Im Eckfenster. Gerstäcker Friedrich

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Im Eckfenster - Gerstäcker Friedrich

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       „Wir trafen Bertha von Noltje auf der Straße und begleiteten sie ein Stück, die wusste alles. Das soll eine schöne Szene im Haus gewesen sein, na, das lässt sich denken! Franziska wird sich besonders freuen.“

       „Er war immer ein Tunichtgut!“ nickte die Mutter. „Aber was werden sie jetzt nur mit ihm anfangen?“

       „Gott weiß es! Wie alt ist er eigentlich, Mama?“

       „Ja, lass einmal sehen, mein Kind; als er damals fortlief, war er gerade zwanzig Jahre alt, und das war an dem nämlichen Tag“, setzte sie mit einem schweren Seufzer hinzu, „als das Kind, dein seliger Bruder, starb. Den Tag vergesse ich nie, das waren gerade gestern zehn volle Jahre, ja, eine lange Zeit!“

       „Und so lange hat er sich in der Welt herumgetrieben?“ sagte Flora.

       „Ja, Kinder, aber jetzt lasst mir den jungen Vagabunden laufen“, bemerkte der Vater. „Kommt zu Tisch. Ihr habt uns heute ein wenig warten lassen.“

       Das Mädchen hatte, während die jungen Damen in allen Stadtneuigkeiten schwelgten und die Hüte und Schals nur auf die nächsten Stühle warfen, den Tisch fertig gedeckt und das Essen hereingebracht. Die Familie setzte sich jetzt zu dem allerdings sehr frugalen Mahl zusammen. Es bestand in der Tat nur aus einem einzigen kleinen Stück Fleisch für die vier Personen, etwas dünnem Gemüse und einem Glas einfachen Bieres für den Vater. Lieber Gott, der äußere Anstand musste der Welt gegenüber gewahrt werden, und wo hätte man da überhaupt anders sparen können, als am Essen und an der Wäsche. Das sah ja niemand, denn über Tisch nahm die Familie nie Besuch an.

      Viertes Kapitel

      Das Eckhaus.

       Auf dem Brink in Rhodenburg, der Apotheke fast gerade gegenüber, stand jenes schon früher erwähnte Eckhaus, das man aber kaum ein Eckhaus nennen konnte, da es, fast allein stehend, in eine dumpfe Spitze nach dem Brink zu auslief und eine Straße an jeder Seite hatte. Ja, selbst im Rücken wurde es durch eine kleine Quergasse, den sogenannten Geistersteg, von den dahinter liegenden Gebäuden getrennt, so dass es vollkommen isoliert von allen übrigen Häusern blieb.

       Gerade voraus, der abgestumpften Spitze gegenüber, die genau nach Westen zeigte, also ebenfalls nach Westen zu, lief eine sehr kleine, enge Gasse, die sogenannte Rosentwete, sie mochte kaum mehr als sechs Schritt breit sein, die rechte Ecke daran bildete die Hofapotheke, die linke ein ebenfalls hübsches, aber nur zweistöckiges Haus. Links von diesem wieder lag die Hauptgasse, die man aber auch noch recht gut von hier aus übersehen konnte.

       Die beiden, vom Brink ab schräg an dem einzelstehenden Haus hinlaufenden Gassen hießen links die Bären-, rechts die Mühlgasse, waren aber ebenfalls nicht breit, und von dem Eckhaus aus konnte man also auch nach Nord und Süd zu die gegenüberliegenden Gebäude vollständig überblicken, ja ihnen in die Fenster hineinsehen.

       Das alte, wunderlich gebaute und vorn an der stumpfen Spitze mit reicher Steinhauerarbeit gezierte Haus lag solcherart wie eine Warte zwischen den übrigen Gebäuden, und im vorigen Jahrhundert sollte auch einmal eine Spukgeschichte damit in Verbindung gestanden haben, wonach wohl die Gasse dahinter der Geistersteg genannt wurde. Jetzt freilich waren so viele Jahrzehnte darüber hingegangen, dass sich selbst die Sage so ziemlich verloren hatte oder durch nur ganz unbestimmt in der Erinnerung alter Bewohner von Rhodenburg eine kümmerliche und durch jeden Todesfall mehr bedrohte Existenz fristete. Stand es früher vielleicht einmal eine Zeit unbewohnt, so fürchtete sich jetzt kein Mensch mehr vor den neu hergerichteten Räumen, und das Parterrelokal entsprach sogar mit seinen großen Spiegelscheiben, brillanten Gaskronleuchtern, eisernen Tischen mit Marmorplatten und einem glänzenden Buffet den erhöhten Ansprüchen der Neuzeit und machte dadurch all‘ den übrigen ähnlichen Wirtschaften, besonders für die höhere Gesellschaft, eine gefährliche Konkurrenz.

