Im Eckfenster. Gerstäcker Friedrich

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Im Eckfenster - Gerstäcker Friedrich

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hervor.

       Der Notar wandte sich gegen ihn.

       „Nun“, sagte er. „Wie war’s? Hast du etwas erfahren?“

       Mux zuckte mit den Achseln, das heißt, er hob sie ein klein wenig höher, als sie überhaupt gewachsen waren.

       „Nicht viel, Herr Notar“, erwiderte er. „Der Herr aus Amerika erinnert sich allerdings, einen Mann namens Rehberg in Amerika, und zwar in Cincinnati gekannt zu haben, was aber aus ihm geworden sei, könne er nicht wissen. Dort drüben wechselten die Menschen ja so rasch durcheinander, und wenn einer nur an Bord eines Dampfschiffes gehe, so sei er so gut wie verschwunden, denn eine Kontrolle finde natürlich nicht statt.“

       „Von der Frau weiß er nichts?“

       „Nein, nicht einmal, ob jener Rehberg verheiratet gewesen sei oder nicht. Es ist übrigens ein komischer Kauz und mischt eine solche Menge von englischen Wörtern ein, dass man, wenn man nicht wenigstens ein klein wenig Englisch kann, gar nicht versteht, was er sagt.“

       „Und du verstehst Englisch, Mux?“ fragte ihn der Notar etwas erstaunt.

       „Nicht viel“, antwortete der Bucklige und errötete dabei wie ein Mädchen.

       „Hm, und wo hast du das gelernt?“

       „Ich treibe es abends.“

       Der Notar erwiderte nichts darauf, seine Gedanken flogen schon wieder nach anderer Richtung hin.

       „Ja“, sagte er, fast weniger zu Mux, als mit sich selber redend. „Dann werde i c h der armen Frau wohl keinen besonderen Trost schicken können. Was wäre sie imstande, zu tun, was irgend ein anderer? Dein Amerikaner hat Recht, Mux, wer sich dort drüben verborgen halten will, der kann es leicht genug. Was kann’s helfen, es ist eben ein armes, betrogenes Wesen mehr in der Welt. Sonst nichts vorgefallen, Mux?“

       „Doch! Gestern Nacht ist der junge Baron Solberg aus Amerika oder Afrika, Gott weiß, woher – sie erzählen darüber die tollsten Geschichten in der Stadt – zurückgekommen und hat seine Eltern überrascht.“

       „Der Hans Solberg?“ fragte der Notar erstaunt. „Alle Wetter, wo hat sich der Junge so lange herumgetrieben? Aber was hast du denn Mux, du siehst ja so merkwürdig blass aus, fehlt dir was?“

       „Nein, Herr Notar“, sagte der Bucklige ruhig. „Vor ein paar Minuten wurde mir nur so sonderbar zumute, es ist aber jetzt schon wieder vorüber.“

       „Hast du etwa nichts gefrühstückt?“

       „Doch, ich weiß nicht, was es war, ich habe es zuweilen.“

       „Hm, der Hans Solberg“, fuhr Püster nachdenklich fort. „Wird eine Umwälzung in der Familie hervorbringen, und ich bin neugierig, was aus ihm geworden ist. War sonst ein ganz tüchtiger, aufgeweckter Junge. Kennst du die Familie, Mux?“

       War der kleine, bucklige Bursche früher bleich geworden, so veränderte er seine Farbe jetzt umso rascher, er war blutrot geworden, aber sagte mit vollkommen ruhiger Stimme: „Ich war nie dort im Hause.“

       Püsters Blick haftete auf ihm, aber er machte keine Bemerkung, und anscheinend auf einen anderen Gegenstand überspringend, der aber doch nur in der Reihenkette seiner Gedanken lag, fragte er: „Apropos, Mux, hast du dich bei der Näherin nach meinen Hemden erkundigt?“

       „Ja, Herr Notar.“

       „Wie geht es ihr?“

       Der kleine Mann schüttelte mit dem Kopf. „Wohl nicht besonders, dem armen Ding. Sie hatte ganz rote Augen, und kein Wunder, denn als ich die Nacht einmal aus dem Fenster sah, brannte da oben noch Licht in ihrem Zimmer. Sie muss die ganze Nacht durchgearbeitete haben.“

       „Lumpenvolk“, brummte der Notar vor sich hin. „Du hast sie doch nicht getrieben?“

       „Fällt mir nicht ein, die treibt sich schon selber.“

       Püster trat ans Fenster und sah nachdenkend auf die Straße hinaus. „Die Frau Mäusebrod hat heute noch nicht nach mir geschickt?“ fragte er dann endlich.

