Im Eckfenster. Gerstäcker Friedrich

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Im Eckfenster - Gerstäcker Friedrich

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der Vater plötzlich mit heiserer Stimme und blieb vor der Uhr stehen, zu der er aufsah. Es war, als ob er seine Frau nicht anschauen konnte.

       „Um elf Uhr sechsundvierzig Minuten steht es im Plan", antwortete sie leise. „Er muss schon da sein, wenn er sich nicht verspätet hat." Und sie holte dabei aus tiefer, voller Brust Atem, als ob sie die Last nicht ertragen konnte, die darauf lag.

       Der Mann erwiderte nichts, sondern setzte seinen unterbrochenen Gang im Zimmer wieder fort, herüber und hinüber, und: „Großmutter, essen wir noch nicht bald?" fragt Max mit weinerlicher Stimme wieder. „Ich halt’s jetzt nicht mehr aus."

       „Gleich, mein Kind, gleich", erwiderte die Frau. „Dein Onkel kommt ja heute wieder zu uns zurück, willst du denn nicht warten, dass du mit ihm essen kannst?"

       „Aber ich bin hungrig, warum kommt er denn nicht früher?"

       Draußen ging die Haustür und fiel wieder ins Schloss. Der Mann blieb nicht weit von der Uhr, die Arme jetzt auf der Brust gekreuzt, im Zimmer stehen. Er war ganz fahl im Gesicht geworden und die Augen hefteten sich stier auf die Tür. Die Mutter hatte die Hände fest und krampfhaft zusammengefaltet, und auch ihr Auge hing mit peinlicher Spannung an der Türklinke, während Margarete, die Tochter, ein junges Mädchen von vielleicht zwanzig Jahren, mit der rechten Hand angstvoll ihr Herz gefasst hielt und dabei nur nach dem Vater hinüberschaute.

       Draußen durch das mit Steinplatten belegte Vorhaus kam ein schwerer, langsamer Schritt näher und näher – jetzt hielt er vor der Tür.

       Die Mutter atmete schwer und rasch, aber keiner im Zimmer sprach ein Wort, wohl eine volle Minute lang, ja, wagte kaum ein Glied zu regen oder mit den Wimpern zu zucken.

       Jetzt drückte sich die Klinke an der Stubentür langsam nieder, es klopfte niemand an. Die Tür öffnete sich Zoll nach Zoll, jetzt zeigte sich eine bleiche, in einen grobtuchenen, grauen Rock gekleidete Gestalt, die auf der Schwelle stand und den dunklen Blick aus den tiefliegenden Augenhöhlen über die Stube schweifen ließ.

       Niemand da drinnen regte sich, kein Willkommen nach jahrelanger Trennung ward ihm entgegen gerufen. Die zusammengefalteten Hände der Mutter lösten sich allerdings und hoben sich langsam empor, aber sie richtete sich nicht auf, hätte es auch nicht vermocht, denn wie eine Zentnerlast von Blei lag es ihr auf den zitternden Gliedern.

       Das kleine Mädchen hatte den rechten Zeigefinger zwischen die Lippen genommen und blickte scheu und halb abgewendet nach dem 'Fremden' hinüber, und Margarete saß regungslos auf ihrem Stuhl, während ihr die vollen Tränen langsam an ihren Wangen niedertropften.

       Wie aus Stein gehauen aber stand der Vater, keine Muskel seines Körpers regten sich oder zuckte nur, nicht die Wimper seines stieren Auges, das er fest und eisern auf den Sohn geheftet hielt. Er sprach nicht, aber er erwartete auch keine Anrede. Er war da, das schien alles, was er in dem Augenblick fühlte, und für das, was ihm jetzt die Seele zermarterte, hatte er keine Worte. Ebenso schweigend stand der Sohn auf der Schwelle, was in dem Blick lag, den er jetzt über die Gruppe sandte und abwechselnd von einem zum anderen gleiten ließ, wer hätte es ergründen können? Scham? Scheu? Schmerz? Zerknirschung oder Trotz? – Aber lange hielt er das nicht aus; der Hut entfiel seiner Hand, und an den kleinen Geschwistern vorbei, die ihm scheu auswichen, eilte er auf die Mutter zu, sank neben ihrem Stuhl auf die Knie nieder, umschlang sie mit seinen Armen, und den Kopf an ihre Seite legend, hielt er sie, ohne ein einziges Wort zu sagen, krampfhaft umfasst.

       „Mein Sohn, mein armes, verlorenes Kind", sagte die Mutter mit zitternder, kaum hörbarer Stimme, legte ihren rechten Arm über sein Haupt und weinte leise vor sich hin. Max, dem alles unheimlich wurde, und der den fremden Mann gar nicht kannte oder begriff, dass das sein Onkel sein sollte, drängte sich furchtsam zu der Margarete und hielt sie, die Augen immer auf den Knieenden geheftet, fest am Kleide gepackt.

