Weltenlied. Manuel Charisius

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Weltenlied - Manuel Charisius Saga der Zwölf

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schwarzes Tuch. Tausend Funken glommen auf und erfüllten die Dunkelheit wie Sterne einen klaren Nachthimmel.

      Augenblicklich fühlte er sich leicht. Seine Schmerzen waren wie weggeblasen, sein Leben nicht mehr in Gefahr. Es gab kein Hier, kein Dort, kein Gestern und kein Morgen – nur ein unbegreifliches Überall.

      Wo bin ich?, wollte Léun fragen, doch die Worte blieben reine gedankliche Regung, bevor sie Form annehmen konnten; fast wie wenn er die erste Note eines vertrauten Liedes anstimmte und seine Freunde nach und nach einfielen. Auf einmal nahm er den Widerhall dieses Liedes aus allen Richtungen und sämtlichen Zeiten wahr – und er wusste, dass es auf seine Frage nur eine einzige Antwort gab.

      Ja.

      Blödsinn, wollte er widersprechen.

      Die Frage war nicht zu beantworten; sie stellte sich erst gar nicht. Trotzdem war sie berechtigt und willkommen. Wie eine passende, durch nichts zu ersetzende Note in einem unendlichen, vielstimmigen Weltenlied.

      Deshalb Ja.

      Und Léun begriff staunend, dass dies auch die richtige Antwort auf die Frage des Löwen gewesen wäre.

      Siehst du, sagte der Löwe und lachte.

      Wer bist du?, sandte Léun verzweifelt eine neue Note in das Lied hinein.

      Da erloschen die Lichter, die Musik verklang, und es wurde dunkel um ihn herum.

      Donnergrollen ließ ihn zu sich kommen. Er schlug die Augen auf. Über sich sah er das Blätterdach des Grünwalds, dahinter ballten sich gelbschwarze Wolken. Ein knorriger Auswuchs der Baumwurzel drückte ihn im Nacken. Er setzte sich auf, um Arme und Oberkörper beäugen zu können.

      Kein Blut. Bis auf die Schrammen, die er Grantis Hunden zu verdanken hatte, war er unverletzt.

      Léun kam nicht umhin prustend loszulachen. Er ließ sich wieder zur Erde sinken, wälzte sich laut lachend auf den Bauch und legte die Stirn auf die Baumwurzel. Tief sog er den Duft von Laub und Erde ein, atmete aus und lachte, bis ihm die Tränen kamen und der Bauch wehtat.

      Dieser verflixte Alptraum!

      Kein Zweifel – er war gestürzt und hatte für kurze Zeit das Bewusstsein verloren. Das Monster, das ihn angefallen hatte, war eine Illusion gewesen. Dieselbe Illusion, die ihn fast jede Nacht im Traum heimsuchte.

      Er erhob sich, wischte sich ein paar klebende Blätter von Brust und Bauch und wollte seine Kleider aufsammeln.

      Sie waren nicht da.

      Dafür war starker Wind aufgekommen. Die Wipfel der Bäume wogten. Äste knarrten, Stämme ächzten. Schon gingen die ersten dicken Regentropfen nieder. Innerhalb weniger Atemzüge schwoll das Geräusch zu einem gleichmäßigen Rauschen an.

      Léun hob den Kopf, um die Lage des Unwetters abzuschätzen. Im selben Moment zuckte ein gleißender Blitz über den dunklen Himmel, dicht gefolgt von einem ohrenbetäubenden Donnerschlag.

      »Verflixt«, knurrte er, duckte sich und zitierte mechanisch den dritten Vers aus einem alten Lied, das ihn sein Großvater hatte auswendig lernen lassen: »Halt dich im Zaum, Gypto! Ich habe kein Dach über dem Kopf … und außerdem hab ich nichts an!«

      Doch davon ließ sich Gypto, der Gott der Stürme, nicht beeindrucken. Schon goss es wie aus Eimern. Die einzelnen Tropfen waren groß wie Kastanien. Das Laubwerk hatte ihnen nichts, aber auch gar nichts entgegenzusetzen.

      Léun beeilte sich, die Umgebung nochmals nach Hemd und Hose abzusuchen. Er lief um den Löwenfelsen herum, doch vergebens. Wenn seine Freunde hier gewesen waren, dann hatten sie seine Kleider mitgenommen.

      Blödiane.

