Im Eckfenster. Gerstäcker Friedrich

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Im Eckfenster - Gerstäcker Friedrich

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– in Amerika sind mir wenigstens verschiedene Male solche Bücher in die Hand gekommen – dass der Arbeitslohn für Zimmerleute, Maurer, Handwerker oder sonst wen soundsoviel Dollars pro Tag macht, und das klingt den Leuten in Europa wirklich fabelhaft. Dass diese Arbeiter aber oft Monate lang herumlaufen und das bis dahin verdiente Geld verzehren können, ehe sie wieder Beschäftigung in der Höhe des Lohnes, ja, oft um irgendwelchen Lohn finden, steht nicht dabei, und so ging es auch mir. Ich nahm jede Arbeit an, die ich bekommen konnte, aber die dauerte dann selten lange, und ohne mich lange zu besinnen, griff ich zu etwas anderem. Wenn ich dann auch keine Schätze dabei sammelte, lernte ich doch das amerikanische Leben gründlich kennen.

       Das trieb ich sechs Jahre und war in der Zeit auch nicht einmal imstande, mir selbst nur hundert Dollar zu sparen. In der Zeit hatte ich aber auch herausgefunden, dass man in Amerika mit harter Arbeit sein Leben wohl fristen, aber nichts wirklich verdienen könnte, dazu war Spekulation nötig, und auf die warf ich mich; ich fing an, Handel zu treiben."

       „ D u , Hans?" rief seine Schwester und sah ihn mit ihren großen Augen verwundert an. „Du bist Kaufmann geworden?"

       „Das will ich nicht sagen, Herz", lachte der Bruder. „Kaufmann kann man es eigentlich nicht nennen, denn dazu fehlte mir das Kapital. Ich lernte aber bald, welche Waren einen möglichen Markt fanden und vorteilhaft verwertet werden konnten. Dabei verkehrte ich sehr viel mit deutschen Schiffen und kaufte gewöhnlich alles, was die Kapitäne privat mitbrachten. Daran machte ich, ohne meine Körperkraft weiter zu bemühen, einen ganz hübschen Nutzen, so dass ich mir in einigen Jahren mehrere tausend Dollars verdienen konnte.

       Da kam der amerikanische Krieg, und ein spekulativer Deutscher hatte es für vorteilhaft befunden, eine Ladung alter, ausrangierter Gewehre von hier nach drüben zu schaffen, um dort, wie er glaubte, einen enormen Preis dafür zu bekommen. Die Amerikaner wissen aber recht gut ein brauchbares von einem unbrauchbaren Gewehr zu unterscheiden. Sie mochten die ihnen gebrachten Waffen nicht haben, und wie der Kapitän in aller Verzweiflung und in der Angst, die ganze Fracht wieder mitnehmen zu müssen, zu dem Entschluss kam, sie um jeden Preis loszuschlagen, kaufte ich ihm den ganzen Plunder ab und fand bald, dass ich einen sehr guten Handel gemacht hatte, denn es waren mehrere tausend Stück sehr guter Gewehre dabei. Jetzt engagierte ich eine Anzahl junger deutscher Handwerker, Schlosser, Schmiede und Büchsenmacher, um meinen Warenvorrat wieder in Stand zu setzen. Natürlich akkordierte ich die Arbeit, das Stück zum halben Dollar, was allerdings meinen ganzen Barvorrat so ziemlich auf die Neige brachte, aber ich wusste auch, wohin mit meinem Ankauf. In Peru war wieder eine Revolution ausgebrochen, die Spanier bedrängten das Land ebenfalls, und da gerade ein englisches Schiff Ladung für Lima einnahm, packte ich meinen ganzen Warenvorrat auf und ging nach Peru.

       Ich hätte nichts Gescheiteres tun können. Ich verkaufte meine sechstausend Gewehre, die mich wenig genug gekostet hatten, jedes einzelne mit vier bis fünf Dollar Nutzen und bekam dadurch ein tüchtiges Kapital in die Hände. In Peru selbst machte ich dann noch ein paar andere glückliche Spekulationen, und – da bin ich! Das Heimweh packte mich und ließ nicht eher locker, bis ich den nächsten besten Dampfer über Panama benutzte, um zu euch zurückzukehren. Wie lange ich hier bleibe? Quien sabe - die Zeit muss es lehren, aber ich musste euch erst einmal wiedersehen, und kann ich mich dann mit dem alten Deutschland und seinen etwas wunderlichen Einrichtungen nicht befreunden, nun gut, dann fahre ich wieder nach dem Süden zurück und beginne mein abenteuerliches Leben aufs Neue."