       Das ganze Äußere des Hauses machte durch den unten neu angelegten Luxus, während oben noch die Jahrhunderte alte solide Steinarbeit darüber hinausragte und große eiserne, jetzt abgeleitete Dachrinnen in Drachenform ein Stück vom Dach abstanden, einen merkwürdigen Eindruck, und Fremde besonders verfehlten nie, es aufzusuchen.

       Die erste Etage dieses Eckhauses bewohnte, wie schon erwähnt, ein Notar, der unten in der Bärengasse, wo sich der Eingang zu den oberen Stockwerken befand, ein einfaches Porzellanschild mit der Inschrift hatte: „Püster, Advokat und Notar“.

       Selbst der Vorname fehlte, keine Andeutung war dabei gegeben, ob der Mann Doktor sei oder nicht, oder sonst einen anderen Titel führte, und doch wusste man in ganz Rhodenburg schon längere Zeit, dass dieser einfache Püster ein ganz vortrefflicher Advokat sei, der die schwierigsten und verwickelsten Fälle mit einem fast wunderbaren Scharfsinn durchschaute und eigentlich keinen einzigen Prozess verlor. Das Geheimnis lag freilich darin, dass er nicht jede Klagesache annahm und manches, trotz aller Aussicht auf größeren Gewinn, von der Hand wies, sobald er selber fühlte, dass die Sache faul sei. Was er aber annahm, führte er auch durch, und der geschäftliche Verkehr in seinem Comptoir, so abgesondert er sich sonst von der eigentlichen Gesellschaft hielt, war deshalb ein nicht geringer.

       In einem der größeren Zimmer, die nach der Bärengasse hinaus lagen, befand sich das Comptoir, oder vielmehr die Schreiberstube, denn sechs junge Leute, unglückliche Menschen, denen der liebe Gott weiter nichts als eine gute Handschrift gegeben, und die jetzt um wenige Taler Gehalt das ganze Jahr lang geisttötende Eingaben abschreiben mussten, hatten dort mit wenig Licht und viel Arbeit ihre tägliche Beschäftigung, während der Notar selbst das Eckfenster wie das daranstoßende größere Gemach zu seinem Privatcomptoir gemacht hatte und nur mit einem einzigen seiner Leute, einem kleinen, verwachsenen Menschen arbeitete.

       Sonst besorgte ihm eine alte Köchin die Wirtschaft, und ein junges Ding von dreizehn oder vierzehn Jahren, die der Notar als Waise zu sich genommen, hatte wenig mehr zu tun, als die Etage rein zu halten, und besuchte dabei noch immer die Schule. Sie schlief mit der Köchin in einer Kammer nach der Bärengasse hinaus.

       Püster saß in seinem Zimmer am Privatpult und hatte einige offene, eben gebrachte Briefe vor sich liegen, von denen zwei seine besondere Aufmerksamkeit zu fesseln schienen. Er nahm wenigstens bald den einen, bald den anderen vor und las sie mehrere Male wieder durch. Jetzt stand er auf und trat in sein Eckfenster, von dem aus er, heute aber mit ganz anderen Dingen beschäftigt, den Blick, mehr wie in alter Gewohnheit, bald da, bald dorthin über die im Augenbereich liegenden Häuser schweifen ließ.

       Das Comptoir selbst war ein sehr einfach und nur geschäftsmäßig eingerichtetes Arbeitszimmer mit hohen, von Aktenstücken gefüllten Regalen, einer kleinen juristischen Bibliothek an den Wänden und ganz einfachen, nur lackierten Möbeln, zwischen denen sich aber doch ein paar bequeme Lehnstühle, jedenfalls für Klienten, befanden.

       Hübsch gelegen war es übrigens, besonders in der Aussicht, denn das große, die abgestumpfte Spitze des Hauses bildende Eckfenster bot einen prächtigen Blick nach allen Seiten und war mit einem grünen, jetzt zurückgeschlagenen Vorhang versehen, der aber niedergelassen werden konnte und dann den ganzen Erker wie ein kleines Gemach abschloss.

       Da öffnete sich die Tür, und sein Faktotum, der kleine, verwachsene Mensch, der nur sehr einfach Mux genannt wurde, trat herein.

       Mux war eine ganz eigentümliche Erscheinung, mit einem Gesicht, in das man hätte stundenlang hineinschauen können, ohne zu ergründen, was darin lag. Es spielte eigentlich fortwährend durch jeden Ausdruck und legte sich dabei oft so in Falten, dass man die kleine, kaum vier Fuß hohe Gestalt mit den hoch aufgezogenen, unregelmäßigen Schultern und den unverhältnismäßig langen Armen manchmal geneigt war, für einen Mann in den Vierzigern zu halten,

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