Die Arche der Sonnenkinder. Jörg Müller
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Aber Brian besaß zwei Dinge, die in der Lage waren, diesen Makel zu beheben: Geld und Kontakte. Sein Cousin Rufus arbeitete an einer angesehenen Universität an der Ostküste der Vereinigten Staaten. Er beschloss, Rufus zu besuchen. Der freute sich, Brian nach so langer Zeit wiederzusehen. Sie hatten in ihrer Kindheit sehr viel Zeit miteinander verbracht. Aber der Kontakt war fast vollständig abgebrochen, als Rufus nach der Schule in die USA ging, dort studierte und dann an der Universität als Dozent arbeitete.
Brian lud Rufus in das Lokal in Boston ein, in dem amerikanische Bürger in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Boston Tea Party vorbereitet hatten. Nachdem sie die ersten zwei Stunden damit verbrachten, sich über ihre gemeinsame Kindheit zu unterhalten, kam Brian auf den Grund seines Besuchs zu sprechen. Rufus hörte interessiert zu.
„Brian, du weißt, dass wir eine private Eliteuniversität sind und sehr hohe Anforderungen an unsere zukünftigen Studenten stellen. Deutlich weniger als zehn Prozent der jungen Frauen und Männer, die sich hier bei uns bewerben, schaffen es, aufgenommen zu werden.“
„Rufus, glaubst du, ich hätte es damals geschafft, an eurer Uni aufgenommen zu werden?“
„Du warst einer der Besten. Natürlich hättest du es geschafft und hier auch Karriere gemacht. Aber du wolltest nicht weg aus Dublin.“
„Ich bin überzeugt davon, dass Rising Sun die Aufnahmeprüfung schaffen wird, und stell dir einmal den Imagegewinn für eure Uni vor, wenn hier ein Sohn des kleinsten Indianerstammes Amerikas erfolgreich Politikwissenschaften studiert.“
Rufus grinste.
„Brian, du bist immer noch der gleiche Fuchs wie früher. Ich mache dir einen Vorschlag. In drei Wochen besuche ich dich in deinem neuen Heim in der Wüste und sehe mir den Wunderknaben an. Dann kann ich auch mal wieder deine Frau begrüßen, die ich zum letzten Mal bei eurer Hochzeit gesehen habe.“
Rufus hielt Wort und machte sich auf den langen Weg in die Wüste. James holte ihn vom Flughafen ab. Den Abend verbrachten Suzette und Brian mit ihrem Gast auf der Terrasse. Rufus richtete seinen Blick immer wieder gen Himmel, um den einmaligen Anblick des Sternenhimmels in sich aufzunehmen.
Am nächsten Morgen erwarteten Suzette, Brian und Rufus Rising Sun. Suzette war sehr aufgeregt und gespannt, welchen Eindruck Rufus von dem jungen Indianer haben würde. Rising Sun kam nicht alleine. Der Häuptling und Listiger Fuchs trugen wieder die gleiche Kleidung wie vor Jahren, als sie den neuen Nachbarn ihre Aufwartung gemacht hatten. Rufus stutzte zuerst, dann schmunzelte er, stand auf und ging den drei Männern entgegen. Listiger Fuchs übernahm wieder die Vorstellung, zu der auch die Übergabe der Visitenkarte gehörte. Rufus stellte sich ebenfalls vor. Anschließend setzten sich alle an die vorbereitete Tafel. Nach dem Essen brachen der Häuptling und sein Bruder auf und gingen zurück zu ihrem Dorf. Brian und Suzette zogen sich zurück ins Haus. Rufus widmete sich nun dem jungen Indianer, der einen völlig entspannten Eindruck machte.
„Wenn es dir Recht ist, Rising Sun, möchte ich dir zuerst ein paar allgemeine Fragen stellen, um dich näher kennenzulernen.“
Der Indianer neigte leicht seinen Kopf, was Rufus als Zustimmung deutete. Das anschließende Gespräch dauerte fast drei Stunden.
„Ich gebe zu, dass ich beeindruckt bin. Das hatte ich nicht erwartet. Ich werde mich dafür einsetzten, dass du an unserer Universität aufgenommen wirst. Selbstverständlich musst du dich wie alle anderen Bewerber noch einer Prüfung unterziehen, bin mir aber sicher, dass das für dich kein Problem sein wird.“
Als Rising Sun sich verabschiedet hatte, kamen Brian und Suzette wieder zurück auf die Terrasse und sahen Rufus fragend an.