       „Nein, Herr Notar.“

       Die Straße herauf kamen die beiden Fräulein von Klingenbruch und fegten das Trottoir mit ihren seidenen Schleppen.

       „Es ist gut, Mux, es wird wohl gleich Essenszeit sein, du kannst gehen“, und er wandte den Kopf gar nicht mehr um, sondern hielt den Blick fest auf die beiden jungen Damen geheftet.

       Kurz vorher, ehe sie ihr Haus betraten, begegnete ihnen der junge Mann mit dem schwarzen Samtrock wieder. Püster kannte ihn recht gut, es war der junge Maler von Heidewald, ein nicht besonders talentvoller und dabei blutarmer Mensch, der die beiden jungen Damen auf das Ehrfurchtsvollste grüßte. Er hatte das schon fünfmal an diesem Morgen getan, denn er war ihnen überall nachgegangen und manchmal in wahrhaft fieberhafter Eile durch schmale Seitenstraßen gerannt, um ihnen nur immer wieder erneut zu begegnen.

       Die jungen Damen betraten das Haus, der Herr in dem Samtrock kehrte aber unmittelbar danach wieder um, ging jedoch sehr langsam und nahm seine Brieftasche heraus, als ob er sich etwas notieren oder nachsehen wolle. Plötzlich blieb er stehen und drehte den Kopf herum, als ob er nicht sicher wäre, dass er beobachtet würde. Jetzt bückte er sich und hob etwas, das neben ihm am Boden lag, auf. Der Notar hatte noch ausgezeichnete Augen, war ihm der Bleistift aus der Hand gefallen? Nein, das, was er aufhob, glich eher einem zusammengewickelten Streifen Papier, sollte einer der jungen Damen – es war doch nicht gut denkbar.

       Der junge Maler warf aber keinen Blick auf das Gefundene, er schob es in die Westentasche, es konnte der Bleistift nicht sein, und schritt dann wieder langsam die Straße zurück, der Richtung zu, von der er zuletzt gekommen war.

       Püster hatte das Fenster aufgemacht und ihm fast unwillkürlich nachgesehen, als er links von sich etwas räuspern hörte. Er wandte den Kopf dorthin und bemerkte in dem Eckhaus links über der Bärengasse drüben, aber in der zweiten Etage, den Theaterdirektor Sußmeier, der in seinem rotseidenen Schlafrock, einen ebenso grellfarbigen Fez mit blauer Quaste auf, und eine lange, türkische Pfeife haltend, aus dem Fenster sah und den Rauch in die frische Morgenluft hinausblies.

       Jedenfalls musste er den Notar an seinem Fenster bemerkt haben, denn als der ihm nur den Kopf zubog, grüßte er gnädig, indem er die bis fast zur ersten Etage niederhängende Pfeife aus dem Munde nahm und die große Bernsteinspitze so huld- und würdevoll gegen ihn neigte, als ob er hätte sagen wollen: „Lebe weiter, elender Sterblicher, ich erhalte dir noch meine Gnade.“

       Püster schüttelte leise und unmerkbar mit dem Kopf und brummte für sich: „Es ist doch eigentlich merkwürdig, wie viel wirklich verrückte Menschen in der Welt herumlaufen, ohne dass man einen festen Halt an ihnen bekommen und sie einsperren lassen könnte. Der Kerl da drüben ist doch augenscheinlich rein toll, aber er hat noch niemand gebissen oder Menschen auf der Straße angefallen, und der Staat kann ihm deshalb nichts anhaben. Eigentümliche Sache das, um das Gehirn eines Menschen, und eine wunderbare Einrichtung von der Natur, dass es kein Arzt revidieren und kontrollieren kann, gäbe auch sonst wahrscheinlich eine heillose Verwirrung im Staats- wie im Familienleben!“

       Der Direktor im Fenster da drüben stand auf, zog die Pfeife vorsichtig ins Zimmer hinein und trat zurück. Dadurch aber

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