Tarzans Sohn. Edgar Rice Burroughs
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Plötzlich wurde er aus seinen Träumen aufgescheucht. Ein Posten hatte dem Unteroffizier etwas laut zugerufen. Hauptmann Jacot blickte hinüber. Die Sonne war noch nicht untergegangen, aber die Schatten der paar Bäume drängten sich gleichsam schon in den Wassertümpel der Oase hinein, während die seiner Leute samt denen der Opfer sich weit hinaus über die jetzt goldüberglänzte Sandfläche dehnten. Der Posten deutete nach dieser Richtung, Hauptmann Jacot stand auf. Er war nicht der Mann darnach, daß es ihm genügt hätte, mit den Augen anderer zu sehen. Er mußte alles selber gesehen haben, ja für gewöhnlich entdeckte er alles, lange bevor die anderen überhaupt merkten, daß etwas zu sehen war. Diese außerordentliche Fähigkeit hatte ihm übrigens den Spitznamen der »Falke« eingetragen. Jetzt sah er – weit, weit hinaus über die langen Schatten – etwa ein Dutzend Pünktchen, die sich über den Sandflächen hoben und senkten. Sie verschwanden und tauchten wieder auf, wurden aber immer größer. Jacot erfaßte sofort, um was es sich da handelte: Reiter waren das, richtige Wüstenreiter.
Schon kam ein Sergeant zu Jacot herbeigeeilt. Die Leute blickten alle angestrengt nach dem fernen Horizont. Jacot gab ein paar knappe Befehle, der Sergeant grüßte, machte kehrt und ging rasch zu den Leuten zurück. Sogleich sattelten die zwölf Mann, die er bestimmt hatte, ihre Pferde, schwangen sich hinauf und ritten den nahenden Fremdlingen entgegen. Der Rest des Trupps machte sich fertig, um gegebenenfalls sofort in den Kampf eingreifen zu können. Denn es war ja keineswegs ausgeschlossen, daß die Reiter, die in rasendem Tempo auf das Lager zuhielten, Freunde der Gefangenen waren und die ihre Blutsverwandten durch einen plötzlichen Angriff befreien wollten. Jacot bezweifelte dies indessen, da die Fremdlinge offenbar gar nicht erst den Versuch machten, unbemerkt heranzukommen. Im Gegenteil, sie ritten in vollem Galopp und so, daß sie von jedem deutlich gesehen werden konnten, unmittelbar auf das Lager zu. Mochte sein, daß trotzdem oder gerade deshalb Verrat und Tücke hinter diesem Herannahen in anscheinend freundlicher Absicht lauerten. Wer indessen den »Falken« richtig kannte, würde sich nie der etwas fatalen Hoffnung hingegeben haben, daß Jacot sich je in solch eine Falle locken lassen könnte.
Der Sergeant war mit seinen Reitern etwa zweihundert Meter vom Lager entfernt, als er auf die Araber stieß. Jacot konnte deutlich verfolgen, wie er mit einem großen Mann in weißem Gewande, offenbar dem Führer der Schar, verhandelte. Beide ritten schließlich Seite an Seite auf den Lagerplatz zu, wo Jacot sie erwartete. Sie zogen die Zügel straff und stiegen vom Pferde.
Scheich Amor ben Khatur, meldete der Sergeant kurz und trat ab.
Hauptmann Jacot blickte dem Ankömmling scharf in die Augen. Ihm war so ziemlich jeder einigermaßen einflußreiche Araber im Umkreis von ein paar hundert Meilen bekannt, doch den da hatte er noch nie gesehen. Es war ein stattlicher, wettergebräunter Mann mit finster-mürrischem Blick; er mochte sechzig Jahre oder älter sein. Seine zusammengekniffenen Augen schienen nichts Gutes zu verheißen; Hauptmann Jacot hatte wenigstens sofort diesen Eindruck.
Nun? fragte er. Was ist los?
Der Araber machte keine langen Umschweife. Achmet ben Haudin ist der Sohn meiner Schwester, begann er. Wenn Sie ihn mir herausgeben, will ich ihn unter meine Obhut nehmen und dafür sorgen, daß er nie wieder gegen die Gesetze der Franken verstößt.
Jacot schüttelte den Kopf. Unmöglich, erwiderte er. Ich muß ihn nach meinem Standort schaffen. Ein besonderes Zivilgericht wird über die ganze Sache zu befinden haben. Ist er unschuldig, wird man ihn freilassen.
Und wenn er es nicht ist? unterbrach ihn der Araber.
