Eine Frau schon in den Jahren und andere Mördergeschichten. Beate Morgenstern

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Eine Frau schon in den Jahren und andere Mördergeschichten - Beate Morgenstern

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die Urlaube mit seiner damals jungen Frau und ihrer kleinen Tochter. Wie er seine Frau auf den Armen gehalten hatte. Genau wie jetzt. Als seine Kräfte versagten, ließ er die Last aus seinen Händen gleiten, übergab seine tote Frau dem Meer. Er rechnete mit der Unterströmung, von der er damals gehört hatte. Die würde sie hinaus ins Meer ziehen. Vielleicht begegnen wir uns da oben!, dachte er und ermutigte sie, die ihn zu Lebzeiten nicht mehr hatte haben können. Er hatte die Überzeugung, dass von ihm etwas bleiben würde in diesem unendlichen All. Also auch von ihr. Er kam an Land, schlief im Auto, bis es Morgen war, dachte, es sei besser, erst in der Nacht zu Hause anzukommen. Er hatte Hunger, hielt aber nirgendwo. Er musste sich nicht unnötig zeigen. Als er wieder in seine Kellergarage einfuhr, waren Nachbarn vielleicht Zeugen oder nicht. Einige Tage hätte er noch Ruhe. Dann würde sich der Freund seiner Frau von seiner Reise zurückmelden. Sie war ja nicht dazu zu bewegen gewesen, ihn auf seinem Boot zu begleiten. Doch dann hielt er es für besser, selbst seine Frau als vermisst zu melden.

      Er war auf alles gefasst. Lebenslange Haft wäre eine neue Herausforderung. So sehr er Zwang immer abgelehnt hatte, so eigentümlich war ihm, dass er gern Soldat gewesen war. Vielleicht lag ihm das Spartanische, bloß ein Rädchen in einem Uhrwerk zu sein. Er würde sich auch in einer Zelle sein Leben einrichten können. In gewisser Weise wünschte er sogar zu erfahren, wie er diese Situation bewältigte und ob er dennoch er selbst blieb, unberührt, unabhängig.

      Die Polizei redete von möglichem Selbstmord. Immerhin, sie war ja krank gewesen, in einer Klinik. Der Tochter wegen. Sie maß sich wahrscheinlich Schuldgefühle zu. Die Kindheit hatte sie zunächst bei der Großmutter verbracht und dann in einer Familie, in der Krieg herrschte. Selbstmordgedanken hatte sie während der Therapie geäußert. Ich halte es für unwahrscheinlich, sagte er. Sie war unglücklich. Sie bewältigte nicht, dass unsere Tochter (er sagte jetzt »unsere Tochter«) von den Drogen nicht wegkommt. Aber wer spielt nicht einmal mit dem Gedanken! Man suchte nach ihr, schloss grundsätzlich auch Mord nicht aus. Als Täter erschienen Freund und Mann unwahrscheinlich, wenn auch beide kein Alibi hatten. Dennoch ordnete man eine Haussuchung an, fand bei dem Freund nichts Verdächtiges und bei dem Ehemann lediglich eine Gipsmaske, die er der Frau abgenommen haben musste. Die Löcher im Bereich der Nase deuteten darauf hin, die Frau hatte noch gelebt, als der Mann ihr die Maske abnahm. Und dass er seiner Frau eine Gipsmaske abgenommen hatte, schien sogar für eine gewisse Vertrautheit des Paares zu sprechen. Warum auch sollte der Ehemann seine Frau umbringen, nachdem er so viele Jahre die Beziehung hingenommen hatte. Der Freund sagte aus, er befände sich in einem nahezu freundschaftlichen Verhältnis zu dem Mann seiner Freundin. Der sei allerdings eigenbrötlerisch geworden und habe streng auf seine Unabhängigkeit geachtet. Eifersucht? Der Freund hatte, trotz seiner tiefen Bestürzung, bitter aufgelacht. Er konnte im Übrigen sein Unglück nicht fassen, faselte davon, warum er nicht dageblieben sei und stattdessen die Bootsfahrt allein gemacht hätte. Offenbar hatte er sich lange damit abgefunden, dass die Frau nie zu ihm in eine Wohnung gezogen war. Hatte es auch verkraftet, als sie sich weigerte in ein Haus zu ziehen, das er sich nach der Wende bauen wollte. Stattdessen hatte er sich entschädigt und dieses große Boot gekauft. Da sich keine Leiche fand, schloss die Polizei nicht aus, dass die Frau die beiden Männer verlassen hatte, um ein neues, ganz anderes Leben zu beginnen. Wie viele Menschen gingen jeden Tag absichtlich verloren! Keine zweite Frau in der Gegend wurde Opfer eines Gewaltverbrechens. Und so legte man den Fall zu den Akten.

      Von Zeit zu Zeit besuchte der Freund den Ehemann, immer mit der Frage, ob er auch wirklich nicht störe. Der Ehemann bot ihm ein Glas Früchtetee an. Der Freund hatte stets Kuchen dabei. Manchmal nahm der Mann davon. Dann freute sich der Freund. Manchmal lehnte er ab. Er eben unberechenbar. Vielleicht ist sie in Australien oder Amerika!, sagte der Ehemann. Wer weiß! Sie sollten sich nicht so quälen.

