Eine Frau schon in den Jahren und andere Mördergeschichten. Beate Morgenstern

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Eine Frau schon in den Jahren und andere Mördergeschichten - Beate Morgenstern

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muss eben einen guten Freund haben!, sagte der andere und in seinen Augen, die sich zu leicht verengten, stand nichts als Trauer.

      In Gott oder so!, sagte der Bruder verstehend. Er arbeitete neuerdings bei einer kirchlichen Behörde.

      Nenn es, wie du es willst, sagte der Freund.

      EIN DUFT VON ROSEN

      Noch immer dieser Duft von Rosen!

      Er rollte sich nach vorn ab, wieder zurück, mehrere Male hintereinander, legte die Beine gestreckt über sich, dass sie den Boden berührten. Seit Jahrzehnten immer die gleichen Übungen, die sowohl seinen Körper gelenkig hielten, wie seine Sinne vor dem Einschlafen beruhigten. Der Flur bot genügend Platz. Früher waren die Männer, die sich seine Frau einlud, manchmal im Dunklen über ihn gestolpert, über ihn, diesen kleinen schmalen Mann, der sich nackt diesen Bewegungen zuwendete, unbeirrt, was im Zimmer seiner Frau geschah. Er hatte nichts gegen die Männer, die seine Frau einlud. Sie gingen ja bloß auf das ein, was ihnen angeboten wurde. Auch seiner Frau nahm er es nicht übel. Sie sah zu gut aus. Sie war Opfer ihres Aussehens. Sie hatte keine Möglichkeit zu widerstehen, folgte blindlings dem, was ihr verheißen wurde, sah darin wahrscheinlich eine Anerkennung ihrer Person. So hatte er es sich nach und nach zusammengereimt. Denn sie war durchaus nicht sexbesessen. Heute Abend hatte er am Anfang ihrer Ehe gesagt, damit sie sich vorbereitete, freute. Doch sie hatte sich nie gefreut, obwohl er ihr einen ganzen Tag Gelegenheit dazu gegeben hatte. Was also trieb sie zu den Männern? Sie wollte Anerkennung! Etwas anderes konnte es nicht sein. Er hatte heulend, dem Zusammenbruch nahe, schließlich zurückgefunden in die Zeit vor ihr, in der er sich selbst genügt hatte. Niemals würde er wieder unter einem Menschen leiden, das hatte er sich geschworen. Er hatte sich entschieden, von den Menschen unabhängig zu werden. Man sagte, damals habe er sich verändert. Er schor sich seine lockigen Haare, reduzierte sein Gewicht. Ein ständiges leichtes Hungergefühl rechnete er sich als Genuss an. Sein Gesicht und Körper magerten ab. Leicht wollte er sein. So konnte er bei seinem täglichen Lauf in Geschwindigkeiten diesen einen Baum erklettern, den er sich ausgesucht hatte. Dieser andere Mensch, der nun für alle sichtbar zum Vorschein kam, war schon in ihm gewesen. Selbst in dieser kleinen Kinderbande, der er angehörte hatte, war er nie jemandes besonderer Freund gewesen. Durften die anderen nicht nach draußen, weil es zu kalt, zu nass war, dann war er eben allein in den nahen Wald am Rande der Kleinstadt gegangen und hatte sich dort stundenlang beschäftigt. Die Mutter hatte nichts dagegen unternehmen können. Er hatte gemacht, was er wollte. Mit anderen Menschen oder ohne sie. Eingebrochen war er in diesen Jahren, ohne jemanden zum Zeugen zu haben und ohne Gier auf die Dinge. Etwas zu besitzen, bedeutete ihm nichts. Er war in Häuser eingebrochen, um auszuprobieren, wie das Gefühl dabei sei, hatte etwas mitgehen lassen und dann auf den Müll getan. Da freute sich der Nächste, der kam. Damals gingen die Leute noch auf die Müllkute, suchten sie nach Brauchbarem ab. Damals, nach Kriegsende. Er hatte auch nie gedacht, dass die Leute sich grämten, wenn er ihnen etwas wegnahm. Vielleicht hätte er auf den Gedanken kommen sollen. Aber er kam nicht darauf. Weil Dinge ihm eben nichts bedeuteten. Waren die Menschen selbst schuld, wenn sie ihr Herz an Dinge hängten. In Hochschulzeiten hatte es ihn sommers wieder in die Wälder gezogen, die die Universitätsstadt umgaben. Wochenlang hauste er in einer selbst gezimmerten Unterkunft da draußen und hatte an ein Leben gedacht, in dem er frei herumziehen wollte. Dann hatte er seine Frau kennengelernt, war einmal unvorsichtig gewesen, hatte sich ganz auf sie eingelassen. Was hatte er in sie hineingesehen! Gedichte hatte er ihr geschenkt, die ihm in seinem Nachdenken um die Welt wichtig geworden waren. Ausgerechnet ihr Gedichte! Ihre hellen lang bewimperten Augen hatten ihn träumen lassen. Ahnungslos war er in die Falle getappt und fast daran krepiert, als sie sich mit einem Mal von ihm abwandte, ihn aus dem gemeinsamen Haus haben wollte, nicht mehr mit ihm gesprochen hatte und ihm auf jede Weise hatte fühlen lassen, wie unerwünscht er war. Er hatte sich als Gescheiterter angesehen, sich das Ende der Beziehung als eigenes Versagen angerechnet. Sein Gerechtigkeitssinn ließ allerdings nicht zu, dass sie ihn aus dem Haus trieb. Er hatte aller Feindseligkeit widerstanden. Stunde um Stunde, Tag um Tag! So hatte er gedacht. Daraus war ihm ein Gerüst erwachsen. Die Zukunft interessierte ihn nicht, genau so wenig wie die Vergangenheit.