Ihm werden allerdings mehrere Mordtaten zur Last gelegt. Wird ihm eine Schuld oder Mitschuld auch nur an einem derartigen Verbrechen einwandfrei nachgewiesen, muß er dies mit dem Tode büßen.
Die Linke des Arabers hatte im Burnus gesteckt. Er zog sie jetzt heraus und brachte zugleich einen schweren, mit Münzen bis obenan gefüllten Geldbeutel aus Ziegenleder hervor, den er ohne Verzug öffnete. Klingend rollte eine Handvoll Münzen in seine Rechte: Es waren lauter gute Goldstücke. Hauptmann Jacot schloß aus dem immer noch prallen, stattlichen Beutel, daß er ein ganz hübsches kleines Vermögen enthalten mochte. Scheich Amor ben Khatur ließ ein Goldstück nach dem anderen langsam wieder in den Beutel zurückfallen und zog die Schlinge oben wieder zu. Die ganze Zeit über hatte er geschwiegen, während Jacot jede seiner Bewegungen aufmerksam verfolgte.
Die beiden waren jetzt allein. Der Sergeant, der den Fremdling begleitet hatte, stand ein wenig abseits und drehte ihnen gerade den Rücken zu. Der Scheich hatte eben wieder alle Goldstücke in seinen dicken Beutel zurückgleiten lassen, stellte ihn auf die geöffnete Hand und wandte sich mit unmißverständlicher Gebärde jetzt an den Hauptmann Jacot.
Achmet ben Haudin, der Sohn meiner Schwester, wird diese Nacht auf unerklärliche Weise entfliehen ...? Nicht wahr? flüsterte er.
Hauptmann Armand Jacot schoß das Blut in den Kopf, daß er bis unter die Haarwurzeln errötete. Dann wurde er leichenblaß. Seine Fäuste ballten sich, und er rückte einen halben Schritt an den Araber heran. Doch plötzlich kam ihm ein anderer Gedanke, und der war entschieden besser.
Sergeant! rief er mit lauter Stimme. Der Unteroffizier stürzte sofort herzu. Er schlug die Hacken zusammen und stand grüßend vor seinem Vorgesetzten.
Bringen Sie diesen braunen Hund wieder zu seiner Bande zurück! befahl er. Und sehen Sie zu, daß die Gesellschaft auf der Stelle verschwindet. Auf jeden – ganz gleich wer – der sich bei Nacht in der Nähe des Lagers herumtreibt, wird einfach geschossen.
Scheich Amor ben Khatur richtete sich zu seiner ganzen Größe auf, seine glühenden Augen kniffen sich zusammen, und er folgte mit dem verlockenden Geldbeutel den Augen des Offiziers, der ihn von oben bis unten maß.
Mehr als dies da werden Sie für das Leben Achmet ben Haudins, der meiner Schwester Sohn ist, zahlen müssen! Und, fuhr er fort, noch einmal so viel für den netten Namen, den Sie mir eben zulegten, und das Hundertfache an Sorgen und Qualen obendrein!
Scheren Sie sich fort, ehe ich Sie mit einem Fußtritt hinausbefördere! stieß Hauptmann Armand Jacot hervor ...
All dies geschah etwa drei Jahre vor der Zeit, in der unsere Erzählung beginnt. Die gerichtliche Untersuchung in Sachen Achmet ben Haudins und seiner Spießgesellen brachte Unerhörtes an den Tag. Wen es interessiert, der mag die offiziellen Berichte nachlesen. Achmet erhielt die verdiente Strafe und ging mit der ganzen stoischen Ruhe eines Arabers in den Tod. Einen Monat später war die kleine Jeanne Jacot, das siebenjährige Töchterchen des Hauptmanns Armand Jacot, mit einem Male auf rätselhafte Weise verschwunden. Weder das Vermögen von Vater und Mutter, noch die unerschöpflichen Hilfsquellen und Maßnahmen der Regierung schienen auszureichen, um irgendwie Licht in das Dunkel zu bringen. Das Rätsel war und blieb unergründlich, kein Mensch konnte irgend etwas über das Wo und Wohin des Mädchens und seines Räubers erfahren oder entdecken. Es war gleichsam, als habe die Wüste sie verschlungen.
Unerhörte Belohnungen hatte man ausgesetzt, und viele abenteuerlustige Männer waren der Lockung dieser Jagd nach dem Glück gefolgt. Das war zwar nichts für moderne Großstadtdetektive, und doch wagte sich mehr als einer hinaus in die Wüste. Bald bleichten dafür auch die Gebeine manches kühnen Glücksjägers auf