Miro. Christina Hupfer

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Miro - Christina Hupfer

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aber die Einnahmen waren spärlich. Kein Tag, der die Leute mitleiden ließ. Er war einfach zu schön. Nach den vergangenen herbstlich trüben Tagen schien die Sonne von einem strahlend blauen Himmel. Das Blätterdach über ihr spendete willkommenen Schatten. Sie schloss die Augen, lehnte sich an den warmen Baumstamm und versuchte nicht daran zu denken, wie Wladimir wegen der geringen Einnahmen wieder toben würde. Was er sich wieder Perfides für sie würde einfallen lassen. Als ob dieser Tag hinter seinem freundlichen Gesicht nicht schon genug Schreckliches gebracht hätte. Was hatte wohl dieser fremde Mann verbrochen, den sie heute Morgen totgeschossen hatten?

      Sie war nochmals ins Haus zurückgelaufen, angeblich, um dringend die Toilette aufzusuchen. In Wahrheit war sie sich nicht mehr sicher gewesen, ob sie ihre Senftube unsichtbar verstaut hatte.

      „Das dir könnte so passen!“ Die zischend hervorgestoßenen Worte erschraken sie zu Tode, bis sie merkte, dass sie nicht ihr galten. Gerade noch rechtzeitig konnte sie sich in einer Nische hinter der Küchentür verbergen, um einer gefährlichen Begegnung zu entgehen. In den Sätzen, die zornig dort drin gewechselt wurden, lag eine tödliche Wut. Der arme Kerl, den Wladimir und ein hochgewachsener Mann in einem eleganten Anzug gleich darauf an den Beinen voran über die Hintertür nach draußen zogen, hatte diese nicht überlebt. Die kleine Waffe, deren leises aber explosives ‚Plopp‘ ihn getötet hatte, war dem Schützen bei der Aktion aus der Hand gefallen, und zu ihrem Entsetzen direkt vor ihr Versteck gerutscht. Mit zitternden Händen hatte sie sie mit Hilfe eines Küchentuchs gepackt und auf dem Weg nach draußen einfach hinter ein lockeres Wandpaneel im Hausgang gestopft. Und noch bevor Wladimir wieder aus dem Haus gestapft kam, übler als sonst gelaunt, saß sie eingeschüchtert auf ihrem Platz im Bus. Das Telefonat, das Wladimir kurz darauf, offensichtlich mit dem Anzugträger, führte, hatte sie zusätzlich verstört:

      „... wird sein runtergefallen, vielleicht unter Schrank gerutscht.“

      „....“

      „Ja, Chef, werde ich schauen. Fahre ich wenn Leute an Platz gleich zurück und bringe ‚Problem’ weg. In sein Auto.

      „...“

      „Ja, Chef. Suche ich gründlich. Verspreche ich.“

      „...“

      „Nein, nein, Chef. Nicht brauchen Angst haben. Waren die alle schon in Bus. Niemand hat gemerkt was.“

      „...“

      „Ja, gebe ich Nachricht, wenn ok alles.“

      Da sie unmittelbar schräg hinter ihm saß, hatte sie auch die gemurmelten, aufgebrachten Worte nach dem Ende des Telefonats verstanden:

      „Ja, Chef. Nein, Chef. Immer wenn hat Scheiße gebaut, Wladimir muss ausbaden.“

      Aber die Pistole kann er lange suchen, dachte sie trotz ihres unkontrollierten Bebens ein wenig boshaft.

      Sie versuchte die fürchterliche Erinnerung an diese morgendliche Beobachtung abzuschütteln. Vielleicht bekomme ich heute wieder einen Euro von einem der beiden netten Zirkusjungen, die seit ein paar Tagen mit ihrem Lama da vorne an der Ecke Aufstellung genommen hatten, versuchte sie sich abzulenken. Wenn die für ihre abendlichen Vorstellungen werben und ihre ‚Futterkasse‘ hinhalten, klimpert es darin wesentlich häufiger als bei mir.

      Wenn sie ehrlich war würde sie wenn sie könnte, auch lieber diese aktiven Leute unterstützen als jemanden der Mitleid heischend tagtäglich nur auf der Straße hockte.

