Im Eckfenster. Gerstäcker Friedrich
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„Die nicht?“ erwiderte Püster verwundert. „Und weshalb nicht?“
„Weil sie Opium nimmt“, versicherte der Apotheker. „Und alle Wochen zwei Flaschen Magenbitter braucht, und die Flaschen sind meinswegen ziemlich groß.“
„Opium?“ sagte kopfschüttelnd der Notar. „Unsinn – ohne ärztliches Rezept kann sie den ja gar nicht bekommen!“
Herr Semmlein zuckte mit den Achseln. „Einmal verschreibt ihr der Doktor etwas – denn vorgeschwatzt wird sie ihm genug haben, - und dann kann sie es sich auch meinswegen unter der Hand verschaffen; aber das sage ich Ihnen, Herr Notar, wer einmal richtig anfängt, Opium zu nehmen, der treibt es auch nicht mehr lange, und dann werden aus den jungen Backfischen da drüben meinswegen Goldfische. Doch ich muss wahrhaftig fort“, sagte er, und versuchte, sein kleines, inzwischen fast bis zur Größe eines Hühnereis zusammengedrehtes Käppchen wieder auseinander und in Form zu bringen. „Muss ja doch auch mit dem Ministerium meiner häuslichen Angelegenheiten die Rechnungssache in Ordnung bringen und überlegen – aber was ich Ihnen noch sagen wollte, Herr Nachbar, Sie kennen doch den Schreinermeister Handorf?“
„Gewiss“, erwiderte Püster. „Er arbeitet auch für mich und ist ein sehr braver und zuverlässiger Mann.“
„Sie wissen, dass er einen Sohn im Zuchthaus hatte?“
„Ja, allerdings, deshalb ging er auch immer so gedrückt einher, ich habe ihn eigentlich nie lachen sehen.“
„Der Sohn ist jetzt freigekommen und zurückgekehrt.“
„Lieber Gott, das wird auch ein schwerer Tag im Hause gewesen sein! Wenn man keine Kinder hat, bedauert man es manchmal, und wenn man sie hat, wie furchtbare Sorgen machen sie uns oft!“
„Der Junge hat noch als ganz junger Bursche einen Juden totgeschlagen und beraubt.“
„Ja, ich weiß es, er ist daraufhin verurteilt worden, aber er hat die Tat nie gestanden.“
„Soll er wohl nicht“, sagte Herr Semmlein. „Weil er wusste, dass er dann meinswegen gehenkt wurde. So ein junger Bösewicht – und die braven Eltern! Das ist auch ein angenehmer Zuwachs für Rhodenburg, und in dem letzten Monat haben wir außerdem drei Einbrüche gehabt.“
„Ich glaube nicht, dass wir etwas derartiges von dem jungen Handorf zu befürchten haben.“
„Wer weiß!“ sagte Herr Semmlein, sehr bedeutungsvoll mit den Achseln zuckend. „Wenn ich Stadtverordneter wäre, würde ich jedenfalls beantragen, ihn auf noch wenigstens zwei oder drei Jahre unter polizeiliche Aufsicht zu stellen.“
„Das ist ein gefährliches Experiment!“ sagte der Notar. „Und mag bei einem wirklich schlechten Menschen geboten erscheinen. Wer aber noch einen Funken von Ehrgefühl übrig behalten hat, den treiben sie dadurch vollkommen zur Verzweiflung. Man muss doch erst abwarten, wie er sich benimmt.“
„Die armen Eltern tun mir leid“, sagte Herr Semmlein. „Das sind so brave und durchaus rechtschaffene Leute – und jetzt den Jammer mit dem einzigen Sohn! Der Alte ging auch die ganzen Jahre wie vor den Kopf geschlagen herum. Ich bin nur neugierig, ob der Junge hier bleiben wird; wer soll ihn freilich in Arbeit nehmen – aber ich muss wahrhaftig nach Hause! Nein, wie die Zeit vergeht, da schlägt’s draußen schon meinswegen zwei Uhr! Also nichts für Ungut, Herr Nachbar – gesegnete Mahlzeit!“
Und damit verschwand der Hofapotheker wieder durch die Tür.
