Das Gespenst der Karibik. Hans W. Schumacher

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Das Gespenst der Karibik - Hans W. Schumacher

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sein Geschimpf einmal durch die Tür dringen hören. Und was war er? Ein alter Orang Utan, mit seiner behaarten Brust! Ihre Mutter hatte noch kurz vor ihrem Tode die alte Geschichte mit Wagner ausgegraben und ihr Vorwürfe gemacht, daß sie ihn hatte gehen lassen. Wagner mit seiner unausstehlichen Genauigkeit, seinem Ehrgeiz, seiner Geldgier! Aber mit fünfundreißig war sie schon zu alt gewesen, ihren Charakter zu verleugnen und nach seinem Muster die gehorsame Gattin zu spielen. Nun war sie für eine Ehe wirklich zu alt. Wagner war auch schon tot. Herzschlag. Am Ende war er Mühlendirektor gewesen, ließ sich chauffieren und grüßte sie bei den seltenen Gelegenheiten, an denen sie sich sahen - Theaterabonnement, Konzerte - trübe und ironisch. Seine Frau war ein Kloß mit rotem Schopf. Der Kloß lebte noch. Frauen leben halt immer länger. Es war doch immer das Gleiche. Schon mit zwanzig hatte sie in diesem Bett gelegen und die Zeit tropfte mit der gleichen Zähigkeit herab, und sie hatte sich gesagt, so könne es nicht weitergehen. Selbstmordphantasien hielten sie wach und erst im Morgengrauen erschlug sie der Schlaf. Dann war sie dreißig, sie erinnerte sich der Verzweiflung, die sie mit zwanzig empfunden hatte, sie bemühte sich, diese Stimmung wieder einzufangen, in der sie so entschlossen hatte denken können. Aber was sie dann fühlte, hatte nicht mehr die gleiche Intensität, es war das Gefühl eines Gefühls, sozusagen die Kopie des ersten. Sie wurde sechsundreißig, und ihr fuhr ein Stich durch?s Herz. So konnte es auf keinen Fall weitergehen. Aber am Morgen ihres Geburtstages wachte sie so unverändert auf wie an jedem anderen Tag und hatte keinen Willen, keine Pläne mehr. Und endlich war sie vierzig, wovon man sagt, dann finge das Leben an und tatsächlich hatte sie Chancen, Professorin am Konservatorium zu werden, aber es wurde nichts daraus, weil sie sich weigerte, eine Gefälligkeit durch eine andere zu vergelten. So erzählte sie es jedenfalls jedem, der es wissen wollte. Sie erneuerte das Schild an ihrem Fenster: M. Cybulka Klavier- und Geigenunterricht. Dreizehn Jahre hing es nun schon da, vergilbt und krumm. Schon längst wollte sie es gegen ein Messingschild austauschen. Aber sie vergaß es immer wieder. Die Nacht wurde dunkler. Wie Teer floß sie durchs Fenster. Sie war so müde. Morgen würde sie Herrn Müller sagen, daß er bleiben könnte, wenn er wollte. Nach diesem Entschluß fühlte sie sich erleichtert, eine angenehme Mattigkeit kroch in ihr hoch. Tam tam tam. Sie ließ sich willkürlich verdummen. Manchmal ertappte sie sich, wie sie einen Ton anschlug, immer den gleichen, er verbreitete sich wie Wellen um einen Stein. Tam, das war so einfach, so selbstverständlich, sie konnte sich darin vergessen, ein Meer, das sich für sie öffnete. Sie hätte ertrinken sollen, nicht Elli, sie hätte es besser gekonnt. In Kleidern, nicht so nackt. Tom toom tom. Sie hatte ihre Schüler, die hielten sie am Leben, es war nicht anstrengend, aber sie war so müde. Alles hätte sie aufgeben mögen, um nur noch auf diesen einzigen Ton zu lauschen. Und dann schlief sie wie ein Stein. Der Morgen