Die Arche der Sonnenkinder. Jörg Müller

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Die Arche der Sonnenkinder - Jörg Müller

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ich.“

      „Ich bin ein großer Verehrer der Indianer. Darf ich Sie nach meiner Arbeit zu einem Bier einladen, um mehr über Ihr Volk zu erfahren?“

      Karls Augen leuchteten wie bei einem kleinen Kind am Heiligen Abend fünf Minuten vor der Bescherung. Rising Sun überlegte kurz und nickte dann.

      „Wann soll ich Sie hier abholen?“

      „In drei Stunden.“

      Rising Sun erschien pünktlich und Karl führte ihn in sein Stammlokal. Der Wirt und die Gäste staunten nicht schlecht, als die beiden das Lokal betraten. Karl stellte Rising Sun kurz vor und dann setzten sich die beiden an einen kleinen Tisch in der Ecke. Karl bestellte zwei Bier und löcherte dann seinen Gast mit vielen Fragen. Rising Sun kam jetzt zugute, dass ihm Brian als Junge das Buch Lederstrumpf zu lesen gegeben hatte, und er deshalb wusste, wie manche Bleichgesichter sich das Leben seiner Vorfahren vorstellten.

      Nach diesem Abend trafen sich die beide noch öfter. Karl informierte Rising Sun über alles, was er über den Ablauf an der Uni und über seine Dozenten wissen musste. Der Indianer erzählte ihm von seinem einfachen Leben in der Wüste, von seinen Freunden Suzette, Brian, Mary und James, von der Natur in der Umgebung seines Dorfes, die sein eigentliches Zuhause war und von seinen Zielen. Karl war ein guter und begeisterter Zuhörer.

      Zu Beginn seines Studiums nahm Rising Sun an verschiedenen Sportaktivitäten teil. Er war ein sehr guter Läufer und machte auf Grund seiner Schnelligkeit auch eine gute Figur beim Football. Der Trainer hätte ihn gerne in das Hochschulteam integriert. Aber Rising Sun weigerte sich, Sportschuhe anzuziehen. Selbst Rufus konnte ihn nicht umstimmen. Und so wurde es nichts aus einer Karriere als erfolgreicher Sportler an der Uni, was die Trainer und Rufus sehr bedauerten. Er lernte mehrere junge Frauen kennen, aber immer, wenn er sich weigerte, auf Partys zu gehen und von dem einfachen Leben seines Stammes und seinen Freunden, den Schlangen und Spinnen schwärmte, verloren sie schnell das Interesse an ihm. Aber das störte ihn nicht weiter. Er konzentrierte sich auf sein Studium, lernte Spanisch und Russisch, erkundete die Natur rund um Boston, traf sich einmal die Woche mit seinem Freund Karl zu einem Bier und verbrachte ansonsten jede freie Minute bei seinem Stamm, seinen Freunden aus dem Tierreich und natürlich mit Brian, Suzette, Mary und James.

      Als sich das Studium dem Ende zuneigte, trafen sich Häuptling Diogenes, Listiger Fuchs, Brian, Suzette, Rufus und Rising Sun auf der Terrasse der Goodness‘, um gemeinsam über die berufliche Laufbahn des jungen Mannes zu beraten. Rising Sun hatte eine klare Vorstellung, die er während des Studiums auch schon mehrfach mit Rufus diskutiert hatte.

      „Ich möchte zu den Vereinten Nationen nach New York, um dort meinen Beitrag zu leisten, dass der Weltfrieden nicht weiter gefährdet wird und die Einhaltung des Völkerrechtes und der Schutz der Menschenrechte auf der ganzen Welt gewährleistet sind. Ich habe von meinem Vater gelernt, wie man Konflikte löst, und von euch, liebe Suzette und lieber Brian, eine ausgezeichnete Allgemeinbildung erhalten. Und in den letzten Jahren habe ich an der Uni hoffentlich genug gelernt, um mich im Dschungel der politischen Eitelkeiten zurechtzufinden. Außerdem besitze ich zwei wichtige Eigenschaften, die uns Indianer auszeichnen: Ich habe unendlich viel Geduld und sehr gute Nerven.“

      Einen Monat später bat Rufus Rising Sun, ihn am Abend in seinem Büro zu besuchen. Er wollte ihm einen guten Bekannten vorstellen. Als Rising Sun, auch diesmal trug er keine Schuhe, das Büro betrat, erhoben sich Rufus und sein Gast von ihren Stühlen. Rufus stellte seinen Bekannten vor. Es handelte sich um den Franzosen Monsieur Représentant, den er als den Assistenten und sehr engen Vertrauten des Generalsekretärs der UNO vorstellte. Die drei setzten sich an einen Tisch und der Franzose begann sofort das Gespräch.