Püster trat ans Fenster und sah ihm nach, wie er über die Straße trippelte und drüben in die Apotheke fuhr, als seine Aufmerksamkeit durch einen lauten und wie zornigen Ausruf wieder dem Fenster seines Nachbars in der zweiten Etage links zugelenkt wurde. Er sah dort nur eben noch, wie der Direktor in seinem roten Schlafrock, die blaue Quaste seines Fez hinten ausfliegend, in der linken Hand die lange türkische Pfeife, in der Rechten jedoch den jetzt gezückten Dolche schwingend, ausrief: „Ha, so stirb, Verräter!“ Dabei sprang er aber in die Mitte der Stube hinein und entzog sich dadurch seinen Blicken.
Püster achtete aber nicht weiter auf ihn. „Rein verrückt!“ murmelte er nur leise vor sich hin und schritt dann, in tiefes Nachdenken versenkt, in seinem Zimmer auf und ab.
Fünftes Kapitel
Beim Direktor.
Den Markt entlang schlenderte Hans von Solberg, selig in dem Gefühl, die altbekannten lieben Straßen wieder einmal zu durchwandern und die Spielplätze seiner Jugend aufzusuchen.
Da lag noch die alte Schule mit ihren hohen, dunklen, reich durch alte Steinarbeit verzierten Pforte und der enge Hof, der ihm früher freilich weit größer und geräumiger erschien; da stand noch der alte Brunnen, aus dem sie sich ihr Wasser mit einem schweren, aufrecht stehenden Schwengel hatten heraufpumpen müssen, und die trüben, mit Blei eingefassten Fenster schillerten noch wie damals in allen Regenbogenfarben.
Verändert hatte sich Rhodenburg überhaupt sehr wenig in den letzten zehn Jahren, trotzdem dass es mit in das Eisenbahnnetz hineingezogen worden. Es fehlten immer noch Schienenstränge, die es in den eigentlichen Verkehr brachten, es lag noch außerhalb der Weltstraßen und war deshalb nicht viel von Fremden aufgesucht worden, die allein ein anderes und regeres Leben hineinbringen konnten. Es ging seinen alten Schlendrian fort, aber die Leute befanden sich im Ganzen wohl dabei, weil sie eben nichts Besseres kannten und – verlangten.
In den engen Straßen wurde noch manchmal ein breiter Frachtwagen ab- oder aufgeladen, so dass er den Verkehr dort auf halbe Tage hindurch völlig unterbrach. Auf dem schmalen Trottoir stieß man noch manchmal, wenn man sich nicht vorsah, an einen dort bis in den Kopfbereich niederhängenden riesigen eisernen Haken, der zum Aufwinden in die Speicher benutzt wurde. Droschken gab es nur wenig in der Stadt; die überall vorgebauten, oft noch vergoldeten und geschnitzten Giebel gaben dem ganzen Ort aber etwas eigentümlich Heimisches, und Hans schwelgte in seinen Erinnerungen.
Gar so sonderbar kam es ihm dabei anfangs vor, dass er all die Menschengruppen, die er hier und da in den Straßen zusammenstehen sah, deutsch sprechen hörte. Dort drüben wurde ja nur spanisch gesprochen, auf dem Dampfer hatte er nur Englisch gehört und die kurze Eisenbahnfahrt dann wie im Fluge zurückgelegt. Jetzt aber war er plötzlich mit beiden Füßen zugleich in das alte, liebe deutsche Leben hineingesprungen.
Er ging auch wirklich halb wie in einem Träume umher, er sah nichts, als was ihn unmittelbar umgab, und konnte Viertelstunden lang neben ein paar alten Bauernweibern stehenbleiben, die sich in dem heimischen, so lange nicht gehörten Dialekt zankten und einander alle nur erdenklichen Schlechtigkeiten nachsagten. Ja, als sich ein paar Jungen auf der Straße prügelten und ein größerer einen kleinen überfiel, nahm er tatsächlich Partei für den schwächeren Teil.
Jetzt bog er in eine der Seitenstraßen ein, als ihm an der Ecke ein Offizier begegnete, der ihn, wie er zufällig den Blick auf ihn warf, scharf fixierte. Hans hatte gar nicht auf ihn geachtet und wohl ebenso wenig bemerkt, dass jener stehenblieb und ihm nachsah.
„Hans!“ hörte er da eine Stimme rufen und drehte rasch den Kopf danach um. „Bist du’s denn?“ rief der Hauptmann, der ihn noch immer ganz erstaunt ansah. „Hans Solberg!“
„Dürrbeck, beim ewigen Gott – Bernhard!“