Das Gespenst der Karibik. Hans W. Schumacher
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Der Whisky tat allmählich seine Wirkung. An allen Gedanken aber hing der tote General wie ein Bleigewicht. Man freute sich zwar, mit heiler Haut davongekommen zu sein, nachdem der geheimnisvolle Mord ihren Beschützer weggeräumt hatte, unklar blieb, wer dafür verantwortlich war. War doch nur dem engsten Kreis bekannt, wo der Diktator sich jeweils aufhielt. Des Rätselratens müde, sprach man der Flasche zu. Doch wurde das Wohlgefühl des Rausches immer wieder durch die Sorge um die Zukunft getrübt. Das Flugzeug Onkel Leos war eine Insel der Sicherheit, aber man mußte bald wieder herunter auf die gefahrvolle Erde.
Schmutzige Verräter, dachte Onkel Leo, aber ich werde es ihnen noch heimzahlen! Heimlich knirschte er mit den Zähnen und sah von der Seite seinen Neffen, dieses ahnunglose Bürschchen, an, dessen hübsches, von sportlicher Betätigung an frischer Luft gebräuntes Gesicht bleich und abgespannt wirkte. Er hatte sich ja nie um irgendetwas kümmern müssen. Papa bezahlte ihm seine Pferde und Rennwagen. Ihm war nur untersagt, die Töchter der Oberschicht zu schwängern. Dafür hatte er Auslauf genug in Paris und Nizza. Und auf so etwas bin ich nun angewiesen, stöhnte Leonidas.
In den Whisky-Träumen seines Neffen tanzten nackte Mädchen mit Skeletten. Dann war Porfirio, er läge auf einer Bahre, die vorn sein durchlöcherter Vater und hinten sein Onkel trugen. Plötzlich ließ Leo die Griffe fahren und da der Vater, ohne sich umzusehen, weiterschritt, rutschte er von der Bahre und schlug mit dem Kopf auf den Boden auf.
"Porfirio, trink doch nicht so viel," schimpfte sein Onkel und hob ihn mit Hilfe eines Stewarts in den Sessel zurück, von dem er heruntergeglitten war.
Auf ein Bett in einer der Schlafkabinen gelegt, erschien ihm wieder sein Vater. Diesmal erkannte er ihn sofort als Traumgestalt, wachte entschlossen auf und keuchte: "Wie lange soll das denn noch weitergehen? Kann er mich nicht in Ruhe lassen? Tot ist doch tot. Und was soll dieses dumme Hamlet-Hamlet-Gestöhne?"
Er stutzte und fragte sich, wie er darauf gekommen war. Hatte er das eben erfunden oder war es eine Erinnerung an den entschwundenen Traum? Ich träume doch sonst kaum, das muß dieser verdammte Whisky sein, sagte er sich und um nicht weiter an den Toten zu denken, starrte er intensiv aus dem Fenster, als könnte ihn der Anblick der im Dunst daliegenden Erde wachhalten.
Im Osten erschien eine trübe Helligkeit, die allmählich auf die Himmelsfläche überging. Das nüchterne, bleiche Dämmerlicht ekelte ihn an. Dann schüttelte er sich und sprach sich Mut zu: "Ach geh, heute abend haben wir das alles hinter uns. Eigentlich gemein von dem Alten, sich so mir nichts, dir nichts abmurksen zu lassen, und nun haben wir den Ärger mit der Leiche."
Ein Schauder, der ihm den Rücken hinunterlief, sagte ihm, daß das sehr pietätlose Gedanken waren, die man sich nicht erlauben sollte. Vielleicht war an dem Gerede von Gottes Strafe doch was dran. Um sich abzulenken, überlegte er sich, wie er sich aus der Abhängigkeit von Onkel Leo lösen konnte. Testamentsanfechtung? Oder ihn über die liberale Exilpartei seines Freundes Emilio ausbooten? In politischen Intrigen hatte er keine Übung, aber das sollte anders werden, wenn sie erst in Paris wären. Dort hatte er er eine Menge Freunde.