       „Aus dem Z u c h t h a u s !" sagte da endlich der alte Tischlermeister mit hohler, dumpfer Stimme. „Bist du endlich von deiner Wanderschaft zurück? Die hat lange gedauert und du musst viel in der Welt gesehen haben."

       Der Sohn antwortete nicht, nur fester umschlang er die Mutter, deren Arm er auf sich ruhen fühlte. Es war, als ob er bei ihr Schutz suchen wollte gegen den Vater und dessen Vorwürfe.

       Der Tischlermeister mochte es auch so verstehen; langsam, den Blick noch immer auf den Sohn geheftet, nickte er vor sich hin und sagte dann düster: „Ja, versteck' dich, Karl, versteck' dich, weiter bleibt dir auch von jetzt an nichts übrig. Versteck' dich vor der Welt, vor dir selber, nur vor deinem Gewissen bist du es nicht imstande. Oh, mein Gott, oh du allmächtiger Gott!" Und der alte, starke Mann konnte den Anblick nicht länger ertragen, er sank auf den nächsten Stuhl, schlug beide Hände vors Gesicht und konvulsivisch fast arbeitete seine Brust gegen das erdrückende Gefühl an, das ihn zu ersticken drohte.

       Da richtete sich der Sohn langsam in die Höhe, sein Gesicht war mit Tränen überströmt und totenbleich; er strich sich langsam die Haare aus der Stirn, und sein glanzloser Blick suchte des Vaters ineinander gesunkene Gestalt. Endlich sagte er mit leiser, heiserer Stimme, indem sein Auge langsam im Kreise der Seinen umherglitt:

       „Also haltet auch i h r mich alle für schuldig – für fähig, ein solches Verbrechen zu begehen?"

       Keiner antwortete, der Mutter Blick hing angstvoll an seinen Zügen. Da schritt Margarete, seine Schwester, leise auf ihn zu, sie sah ihm fest ins Auge, und als sie dicht bei ihm stand, lehnte sie ihren Kopf an seine Brust und sagte schüchtern: „Ich habe es nie getan, Karl, ich war damals noch jung, wie mir aber in jener schweren Zeit die Kinder auf der Straße nachschrieen und mich verspotteten, mein Bruder hätte einen Menschen totgeschlagen und käme ins Zuchthaus, da habe ich still für mich geweint, aber geglaubt habe ich's doch nicht, auch wenn ich noch ein Kind war."

       „Gretchen", sagte ihr Bruder, schlang seinen Arm um sie und drückte sie an sich. „Mein liebes, liebes Gretchen, und bist du's denn wirklich? Wie hoch aufgeschossen in der langen Zeit!" setzte er scheu hinzu.

       Der Vater hob den Kopf, aber jetzt hielt sich die Mutter auch nicht länger.

       „Nein!" rief sie. „Wo ich jetzt sein treues, ehrliches Gesicht wiedersehe, wo ich es selber aus seinem Munde höre, dass er unschuldig ist, jetzt, jetzt glaub ich's ihm, mag die Welt über ihn urteilen, wie sie will, die eigene Mutter kann ihn nicht verdammen!"

Eck 1

       Und von ihrem Sitz emporfahrend, warf sie sich an die Brust des Sohnes und umschlang ihn mit ihren Armen.

       „Meine gute, gute Mutter!"

       „Es war eine furchtbare Zeit", flüsterte die Frau, ohne aber ihre Stellung zu verändern oder den Kopf zu heben. „Als wir die erste Kunde hörten und hier von der Polizei ein Leumundszeugnis über dich verlangt wurde. Damals hielt dich hier freilich kein Mensch für schuldig, selbst nicht die Polizei, aber dann, als Berichte über Berichte kamen, das Verhör von den Geschworenen mit all den Zeugenaussagen gegen dich hier sogar in den Zeitungen gedruckt wurde, so dass es alle Menschen lesen konnten, oh, mein allmächtiger Gott! Was habe ich da gelitten, was ausgestanden, und nicht einmal aus dem Fenster wagte ich zu sehen, aus Furcht, dass ich dem Auge eines anderen Menschen begegnen könnte. Und dann kam das Urteil – sechs Jahre Zuchthaus..." Sie konnte nicht weiter, sondern drückte nur ihr Antlitz fest, fest an des Sohnes Brust, als ob sie dort das ganze ausgestandene Elend bergen wolle.

       „Und doch unschuldig, Mutter!" sagte Karl ruhig und resigniert.

       „Und wagt

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