„Liebe Suzette, lieber Brian, ich habe noch nie einen jungen Menschen kennengelernt, der so in sich ruht und so genaue Vorstellungen von seinem Leben hat wie Rising Sun. Besonders fasziniert hat mich diese Mischung aus der manchmal kindlichen Naivität eines Naturmenschen, seiner hohen Intelligenz und dem absoluten Willen, der Menschheit zu helfen. Ich habe keinen Zweifel daran, dass er viel bewegen wird, wenn er das richtige Handwerkszeug mit auf den Weg bekommt.“
Einen Monat später flog Rising Sun in Begleitung von Brian und James nach Boston. Am Abend zuvor hatte er seinen Vater gebeten, während der Abwesenheit der beiden Männer auf Suzette und Mary aufzupassen, was der Häuptling auch sofort zusagte. Rising Sun weigerte sich auch dieses Mal, die Mokassins zu tragen, die seine Mutter ihm extra für diesen Anlass genäht hatte. Er trug eine blaue Jeans und ein blaues Baumwollhemd. Seine langen schwarzen Haare hatte er zu einem Zopf geflochten, der ihm trotz seiner Größe von 1,95 m bis zur Hüfte reichte. Als er das Gelände der Universität zum ersten Mal betrat, waren sofort alle Blicke auf ihn gerichtet. Während die jungen Frauen ihn mit großem Interesse betrachteten, rümpften die meisten der Studenten bei seinem Anblick die Nase. Immer wieder war zu hören: Was will der denn hier, oder, wer hat denn den aus seinem Reservat gelassen? Rising Sun beachtete weder die einen noch die anderen. Zielstrebig ging er zu dem Raum, in dem die Prüfung stattfinden sollte. Er wurde von mehreren Frauen und Männern erwartet. Rufus war auch dabei und kniff ihm ein Auge zu. Die Prüfung dauerte länger als normalerweise, und den Prüferinnen und Prüfern war anzumerken, dass sie mit dem jungen Mann, der vor ihnen saß, nicht so richtig etwas anfangen konnten. Besonders irritierte sie seine absolute Ruhe und Ausgeglichenheit und die sachliche Art, in der er alle an ihn gerichteten Fragen schnell und korrekt beantwortete. Als Rising Sun den Campus verließ, um Brian und James zu treffen, war er als Student dieser Eliteuniversität zugelassen. Die drei feierten dies und am Abend gesellte sich auch noch Rufus zu ihnen.
Drei Wochen später war es dann so weit, das Semester begann. Diesmal begleiteten ihn Listiger Fuchs, dem Anlass entsprechend im schwarzen Anzug, und Mary, die ihm in den ersten Wochen den Haushalt führen sollte, denn Rufus hatte auf Bitten von Brian eine größere Wohnung in der Nähe der Universität angemietet. Als sich Rising Sun vor den Tischen, an denen die Immatrikulationsmodalitäten erledigt wurden, in die Schlange stellte, wurde er wieder von allen Seiten angestarrt. Wieder spürte er die interessierten und neugierigen Blicke der jungen Frauen. Die Körpersprache der angehenden männlichen Studenten drückte diesmal mehr Erstaunen als Ablehnung aus. Sie konnten ihn nicht einordnen.
Karl Juni war ein Amerikaner Anfang 50 und arbeitete schon seit 30 Jahren in der Verwaltung der Universität. Seine Eltern waren 1961 kurz vor dem Bau der Berliner Mauer aus der DDR geflüchtet und nach Amerika ausgewandert. Karl war ein großer Freund von Indianergeschichten und hatte alle Bücher von James Fenimore Cooper und Karl May gelesen. Er beobachte den jungen Indianer schon länger und hoffte, dass er zu seinem Tisch kommen würde, um sich einzuschreiben. Das Glück war auf seiner Seite.
„Bitte nehmen Sie Platz. Ich heiße Karl, was kann ich für Sie tun?“ Rising Sun setzte sich und legte alle zur Immatrikulation erforderlichen Unterlagen auf den Tisch. Karl las sich alles mit großem Interesse durch.
„Sie heißen Rising Sun?“, fragte der begeisterte Karl, um das Gespräch in Gang zu bringen.
„Die Brüder und Schwestern meines Stammes nennen mich so.“
„Dann ist Rising der Vorname und Sun der Familienname?“ Rising Sun antwortete mit ernster Miene.
„Wenn ich ein Bleichgesicht wäre und in diesem verwirrenden Dschungel aus Stein, Beton und Stahl leben würde, dann wäre das so.“
Karl erledigte in Rekordzeit alle Formalitäten, gab dem Indianer alle Unterlagen zurück und händigte ihm den Studentenausweis aus.
„Bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie das frage: Sind Sie ein echter Indianer?“
Rising