Eine Frau schon in den Jahren und andere Mördergeschichten. Beate Morgenstern
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Eine Frau schon in den Jahren und andere Mördergeschichten - Beate Morgenstern страница 9
Diese Gegend hier, diese Straße! Sie atmete durch. Die Villen dieser Straße gerade noch nicht zu protzig, nicht tief in den Gärten versteckt. Und vor den großen Häusern auch noch ein Raum für hohe Bäume, ein wenig Rasen, Pflanzen, immergrünes Rankenwerk. In den weitläufigen Höfen mit ebenfalls hohen Bäumen lud man sich an Sommerabenden Gäste ein oder feierte auch miteinander. Die lange, krumme Straße Kopfstein gepflastert. Damals hatten die Anwohner nicht das Geld ausgeben wollen für einen Straßenneubau. An den Rändern Asphaltbelege für Fahrräder. Heute gab das dieser Straße einen noch größeren Reiz. Kaum fünfzehn Fahrminuten bis zum Zentrum und doch war man wie j.w.d. Janz weit draußen, wie der Berliner sagte. Sie beide keine Berliner. Die meisten, die sie kannte, keine Berliner. Die, die die Stadt umtrieben, kamen in der Regel von sonst woher. Heute mehr denn je. Manche auch Rückkehrer. Sie hatte ja die Insellage geschätzt. Heute die Stadt überflutet, hatte einen ganz anderen, einen weltstädtischen Charakter bekommen, was auch etwas für sich hatte. Doch in dieser Gegend lebte man wie vor zwanzig, vor dreißig, womöglich vor vierzig Jahren. Unbehelligt. Als sie damals noch beide verdienten und sich für Wohneigentum entschieden hatten, waren sie bei der Suche sehr gründlich vorgegangen und hatten sich für diesen grünen Bezirk entschieden, hatten - nach heutigen Maßstäben - die große Wohnung billig erworben. Auf Abzahlung natürlich. Die Erhaltungskosten noch im Rahmen. Sie verdiente gut. Hatte Pensionsansprüche. Weshalb er wirklich nicht den mindesten Grund hatte, ein Drama daraus zu machen, wenn es ihr mal nicht besonders gut ging. Seine Leinwände, Farben, sein Papier und sonstige zu seinem Beruf gehörigen Utensilien versuchte er sich durch den Verkauf von Grafiken selbst zu finanzieren. Da war er Gott sei Dank eigensinnig. Natürlich hatte sie sich alles mal anders vorgestellt. Sie ja wahrhaftig nicht von robustem Naturell, hatte gedacht, sie hätte jemanden gefunden, an den sie sich anlehnen könnte. Wie sich eine Frau das eben so wünschte. Sie hatte sich von seiner Ausstrahlungskraft täuschen lassen. Nach und nach klärte sich ihr Irrtum auf. Ihr ging es wohl wie den meisten Frauen. Nach außen brauchten die Männer die Fassade eines Menschen, der gelassen das Leben meisterte. Aber soweit sie Einblick hatte, waren sie tief im Inneren schwach, fürchteten vor allem Veränderungen. Dass er so an ihr hing, nervte sie. Aber sie würde lügen, sagte sie, dass es sie nur nervte. Sie war in die Rolle hineingewachsen. Ja, sie, die Neurotikerin, als die sie sich selbst einschätzte, war dann doch in der Lage, einen Mann auszuhalten, der dauernd Angst um ihr Leben hatte. Sie wusch, bügelte für ihn. Hatte er Schnupfen, machte sie ihm seine Dampfbäder. Sonntags kochte sie schwäbisch. Sie kamen ja beide daher. (Sie waren beide vom Dorf ausgerissen in die Großstadt.) Seine Unselbstständigkeit ärgerte sie. Wiederum, sie waren schon so lange zusammen. Und er war ja auch nicht nur schwach. Er arbeitete wild, leidenschaftlich, war geradezu ein Berserker, wofür sie ihn bewunderte und sowieso für das, was er schuf. Auch hatten sie schon so viel miteinander erlebt. Sie kannte kein Paar, das solange beieinander geblieben war. Wollte sie etwa einen von diesen Männern unter ihren Kollegen, deren Lebensinhalt sich darauf beschränkte, sich ständig etwas zu beweisen, die ständig etwas darstellen mussten? Was sie auch taten, sie taten es weniger um der Sache willen, sie versuchten mit ihrem Tun, Ansehen zu erwerben und zu verteidigen. Er war anders. Er hatte diese Begabung in sich entdeckt. Außer ihr brauchte er niemanden und nichts außer seiner Kunst und dass ihm einige Kollegen sagten: Das und das, da hast du was gekonnt. Darum beneide