      Mit jeder Minute, die verstrich, wurde der Regen stärker. Es war unglaublich dunkel geworden. Das zur Erde strömende Wasser hatte den Grünwald sämtlicher Farben beraubt. Die Sicht verringerte sich bis auf wenige Schritte. Blitz und Donner jagten einander in immer kürzeren Abständen, und der Wind fegte heulend durch den Wald. Blätter und kleinere Zweige trudelten zu Boden. Auf einmal glaubte Léun, in unmittelbarer Nähe einen Baum krachend umstürzen zu hören.

      Er gab auf und trat den Rückzug an. Bis nach Hause würde er es nie schaffen; seine einzige Chance bestand darin, die nächste Hütte zu finden. Hoffentlich gewährte der Waldhüter Héranon ihm Unterschlupf, bis der Sturm vorüber war. Und vielleicht überließ er ihm ein paar alte Sachen zum Anziehen.

      Während Léun blindlings durch Wald und Unwetter hechtete, kam er sich unbeschreiblich schutzlos und verletzbar vor. Die Bewohner des Grünwalds waren entweder auf der Flucht oder hatten sich tief in ihre Höhlen verkrochen. Er fühlte sich wie ein Tier unter Tieren, nackt und voller Furcht – hoffentlich hatte ihn nicht längst irgendein Wind und Wetter trotzender Räuber zur Beute auserkoren. Wenn er es sich recht überlegte, schien sein Alptraum jetzt erst gnadenlose Wirklichkeit geworden zu sein.

      Die Lage der beiden Waldpfade hatte er ungefähr im Kopf; Héranons Behausung befand sich einige Meilen nordöstlich der Löwenquelle. Léun folgte dem Hügelkamm nach Norden und bog irgendwann auf gut Glück in Richtung Grüntal ab. Als er glaubte, weit genug gelaufen zu sein, wandte er sich nach rechts, den Hang hinunter. Hoffentlich verpasste er die Hütte nicht. Mittlerweile war der Waldboden vom Regen so durchweicht, dass er mit jedem Schritt fast bis zu den Knöcheln in matschiges Laub und ekelhaft weiche Erde einsank. Noch dazu holte er sich im dicht wuchernden Strauch- und Nadelgehölz neue blutige Schrammen an Schultern, Armen und Schenkeln.

      Nach etwa drei Steinwürfen stieß er auf eine kleine Lichtung. Léun hielt an und verschnaufte. Hier war der Wind schon weniger spürbar, dafür schaukelten die Baumkronen über ihm bedrohlich hin und her. Seine triefnassen Haare klebten ihm an Stirn und Schläfen, und der ständige kalte Regen ließ ihn trotz des anstrengenden Laufs mittlerweile erbärmlich frieren. Flüchtig überlegte er, ob er sich nicht einfach im Unterholz verkriechen und dort besseres Wetter abwarten sollte.

      Auf der anderen Seite brach etwas krachend durchs Geäst. Léun fuhr herum.

      Ein Wildschwein.

      Als das Tier ihn bemerkte, stieß es ein erschrockenes Quieken aus, schlug einen jähen Haken und verschwand raschelnd im Tannengehölz. Léun beeilte sich, ihm das Revier nicht länger streitig zu machen, und rannte in entgegengesetzter Richtung los.

      Das war sein Glück. Kaum fünfzig Schritte weiter stieß er auf einen Pfad, der, den zahlreichen Trittspuren nach zu urteilen, regelmäßig benutzt wurde. Léun folgte ihm für weitere hundert Schritte. Nacheinander kam er an einer grob gezimmerten leeren Futterkrippe, einem Holzblock mit Hackspuren und einer auf einem Holzgestell montierten Zisterne vorbei.

      Und endlich sah Léun die Hütte.

      Er wollte schon aufatmen, da krachte ein Donnerschlag hernieder, der ihm durch Mark und Bein ging. Er beschleunigte seine Schritte, rannte wie um sein Leben und blieb erst stehen, als er die dicke Bohlentür erreicht hatte. Mit beiden Fäusten hämmerte er dagegen.

      »Mach auf, Waldhüter!«

      Abrupt wurde die Tür aufgerissen.

      Léun ließ die Hände gerade noch rechtzeitig sinken. Notdürftig seine Blöße bedeckend, trat er von einem Fuß auf den anderen.

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