      Eines Tages machte der Ehemann dem Freund ein Geschenk: Eine Gipsbüste der Frau, rot gefärbt wie aus Ton. Der Freund erschrak. Als ob sie gleich anfangen würde zu sprechen, sagte er. Ganz echt! Sie sind ein wirklicher Künstler! (Obwohl sie sich Jahrzehnte kannten, siezte der Mann den Freund noch immer.) Der Freund war ein einfacher Mensch und hielt Porträtähnlichkeit für das Höchste in der Kunst. Sie tranken wieder Früchtetee in dem großen Raum, den der Mann sich von seiner Frau erstritten hatte und der im Übrigen inzwischen völlig ausgeräumt war. Modellflugzeuge wie Nachbildungen von Gebäuden entfernt, wahrscheinlich abgefackelt. Dieses Mal nahm der Mann wieder ein Stück Kuchen. Sie befanden sich im besten Einvernehmen miteinander, redeten über die Frau, bis beiden die Augen feucht wurden. Ein leichter Rosenduft hing im Raum.

      DAS BILD SEINER FRAU

      Wie fühlst du dich, Liebling?

      Besser. Durchaus. Die Lebenskräfte kehren zurück.

      Wirklich? Du hast so wenig geschlafen.

      Manchmal macht das nichts. Sorg dich nicht.

      Aber wohlfühlst du dich nicht.

      Man kann sich ja nicht jeden Tag wohlfühlen. Ich habe keine Schmerzen, und mir ist auch nicht übel, nicht schwindlig. Das sollte reichen. Hab ja auch schon wieder Appetit.

      Das ist wahr. Zärtlich besorgt blickte er auf sie. Mitgenommen sah sie aus, ohne Schminke sowieso. Nun aber war ein Tiefpunkt erreicht. Durch die Auskunft, sie hätte Appetit, mutig geworden, fragte er: Was hieltest du von einem kleinen Ausritt?

      Sie lächelte. Er hatte diese Angewohnheit, Dingen andere, leicht hochtrabende Namen zu geben. Hm.

      Hm ja oder hm nein?

      Hm ja!

      Es wird dir gut tun. Jeden Tag ein paar Schritte mehr. In einer Woche bist du wieder aufm Damm! Dann tanzt und springst du und drehst wieder deine Pirouetten, du wirst sehen.

      Wenn du es sagst.

      Sie war krank gewesen. Sie hatte Fieber gehabt, was sie beide nicht von ihr gewohnt waren. Er hatte sich sehr darüber erregt. Es musste ihr immer gut gehen. Sein Wohlbefinden hing davon ab. Manchmal war ihr seine Liebe zu viel. Sie konnte es sich nicht leisten, dass es ihr schlecht ging. Gleich litt er mit. Also tat sie munterer als ihr zumute war. Nach anstrengenden Tagen in der Schule zum Beispiel. Sowieso war sie oft kraftlos, deprimiert. Woher das auch kam. Die Stunden bei ihrem Psychotherapeuten gaben wenig Aufschluss. Er aber wollte immer wissen, ob es ihr auch gut ginge, ob ihr diese Stunden etwas genutzt hätten, ob sie sich nun besser fühle. Ja, sagte sie, ja. Immer dieser Zwang zum Lügen. Aber er hatte nun einmal ausdrücklich erklärt, dass er nur durch sie lebe, sie brauche. Er ja so sensibel. Ein Künstler eben. Seine Werke, da glaubte sie ihm aufs Wort, bedeutend. Er hatte noch nicht die Anerkennung gefunden, war bei Weitem unterschätzt. Ganz sicher waren beide, seine Zeit würde kommen. Ganz klar, sie lebten für sein Werk, da hatte sie zu funktionieren. Nachdem er seine gut dotierte Anstellung aufgegeben hatte, lastete eine noch größere Verantwortung auf ihr. Die Bildverkäufe brachten hin und wieder Geld. Doch er verkaufte ungern. (Seine Bilder waren seine Kinder. Er sammelte sie für seine große Ausstellung, die er ganz sicher eines Tages haben würde.) Pass auf!, sagte er jeden Morgen, ging sie aus dem Haus. Allen Ernstes hatte er die Vorstellung, sie könne unter ein Auto geraten oder sonst etwas würde ihr zustoßen. Wurde sie krank, fürchtete er, die Krankheit führe zum Tode. Er ein Hypochonder, ein Künstler eben. Es war nicht leicht mit ihm. Sie liefen die Straße entlang, sie am Arm ihres Mannes. Teils aus Gewohnheit, teils, weil sie sich noch schwach fühlte. Er nicht besonders groß. Doch von athletischer Statur. Das bärtige Gesicht wie aus einem Picasso Bild, die Nase wuchs deutlich in die linke Gesichtshälfte, das eine Auge höher und größer als das andere. Hässlich sah er deshalb nicht aus, eher männlich verwegen. Frauen fühlten sich von ihm angezogen. Sie erwarteten einen starken, einen väterlichen Freund. Sie, die Frau neben ihm, bestätigte den Eindruck, den sie von ihm hatten. Nicht besonders klein, sehr schmal

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