ich dich! Ganz sicher, es war unumgänglich, eines Tages würde er den ganz großen Durchbruch haben. Und sie hatte ihren Beitrag dazu geleistet. Das war überhaupt nicht wenig. Auch rührte sie, dass dieser große Mann so auf sie angewiesen war. Obwohl sie es nicht wollte und darunter litt und davon träumte, ihn vier Wochen, ja vielleicht ein viertel Jahr allein zu lassen, beispielsweise in die Staaten zu gehen, die Sprache noch besser zu erlernen. Ganz ausgeschlossen, ein Sabbatjahr einzulegen und eine ganz andere Kultur kennenzulernen. (Sie so neugierig auf andere Kulturen. Gerade lernte sie Spanisch. Sprachen lagen ihr.) Aber es war auch schön mit ihm. Sie wollte keinen anderen. Ja, sie gab es ruhig zu: Auch sie hatte Angst, ohne ihn zu sein. Er war schon immer da gewesen. Jedenfalls solange sie erwachsen war. Seit ihrem neunzehnten Lebensjahr. Ohne ihn zu sein, wie oft sie sich das auch wünschte, es würde ihr den Boden unter den Füßen wegziehen. Gewohnheit war so etwas verflucht Zähes. Die setzte sich fest. Die kriegte man mit keinem Lösungsmittel der Welt aus sich heraus. Also ließ sie es. Sie würde übrigens den Psychiater aufgeben. Auch so eine Gewohnheit, die überdies Geld kostete und im Grunde nichts brachte. Ehe sie sich in noch tiefere Abhängigkeit auch noch zu ihrem Psychiater begab!
Wie schön dieser kleine Gang durch die frische Luft. Und diese Straße. Dass man eine Viertelstunde zu Fuß bis zur S-Bahn brauchte, kein Nachteil. Außer bei widrigen Wetterverhältnissen. Man war gezwungen, ein wenig zu marschieren und das durch eine Gegend, in der die Jahreszeiten sich zu erkennen gaben. Man konnte sich auf das freuen, was man abends vorhatte. Und auf dem Nachhauseweg genießen. Ihr Auto nahm sie nur selten. Noch eher das Fahrrad.
Schön, nicht wahr?, sagte er.
Immer diese Gleichzeitigkeit! Eigentlich sollte sie sich über ihren Gleichklang freuen. Doch neuerdings war sie nicht mehr sonderlich erbaut, wenn er aussprach, was sie dachte.
Ihr Hirn kreiste ständig um dieselben Dinge. Das Alltagsleben nahm sie gefangen. Er aber mit ganz anderem befasst. Wenn er davon sprach, sie als Wand benutzte, um sich über sich zu verständigen, hörte sie atemlos und mit großer Bewunderung zu. Seine Fragestellungen immer bedrängend und der Ausgang ungewiss, neue Blickweisen taten sich auf. Hatte er etwas gehört, gelesen, musste er laut darüber nachdenken. Daran Anteil zu nehmen, bedeutete viel für sie. Daneben gab es diese Alltagswelt. Er sprach aus, was sie gerade gedacht hatte und umgekehrt. Als sei er ein ganz gewöhnlicher Mensch.
Sie mochte es nicht, dass er ein ganz gewöhnlicher Mensch war. Obwohl natürlich, er hatte ein Recht, ein ganz gewöhnlicher Mensch zu sein. Doch immer mehr überkam sie Ärger. Seine intellektuelle Überlegenheit hatte sie von jeher fasziniert. Aber er war nicht ihre Freundin. Bei Gott nicht. Eine Freundin sollte einen verstehen. Ja du auch? Ist das nicht komisch. Solche Sätze waren bei Frauen durchaus erfreulich. Man lachte miteinander. Wir Weiber, was? Bei ihm sah sie nur, dass er sich zu eng an sie anschloss.
Zwei Wochen war sie nicht nach draußen gekommen. Sie spürte es. Der Rückweg würde ihr schwerer fallen. Bis zur Ecke, dachte sie. Dann kehren wir um.
Ich denke, an der Ecke sollten wir umkehren!, sagte er.
Ihr Arm glitt aus seinem. Ein Lachen kam sie an. Sie beugte sich nach vorn, krümmte sich zusammen. Die Locken fielen vom Hals über ihr Gesicht. Es schüttelte sie durch. Endlich richtete sie sich auf, schöpfte Atem und tupfte sich die Tränen aus den Augen.
Seine Miene unbewegt.
Entschuldigung, sagte sie. Ihre Hand schlüpfte wieder in seine Armbeuge. Eine Weile nahm er ihren hysterischen Lachausbruch kommentarlos hin. Dann fragte er doch: Könntest du mich vielleicht aufklären?!
Es ist nur, es ist nur ... , sagte sie, und versuchte das erneut aufkommende Lachen zu bezwingen.
Corvina!, sagte er streng.
Sie mochte, wenn er streng war, ihr Grenzen zeigte. Ihr Lachen fiel in sich zusammen. Du hast gesagt,