      Und die beiden Jungen, eigentlich Männer, sahen dazu auch noch ganz gut aus. Keine Modeltypen. Aber unter dem ausgeblichenen Sweatshirt des einen und dem karierten Hemd des anderen steckten muskulöse sportliche Körper. Sie schauten immer wieder mitleidig zu ihr herüber, und meist kam dann einer von ihnen zu ihr und ließ eine Münze in ihren Becher fallen.

      „Sie haben es bestimmt nicht leicht. Wir können nur hoffen, dass sie auch was davon abbekommen“, hatte der Karierte, der Ältere, der den Hänger fuhr, gestern erst etwas ruppig zu ihr gesagt und sie mit skeptischen graugrünen Augen gemustert.

      „Danke.“

      Mehr hatte sie nicht heraus gebracht, wäre dabei aber am liebsten in diesem kleinen Loch im Boden, das sie mit ihrer Fußspitze nicht schnell genug vergrößern konnte, verschwunden.

      Und doch hoffte sie heute schon wieder, dass für sie etwas abfiel. Sie nickten ihr immerhin freundlich zu.

      ***

      „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan.“

      Schnaufend nahm der Alte neben ihr Platz. Rumos Körper bog sich vor Begeisterung in alle Richtungen, als er zu ihr auf die niedrige Mauer sprang.

      „Oh wie schön. Seid ihr doch noch gekommen!“ Sie schlang ihre Arme um den Hund und verbarg ihre Freudentränen in seinem warmen Fell.

      „Kann ich Rumo und meinen Rucksack bei Ihnen lassen?“, fragte Johannes als er wieder zu Atem gekommen war. „Ich will noch ein wenig einkaufen. Haben Sie auch einen Wunsch, Miro?“

      „Nein, danke. Gehen Sie nur. Ich pass auf die beiden auf.“ Ihren einzigen großen Wunsch sich einfach in Luft aufzulösen, diesem Gefängnis ohne Mauern zu entfliehen, den konnte vielleicht sein ‚Herr‘ erfüllen, aber nicht er. Und an diesen Herrn zu glauben, das hatte sie inzwischen aufgegeben.

      6

      Was war denn da drüben los? Aufgeregtes Geschrei riss sie aus ihren Gedanken und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf den Eingangsbereich des Supermarkts. Dort versammelte sich eine immer größer werdende Gruppe Menschen um ein auf der Erde liegendes Bündel. Ihr Herz blieb stehen, stolperte und schlug wie verrückt weiter.

      „Johannes!!!“

      Sie stürzte mit Rumo an der Leine und dem schweren Rucksack über dem Arm vorwärts und fiel fast auf den regungslos daliegenden Körper.

      „Johannes, Nein!!!“

      Schwach vor Erleichterung registrierte sie ein kaum wahrnehmbares Beben, vernahm ein leichtes Röcheln. „Johannes?“

      „Miro...hrrrch“

      „Sch, sch...“

      „Ru... Papiere“, hauchte er noch. Dann wurde er schlaff, und alles Leben wich aus dem breiten, gutmütigen Gesicht, das von dünnem kalten Schweiß bedeckt war.

      „Bitte, schnell. Rufen Sie... Doktor.“ Ihr fehlten die Worte. Und es wurden immer mehr Leute, die wie angewurzelt um sie im Kreis standen.

      „Sie!“ Sie schluchzte und deutete auf den nächstbesten Gaffer. „Rufen sie... bitte... Arzt!“

      Sie hatte alle Mühe, den Hund, der sich winselnd an den alten Mann drücken wollte, festzuhalten.

      „Vorsicht Rumo, nicht zu sehr. Bitte. Ich muss Knöpfe aufmachen. Er braucht sicher Luft.“

      Die heulende Sirene des Krankenwagens, der sich durch die Menge drängte, übertönte das Jammern des Hundes. Erleichtert sah sie Männer in roten Uniformen herausspringen, die sich über den leblosen Körper beugten, ihm die dicke Steppjacke auszogen, nach kurzer Untersuchung auf die

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