      „Wie mir mein Freund Rufus in der letzten Stunde verraten hat, heißen Sie Rising Sun und sind der Sohn des Häuptlings des Indianerstamms der Namenlosen. Ich muss zugeben, dass ich bis gerade noch nie von diesem Stamm gehört habe. Weiterhin habe ich von meinem Freund erfahren, dass er Sie trotz Ihres jungen Alters für geeignet hält, in meinem Team mitzuarbeiten. Ich kümmere mich unter anderem um die Lösung von Konflikten aller Art und um unterdrückte und gefährdete Ethnien auf dieser Welt. Und von beidem gibt es leider eine große Menge. Sie haben aufgrund Ihrer Herkunft zweifellos den Vorteil, dass Sie nachvollziehen können, wovon ich spreche. Warum glauben Sie, dass Sie geeignet sind, mein Mitarbeiter zu werden?“

      Rising Sun entschied sich, dem Franzosen in dessen Heimatsprache zu antworten. Er erzählte ihm von den abendlichen Gesprächen mit seinem Vater und von seinem Wunsch, die Menschen auf der Erde wachzurütteln, damit sie endlich erkennen, dass sie ihr tägliches Verhalten überdenken und ändern müssen, um wieder das Wohlgefallen Manitus zurückzugewinnen.

      Man sah dem Franzosen an, dass er beeindruckt war.

      „Bevor ich weiter auf Ihre Argumente eingehe, eine Frage: Wo haben Sie so hervorragend Französisch gelernt? Sie sprechen unsere Sprache wie ein Franzose.“

      „Ich hatte die beste Lehrerin der Welt.“

      „Bitte richten Sie der Dame meinen Gruß und meinen größten Respekt aus. Aber nun zu ihren Argumenten. Sind Sie religiös, und welcher politischen Partei in Amerika stehen Sie nahe?“

      „Wenn Sie mit religiös meinen, dass ich daran glaube, dass es einen Schöpfer gibt, der unsere Welt erschaffen, der uns diese Erde zum Geschenk gemacht hat, ja, dann bin ich religiös. Aber ich bin kein religiöser Fanatiker und hege keine missionarischen Gelüste. Allerdings erwarte ich von allen Menschen, dass sie das Werk des Schöpfers respektieren und erhalten. Und nun zu Ihrer zweiten Frage. Die Antwort auf diese Frage sehe ich im direkten Zusammenhang mit dem, was ich auf Ihre erste Frage ausgeführt habe. Die Suche nach Problemlösungen, um unsere Welt auch für unsere Nachkommen lebenswert zu machen, ist viel zu komplex und wichtig, um sie den Politikern zu überlassen, egal zu welcher politischen Richtung sie gehören und in welcher Staatsform sie leben.“

      Ein halbes Jahr später begann Rising Sun seine berufliche Laufbahn bei der UNO.

      4 Die Sonnenkinder

      Kehren wir zurück nach Afrika, genauer gesagt, in das Gebiet, in dem ein großer Urwald von einem Felsring eingeschlossen wird und auf dessen Nordseite Moses Smith von seinen Söhnen Stanley und Olliver beerdigt worden war.

      In den mündlichen Überlieferungen der im Süden der Felsformation lebenden Völker war von einem geheimnisvollen Volk die Rede, das in einem für Menschen unzugänglichen und sehr gefährlichen Urwald leben sollte. Eine Sage erzählte von einer Frau, die sowohl von ihrem Volk als auch von allen Tieren und Pflanzen als ihre Königin anerkannt wurde. Eine andere Sage beschrieb die Menschen, die zu diesem Volk gehörten. Sie seien nicht sehr groß und hätten auf ihrer schwarzen Haut einen großen weißen Fleck, der wie eine Sonne aussah. Deshalb wurde dieses geheimnisvolle Volk in dieser Sage auch ehrfurchtsvoll das Volk der Sonnenkinder genannt. Aber gesehen hatte diese Sonnenkinder noch niemand.

      Und doch gab es dieses Volk. Es zählte etwa 5.000 Menschen. Die Frauen waren sehr schlank und wurden selten größer als 1,50m. Die Männer hatten eine gedrungene Statur, waren sehr kräftig und etwas kleiner als die Frauen. Die Sonnenkinder hatten eine schwarze Hautfarbe, die in der Sonne leicht bläulich schimmerte, und dunkle Augen. Den Frauen reichten die glänzenden langen schwarzen Haare bis zu den Hüften, den Kopf der Männer schmückten kurze schwarze Locken. Mitten auf der Stirn der Frauen war ein fast kreisrunder weißer Fleck mit einem Durchmesser von vier Zentimetern zu sehen. Bei den Männern befand sich ein etwas größerer Fleck auf dem Bauch. Das Volk der Sonnenkinder war ein Matriarchat. Es wurde von einer Frau regiert, die die alleinige Entscheidungshoheit besaß. Sie herrschte über ihr Volk

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