war wie ein schlechter Einfall, eine welke Erinnerung an tausend andere Morgen. Sie hatte Mühe, sich auf gestern zu besinnen. Die jungen Pappeln vor dem Schlafzimmerfenster bewegten sich anmutig im Winde. Der Anblick stärkte sie. Der Himmel über den flirrenden silbergrünen Blättern war tiefblau, er saugte den Blick an. Aber alles gab gleich wieder nach, etwas brach immerzu unter ihr weg. Und doch standen die Bäume da, von einem Augenblick zum anderen war der Himmel da, ohne Aufhören da. Er würde stets sein, über den Dächern, über den Wolken, auch nach ihrem Leben. Es war schwer, von ihm wegzusehen. Doch sie schloß die Augen. Bedrückung ergriff sie vor der Faßlichkeit und Lebendigkeit des Grüns. Sie meinte den bitteren Saft zu riechen, den Geruch des Krauts an schwülen Orten zwischen den Sträuchern, wo sich der Körper wie ein Buch aufschlägt. Wo Sinnlichkeit über dich fließt wie eine dunkle Welle. Dort hatte die Wollust sie aufgebrochen. Ein Punkt innen und eine sich ins Ungeheure blähende Haut außen, die Blätter, Blüten, Wipfel, Wolken, Sonne und Himmelsblau umfaßte. Etwas flog ständig vor ihr her. Sie konnte es nicht erreichen, es flog und flog. Sie konnte nicht an ihre Grenze gelangen. Sie wollte sich halten und sauste in verschiedene Richtungen davon. In ihr war ein halbes, leeres, kicherndes Ringen um Erkenntnis, doch wurde es unterspült vom Wogen und Kreisen der Lust. Endlich entfuhr den Dingen eine neue ekelerregende Wirklichkeit. Plötzlich haßte sie den Jungen, der sie unter den Sträuchern des Wäldchens hinter dem Sportplatz entjungfert hatte. Wer war er schon? Er war dumm und tierisch. Ihre Neugier hatte sie verführt, sie wollte schließlich auch wissen, was es war, womit Elli so angab. Im Studium erst hatte sie eine zweite Freundschaft. Sie wollte gar nicht, aber es mußte wohl so sein. Jemand, der so hübsch war wie sie, konnte sich der Werbung all dieser Männer nicht entziehen, mit denen sie täglich zusammenarbeitete. Doch sie schlief mit ihrem Kommilitonen nur, weil es dazu gehörte. Es war bei all den beengten Umstnden, in denen Studenten leben, unbequem und etwas unsauber. Am Ende empfand sie eine dünne Langweile, deren Ursache sie nicht erkennen konnte. Er war ein bemühter, ernster Mann, den der Erfolg bald von ihr wegführte. Sie hatte auch nicht die Kraft, ihn bei sich zu halten. Sie wußte, was ihr fehlte. Sie war unfähig, ihre Ironie zu bändigen und wenn die Männer, diese Sexautomaten, sich von ihr abwandten, dann mischte sich in den unwillkürlichen Schmerz eine leise Genugtuung, eine banale Erleichterung. Allmählich spürte sie, daß sie dem normalen Leben - ach Gott, was war schon normal! - nicht gewachsen war. Sie verzichtete darauf mit dem eigentümlichen Willen der Schwachen. Sie hatte das Leben ernst genommen, so ernst, daß sie keine Unternehmung wagte, die ihre Kräfte, wie sie glaubte, zu sehr beanspruchte. Das nannte man realistisch denken! Wenn dadurch nur ihre Musik besser geworden wäre! Aber sie brachte es zu keiner großen Leistung, weil sie vor der Übereinstimmung von Leidenschaft und Leistung zurückschreckte. Alles Üben half nichts. Sie erlebte nichts, weil sie nichts konnte, und sie konnte nichts, weil sie nichts erlebte. Sie kam darüber nicht hinaus. Sie litt daran. Sie durfte doch nicht so hilflos aus der Welt fallen. Sie