      Seit drei Jahrzehnten war er wieder unabhängig. Schaute er auf das Glück anderer Leute, dachte er mit Schadenfreude an das, was auf sie zukäme. Und wen ein Unglück traf, konnte kein Mitleid einfordern, nicht einmal Mitgefühl. Mitleid, Mitgefühl, Worte, die seinen Ärger erregten. Mitleid hatte er erlebt. Seine Frau hatte getan, was sie tun musste. Alle wussten Bescheid in der Kleinstadt, in der er geboren, aufgewachsen und in die er nach dem Studium zurückgekehrt war und die er nur verlassen hatte, um in der Kreisstadt zu arbeiten oder dort auf ein Amt zu gehen. Wie demütigend, erniedrigend war ihm gewesen, wenn die Leute mit ihm über seine Frau sprachen und wie leid ihnen das täte, was ihm geschähe. Nein, er wollte kein Mitleid, und er hatte keines. Er war ganz für sich allein und mit sich allein glücklich. Was andere über ihn dachten, interessierte ihn nicht. Er ging seinen Weg genau so, wie er es für richtig befand. Seiner Frau war er nie gram gewesen trotz allem, was sie ihm angetan hatte. Sie war eine Getriebene, wie er es nannte. Manchmal hatte er tatsächlich Mitleid mit ihr empfunden, das er ja eigentlich ablehnte. Als die dauerhafte Beziehung, die seine Frau seit vielen Jahren hatte, in eine Krise geriet, hatte sich nicht einmal Schadenfreude eingestellt, zu der er sonst neigte. Zulange war alles her. Sie war nicht glücklich geworden. Der Mann mit ihr, war nicht glücklich geworden. Er hatte es ohne Bewegung notiert. Möglicherweise war er ihrem wie auch immer gearteten Glück im Weg gewesen. Hätte er das Haus geräumt, wäre der Mann eingezogen. So kam der nur zu Besuch. Denn sie war genauso wenig bereit gewesen wie er, das Haus zu verlassen. Im Grunde aber interessierten ihn solche Erwägungen nicht. Jeder war seines eigenen Unglücks Schmied und seines eigenen Glückes auch. Er war eins mit sich. Aus seinem Beruf war er bei guter Gelegenheit ausgeschieden, hatte bei einer alten Töpferin im Nachbardorf angefangen, die ihm ihr Handwerk beibrachte, die ihn bezahlte, bis sie keine Aufträge mehr hatte. Er übernahm ihre Werkstatt, schaffte genauso lange, wie er es wollte, ließ sich von nichts und niemanden antreiben. Er probierte Dinge mit sich aus. Beim täglichen Lauf verlangte er sich das Äußerste ab, ob es schneite oder der Berg, auf dem er immer lief, glühende Hitze ausstrahlte. Grenzsituationen reizten ihn. Bei einem kleinen Eingriff, der sich als notwendig erwies, hatte er auf eine örtliche Betäubung verzichtet und war dann wie üblich mit seinem Fahrrad aus der Stadt nach Hause gefahren. Das Fahrrad aus Schrott zusammengesetzt. Die alte Karre sein ganzer Stolz. Die Schmerzen ertrug er mit einer Neugier, wann er wohl absteigen müsse. In die Berge zu klettern, hätte ihn reizen müssen, hatte jemand gesagt. Doch er hatte erklärt, es bedeute ihm zu viel Aufwand, Vorbereitung. Auch wäre eine Ausrüstung zu kaufen. Er hätte Geld zu verdienen, würde sich wieder in Abhängigkeit begeben. Nein, er kam mit Notwendigstem aus, fand an der Genügsamkeit Genuss, aß, ohne den Herd zu benutzen. Obst, Gemüse roh, Brot, gemahlenen Leinsamen, wenig Käse oder Wurst, trank klares Wasser aus der Leitung. (Neuerdings, seitdem der Wasserkocher seiner Frau in der Küche stand, leistete er sich, einen Früchtetee zu kochen.) Er schlief in einem vom Keller abgetrennten Raum, der nicht zu heizen war. Den hatte er sich ausgebaut. Die Temperaturen immer über null. Einen größeren Raum hatte er sich im Erdgeschoss erstritten. Dort hingen seine Modellflugzeuge, dort baute er mit Pappe und leichtem Holz historische Gebäude nach. Wenn er eines wieder abfackelte, lud er, eine kleine, dumme Gewohnheit, Frau und Freund dazu ein. Nein, nein, ich kann das nicht sehen! hatte seine Frau immer gesagt. Ich verstehe dich nicht. Erst gibst du dir soviel Mühe. Und dann zerstörst du es, und keiner sieht es außer uns! - Ich habe es gemacht, das reicht mir, antwortete er jedes Mal. Nichts ist für die Ewigkeit! Zu schaffen bedeutete Lust. Lange reichte die Lust. War ein Bauwerk fertig, schaute er sich ein anderes zum Abfackeln aus. Was noch einmal Lust bedeutete. Eine kürzere, aber dafür größere. Schon merkwürdig, wie langsam etwas entstand, wie schnell es zerstört war. Und dennoch gab es alles im Überfluss. Er kam nicht darauf, warum dies so war. Doch auch im Wildwuchernden lag eine Zerstörungskraft. Ein Zusammenbruch war programmiert. Das All war ewig, würde sich immer erneuern. Nichts sonst. Wie lange der Mensch sein Verschwinden auf dem Planeten hinauszögerte,

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