das Wohl der frivolen Jacqueline, der entzückenden Bella, der kapriziösen Manon und der schwärmerischen Claudine. Hatte er sie nicht zuerst in einer Ophelia-Rolle auf der Bühne gesehen? Widerwillig hatte er sich ins Odéon mitschleppen lassen. Klassisches Drama lag ihm nicht. Man hatte sie in der Public School schon genug damit gepiesackt, sein Feld war das Olympia oder das Kino. Vom ganzen Ensemble interessierte ihn nur die Ophelia. Welch ein Weib! Wie konnte er jetzt Hamlets Worte nachempfinden: The fair Ophelia - Nymph in thy orisons be all my sins remember'd. Welcher Rausch, sich in den goldenen Wasserfall ihrer Haare einzuhüllen und dem unaufhörlichen süßen Gemurmel von geflüsterten Kosenamen zu horchen. Könnte das nur ewig so dauern!

      Wie das Zischen einer Schlange durchfuhr in der Gedanke an den Tod. Doch der Blick durchs Fenster auf das endlose, glitzernde Meer beruhigte ihn wieder. Ihm kam es vor, als würde über ihm aller Ärger, aber auch alle unruhige Lust der letzten Woche wesenlos. Er erinnerte sich noch, mit welch ungeduldiger Sehnsucht er darauf gespannt gewesen war, zum ersten Mal das Meer zu erblicken und wie es ihm dann bei einer Reise von einer Anhöhe aus erschien, eine gewaltige, blaugrau dämmernde Wand, die über Taleinschnitten, Bergen und Wäldern stand. Es war atemberaubend, und wie ein Wilder lief er los, um sich in seine Fluten zu stürzen.

      Merkwürdig, dachte er, warum fliegen wir so tief? Fast waren die Schaumkronen auf den Wellen zu erkennen. Aber noch ehe er aufstehen konnte, um sich zu erkundigen, klopfte der Stewart an die Kabinentür und richtete ihm aus, sein Onkel wolle ihn sehen. "Im Frachtraum", fügte er hinzu und Porfirio ging kopfschüttelnd durch den leeren Salon in das Ladeabteil, wo er die Getreuen um Leonidas und den Sarg versammelt fand. Ein starker Luftzug kam von der geöffneten Tür und ließ die Haare wehen. Noch bevor sein Onkel Erklärungen geben konnte, verstand er. Seiner augenblicklichen Stimmung kam ein Seebegräbnis sehr entgegen. Wortlos näherte er sich seinem nächsten Verwandten und umarmte ihn mit einem Schluchzen, das unkontrolliert aus ihm hervorbrach. Onkel Leo sah mit einem genierten und etwas verkrampften Lächeln über seine Schulter weg auf die unter ihnen vorbeischießende grüne Flut. Dann trat er zurück, um ein paar Worte zum Abschied von seinem Bruder und Präsidenten von Santo Ignacio zu finden.

      Er mußte laut sprechen, trotzdem zerriß das Motorengeräusch und das Knattern des sich an der Luke brechenden Windes seine Rede in lächerliche Fetzen. Porfirio vernahm in unregelmäßiger Wiederholung nur die Worte "orgullo, corazòn, patria, amor, vida, sangre, muerte". Schon sein Vater hatte in seinen endlosen Ansprachen gern solche großen, leeren Worte von sich gegeben, warum kam ihm das jetzt doppelt falsch vor? Woher kam nur seine Verstimmung?

      Ach, zum Teufel damit, dachte er, man muß mitheulen, sonst ist es aus mit dem schönen Leben. Und innerlich weiter "amor, vida, sangre, patria, muerte" skandierend, packte er den hinteren Messinggriff des Sarges, der vor ihm stand wie ein Schlachtschiff zum Stapellauf, und schob ihn auf die Tür zu. Oh, er war unheimlich schwer. Zu fünft gelang es nur mit Mühe, ihn millimeterweise vorzurücken, bis er fast zur Hälfte aus der Luke ragte und der Wind an ihm zerrte und pfiff.

      "Jetzt Vorsicht," sagte der Onkel hinter Porfirio, dessen Tränen auf dem vor Anstrengung glühenden Gesicht getrocknet waren, "gleich kippt er ab."

      Und tatsächlich, Porfirio hielt noch den kalten Griff gepackt, als sich der Sarg plötzlich vor ihm hob und ihm die Füße nach hinten glitten. Voller Verwirrung hielt er sich noch an dem Sarg fest, der ihm als einzig sicherer Halt erschien und wurde mit einem Ruck hinter ihm aus der Tür geschleudert. Der Sarg überschlug sich im Sturz und Porfirio fiel hinterdrein, Meer, Himmel, Flugzeug und Totenlade kreisten wirbelnd um ihn her, dann spritzte unter dem Aufschlag des Möbels die Gischt des in grünblauen Wogen daherrollenden Meeres auf und der Präsidentschaftskandidat folgte, schoß in die Tiefe und versank wie ein Stein. Der Sarg hingegen mit dem toten General, der eine neue Bestimmung in sich fühlte, begann, nachdem er eine gewisse Tiefe erreicht hatte, wieder Auftrieb zu spüren und während der Sohn hinabglitt, stieg der Vater wieder langsam zu Tage. Auf halbem Weg begegneten sie sich, um sich für immer zu trennen. So sah es also aus, das ewige Leben! Der tote General begann dunkel das chinesische Sprichwort zu verstehen: Der Sohn ist älter als der Vater. Das war also die Ewigkeit, so leer, so gespenstisch leer!

      In der Folgezeit sprachen die Karibikfischer beim Voodoozauber von einer neuen Erscheinung: In hellen Mondnächten preschte ein grünlich leuchtendes, uniformiertes Gespenst auf einem Sarg reitend über die Fluten. Wer ihm begegnete, mußte früher oder später abschrammen. Das war leider unvermeidlich.

      ---

      Einige Monate später saß Onkel Leonidas frühstückend auf der besonnten Terrasse eines portugiesischen Hotels. Sein Blick schweifte über den atlantischen Ozean, dessen Wellen am Fuß der Felsen brandeten.

      Ein herrlicher Morgen war das. Über den Wassern lag noch ein leichter Dunst, in dem zuweilen schattenhaft Schiffe zu erkennen waren, die dem Hafen von Lissabon zustrebten. Vögel zwitscherten ihre naiven Weisen, das Kaffeegeschirr blitzte in der Sonne. Er betrachtete mit versonnenem Vergnügen die reifen weiblichen Formen Adelaides neben sich, die aufs Meer hinaussah.

      "Sieh mal dies Schiff," sagte sie zu Leo und deutete auf eine entfernte Silhouette, "sieht aus wie ein Sarg." Da gehört er rein, dachte sie bei sich. Wie er sich heute nacht wieder aufgeführt hatte, als müßte man ihm die Stiefel lecken. Nur weil er reich war.

      Leo strich sich eine dicke Schicht Ingwermarmelade auf den Toast. War ziemlich mühsam gewesen, sie hier zu bekommen. Nicht gerade eine Spezialität des Landes. Aber eine Familienerinnerung.

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