war nicht krank, im Gegenteil, sie besaß eine so eiserne Gesundheit, daß es ihr fast langweilig wurde. Die Gesundheit hielt sogar ihre Schlaflosigkeit und Nervosität aus. Es hungerte sie nach dem Unmöglichen, aber die Welt war voll von den Steinen des Möglichen. Das Mögliche hielt sie fest wie die Gesundheit. Es war eben da, wie das von den Eltern ererbte Mobiliar da war, die Untermieter, das spärliche, aber ausreichende Einkommen durch den Musikunterricht. Es gelang ihr nicht, aus dem Möglichen auszubrechen, so wenig wie es einem Fisch gelingt zu ertrinken. Sie hätte sich diese Fragen gar nicht gestellt, wenn sie ihrer beruflichen Fähigkeiten wirklich sicher gewesen wäre. Aber obgleich sie früher einmal eine Meisterin am Klavier gewesen war, geschah es immer wieder, daß sie über Passagen stolperte, die einem Anfänger ein Lächeln abgenötigt hätten. Sie verlas sich, lebte oft in einer unbeschreiblichen Verwirrung, aus der die Schüler sie aufweckten, um sie sogleich in eine neue zu stürzen. Vergeßlichkeit legte sich wie Morphiumschlaf um sie. Die im Morgenwind rauschenden Pappeln hatten eine ärgerliche Gewißheit, sie waren aufdringlich in ihrem Dasein. Sie waren notwendig so, wie sie und wo sie waren. Sie waren nicht wegzudenken, während sie sich selbst sehr wohl wegdenken konnte, fühlte sie sich doch von allen vergessen. Notwendigkeit, das war auch ihr Begriff von Gott. Sie glaubte an gar nichts, sie ging zur Kirche nur, um jemand zu begleiten, und hielt die ganze Sündenvergeberei für eitle Anmaßung der Priester. Sie hatte sich nichts vorzuwerfen. Sie war wohl launisch, aber auch gut. Sie war geizig, weil sie sparsam sein mußte, aber sie konnte auch schenken, wenn sie genug Geld hatte. Das Leben hatte sie betrogen, aber sie konnte sich bei niemand beschweren. Es war einfach notwendig so gekommen. So und nichts anders, immer so, ob sie nun die Faust reckte oder Mendelssohn spielte oder kochte oder verzweifelte oder schlief oder eine kleine Reise machte. Plötzlich fühlte sie wunderbar die Übereinstimmung der sanften Bewegungen der Bäume mit ihrem Innern, es war so fest in sie eingebaut, als habe sie es selbst erfunden. Weiß Gott, sie bildete sich auf nichts, das sie machte, etwas ein, nicht einmal, um sich das Leben zu erleichtern. Sie war illusionslos, weil sie sich zur Genüge kannte. Sie tat alles, weil es notwendig war, z.B. war es notwendig, daß sie sich in ständiger Übung hielt, daß sie täglich in ihrem alten brauntapezierten Zimmer spielte, das von den Klängen widerhallte. Oft fiel sie in den Abgrund zwischen ihrer eigenen Bedeutungslosigkeit und der Bedeutung dessen, was sie spielte. Ihre Hände lagen fern vor ihr auf den Tasten, aber ihre Augen waren irgendwo hinter dem Mond. Sie war die Leere selbst. Wie eine gefangene Fliege in einem Marmeladenglas schwirrte sie umher, krabbelte sie auf dem Glas, das sie von der Welt draußen trennte. Und doch entstand dabei ein schwebendes Gefühl, als blättere ein zäher, alter Anstrich von ihrem Inneren ab. Sie fühlte diese Nacktheit als Befreiung. Aber das war doch schamlos! Etwas erfüllte sie mit Gier, die Töne kamen schwer und gesättigt auf sie zu, sie genoß. Sie wurde sinnlich, schwermütig, hörig von Musik. Die längst bekannte leere Abfolge der Noten

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