       Die Eltern hatten ihn mit keiner Silbe unterbrochen, denn was sie hörten, war zu ungeheuerlich, um sich ihrer Gefühle gleich bewusst zu werden oder ihnen sogar Ausdruck zu verleihen. Ihr Sohn, Hans von Solberg, Nachkomme des freiherrlich Solbergschen Geschlechts, als Kofferträger, als Handlanger, als Tagelöhner und dann mit dem Ankauf alter, ausrangierter Gewehre beschäftigt, um sie, da man sie dort für untauglich fand, mit vier bis fünf Dollar Nutzen für das Stück einem anderen Staate aufzuhängen! – Die Mutter fühlte allerdings mehr das Unpassende einer solchen Tätigkeit, und ebenso vielleicht die Schwester, der Vater dagegen in seinem alten, bis jetzt durch nichts gebrochenen Adelsstolze wagte diesen entsetzlichen und mit der größten Unbefangenheit vorgebrachten Tatsachen gegenüber kaum zu atmen, und als Hans endlich schwieg, war es ihm, als ob eine Zentnerlast von seiner Brust genommen, eine andere aber noch darauf liegen geblieben wäre.

       „Das ist die Welt da draußen", murmelte er endlich leise vor sich hin. „Das sind die Länder, welche man die gelobten nennt – unbegreiflich, unbegreiflich!"

       Hans hatte, in seine alten Erinnerungen vertieft, die Gegenwart der Eltern fast vergessen, keinesfalls aber an ihre alten Vorurteile und Ansichten dabei gedacht – du lieber Gott, sie waren in den alten Zopfverhältnissen aufgewachsen und konnten ja keinen Begriff von dem neuen, frischen Leben da draußen haben!

       „Und das sind lauter Republiken?" gab der Vater endlich seinen Gedanken Worte.

       „Lauter Republiken, Papa."

       „Aber du erwähntest doch vorhin, dass du jenen – jenen Handel mit einer Regierung abgeschlossen hättest, mein Sohn."

       „Nun ja, Papa, mit der republikanischen Regierung."

       „Republikanische Regierung", murmelte der Freiherr halblaut und mit dem Kopf schüttelnd vor sich hin. "Das kommt mir gerade so vor, als ob ich sagen wollte: Monarchistische Anarchie, gesetzlicher Aufruhr, wohlwollender Mord oder etwas derartiges – republikanische Regierung, wo jeder tun und lassen kann, was er will – es ist rein lächerlich. Sage einmal, Hans, es müssen doch da ganz trostlose Zustände sein, und ich kann mir die Sache noch eigentlich gar nicht recht denken – eine Anarchie in Permanenz erklärt, eine ununterbrochene Revolution ohne Strafen für Meuterer oder Belohnungen für dem Throne anhängende Getreue. Es ist ganz undenkbar, dass so etwas nur auf die Länge der Zeit bestehen könnte, und trotzdem scheinen sich die Leute darin so wohl zu fühlen wie ein Hering im Salzwasser."

       Hans lachte. „Ihr denkt euch die Sache hier viel gefährlicher, als sie wirklich ist, wenn ich auch nicht leugnen will, dass sie es mit ihren ewigen Revolutionen manchmal ein wenig bunt treiben. Sie behelfen sich aber doch ganz leidlich ohne Fürsten und werden besonders nie durch zu riesenhafte Pensionen, die hier einen Staat erdrücken und aushungern können, behelligt. Wer dort am Ruder oder in einem Amte ist, drückt sich heraus, was er kann, und so schnell als möglich, und damit basta, und wer nach ihm kommt, mag eben dasselbe tun."

       „Schöne Zustände", nickte der Vater, „und was für Betrügereien solcherart finden in Amerika statt!"

       „Die Ansichten von Ehrlichkeit sind dort eben andere als bei uns", sagte der Sohn achselzuckend. „Ein reich gewordener Betrüger kann der Gefeierte der Gesellschaft werden, ein ruinierter wird verachtet, bis er es wieder zu etwas bringt."

       „Das ist ja aber schaudererregend!" rief der Freiherr aus.

       „Und eigentlich genauso wie bei uns", meinte Hans. „Ich bin fest überzeugt, dass es hier ebensoviel vornehmes Pack gibt wie woanders, die Gelegenheit wird hier den Einzelnen nur nicht so rasch geboten, ihre Lage zu verbessern, wie dort drüben. Menschennatur bleibt aber doch gewiss überall dieselbe."

       „Das muss ich sagen", bemerkte der Vater, langsam vor sich hinnickend, „du hast saubere Ansichten mit aus deinem Amerika hier herüber und in unsere geordneten Verhältnisse gebracht. Die werden wir wahrscheinlich einer gründlichen Revision unterwerfen müssen, um der eigentlichen Contrebande auf die Spur zu kommen."

       Franziska hatte kurz vorher das Zimmer verlassen, um die nötigen Anordnungen für die Einrichtung von Hans alter Stube zu treffen, damit diese wieder wohnlich gemacht wurde, jetzt kehrte sie zurück.

       „Ja, mein Sohn", sagte auch die Mutter, „ich fürchte fast, dass Du aus unseren wirklich gesitteten

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