Kaum war das Flugzeug nach der Landung in Quebec zum Stillstand gekommen, erklomm ein eleganter Herr mit schwarzem Menjoubärtchen, das wie ein Strich seiner schmalen Adlernase ein Ende setzte, die Gangway und wandte sich sogleich an Onkel Leo. Diesmal aber ließ sich Porfirio nicht beiseiteschieben, er schritt entschlossen auf die in einer Ecke konferierende Gruppe zu, worauf der Herr, es war der Botschafter Santo Ignacios in Kanada, ihn mit einem Seitenblick musterte, plötzlich den Onkel stehen ließ und Porfirio wortreich zu seinem Verlust kondolierte. Danach murmelte er ihm und Leo die Hiobsbotschaft zu: Die kanadische Regierung bedauere außerordentlich, aber mit Rücksicht auf die engen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und die Proteste der Emigrantenorganisationen sowie wegen der zu erwartenden Ausschreitungen bei der Bestattung des Dahingeschiedenen könne man die Einreise nicht gestatten. Er habe mehrere vergebliche Versuche gemacht, den Außenminister zu sprechen. Man könnte es doch in England versuchen, wo man sich vielleicht noch an den Staatsbesuch vor acht Jahren erinnere, aber man müsse berücksichtigen, daß der General in der englischen Presse immer schon schlecht weggekommen sei.... Der Mann mit dem Menjoubärtchen schwieg verlegen und sah in Richtung des Laderaums, wendete dann den Blick mit einem Ruck ab und wollte, ohne den Satz vollendet zu haben, den Rückzug antreten, als es aus dem Onkel brach:
"Was fällt Ihnen ein! Sie haben klare Anweisungen gehabt und nun speisen Sie uns mit Eventualitäten ab."
Senor Cisneros wurde daraufhin eiskalt und förmlich. Er habe den unangenehmen Auftrag nur als alter Freund des Verstorbenen übernommen, aber er stehe jetzt im Dienst der neuen Regierung und könne nicht gegen seine Direktiven handeln.
Welche das wären, donnerte Onkel Leo, der sich immer noch als Innenminister vorkam.
"Darüber darf ich nichts sagen," verlautete der Diplomat und verabschiedete sich kühl.
Porfirio hätte gern wieder einmal festen Boden unter den Füßen gespürt statt des bebenden, schwankenden Flugzeugdecks, aber die vier Polizisten, die am Fuß der Gangway herumstanden, sahen so aus, als hätten sie nicht die Absicht, jemand auch nur auf die Flughafentoilette zu lassen.
"Kein Respekt vor den Toten", grollte Onkel Leo, der entdeckte, daß es so etwas wie geheiligte Konventionen gab, "also gut, dann bleibt uns nur Paris."
"Nein, "seufzte Porfirio, "nicht noch einmal abgewiesen werden. Warum fliegen wir nicht lieber nach Spanien?"
Der Onkel lächelte verächtlich ob so viel Unkenntnis der doppelzüngigen Außenpolitik des Generalissimo, ließ ihn stehen und informierte seine Getreuen und die Flugzeugbesatzung. Und nach endloser, schikanöser Warterei auf die Starterlaubnis entfernte man sich vom westlichen Kontinent und flog in die Dämmerung hinaus.
Porfirio, der trotz seines Playboylebens Sinn für die Schönheit der Natur besaß, ertappte sich, als er träumerisch am Fenster vor sich hinsann, bei einer verzückten Stimmung, in die ihn das gewaltige Schauspiel der untergehenden Sonne versetzt hatte. Vereinzelte Kumuluswolken erstrahlten in rosigem Licht, das Meer glänzte als violette Scheibe. Nun erschienen ihm die verflossenen Tage wie ein einziger grausiger Wirrwarr. Er versprach sich, diese Nacht durch nichts verstören zu lassen und fiel tatsächlich in einen wunderbaren, traumlosen Schlummer, aus dem er erfrischt in Le Bourget erwachte. Shannon hatte er verschlafen. Na bitte, sagte er sich, es geht doch wieder. Man darf sich nur nicht aus der Fassung bringen lassen. Dann sah er, wie sich vom Hauptgebäude her ein Leichenwagen dem Flugzeug näherte. Das klappt ja famos. Onkel Leo hat doch recht gehabt! Während er sich ankleidete, beobachtete er gut gelaunt, wie sich die Träger mit dem schweren Sarg abschleppten, ihn in das Auto luden und wie der Wagen sich in Richtung des Terminals entfernten.
Ah, jetzt befand er sich auf vertrautem Terrain. Kaum hatten sie Zoll und Paßkontrolle hinter sich, verschwand er in einer Telefonzelle und rief Claudine an, die sich wegen der frühen Stunde zunächst mürrisch zeigte - sie hatte bis Mitternacht auf der Bühne gestanden -, aber einem Lunch im Bois nicht abgeneigt war. Danach tätigte er noch vier weitere Gespräche und begab sich zufrieden ins Ritz, wo der Onkel vorsorglich eine Suite hatte reservieren lassen.
Die Nacht wollte er in den Armen Claudines verbringen. Aber es kostete ihn ziemliche Mühe, sie ins Bett zu manövrieren. Als er es schließlich geschafft hatte, erklärte sie, sie habe sich gewehrt, weil er "den Geruch des Todes" an sich habe. Kaum war das aus ihr heraus, verlor sie sich in eine sinnliche Raserei, die ihn fast um den Verstand brachte. Morgens, als sie noch schlief, war ein wenig beschämt, als er daran dachte, daß er noch warm von den Küssen einer Frau