Im Eckfenster. Gerstäcker Friedrich

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Im Eckfenster - Gerstäcker Friedrich

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„Ach, Kamerad, ihr könntet mir einen großen Gefallen tun! Ihr habt da einen prächtigen Stock, verkauft mir den, ich komme in dem verdammten Weg ohne Stock fast gar nicht von der Stelle!“

       Der Stock war ein richtiger, aber sehr hübsch gewundener Knotenstock, den ich mir im letzten Städtchen selbst erst gekauft und dafür einen Taler und zehn Groschen bezahlt hatte. Er war nur eigentlich etwas zu schwer zum Marschieren, mit einer dicken, eisernen Zwinge unten dran. Ich meinte auch, ich würde den Stock wohl selbst nötig haben, um fortzukommen, er aber bot mir einen so hohen Preis – etwa die Hälfte von dem, was ich dem alten Juden für die Uhr gegeben – dass ich mich endlich überreden ließ. Ich dachte mir: Im nächsten Dorf kannst du immer einen Stock kriegen, und wenn du einen aus der Hecke ziehen musst. Damit schieden wir, ich ging meinen Weg voraus und er zurück, und da die Straße dort viele Biegungen machte, verloren wir einander bald aus den Augen.

       Gegen Mittag erreichte ich endlich ein kleines Nest. Wie es heißt, habe ich vergessen, es waren nur ein paar einzeln stehende Häuser mit einem Wirthaus dazwischen, aß dort etwas und ruhte mich dann wohl eine volle Stunde aus.“

       „Auch das hat dein Verteidiger zu deinen Gunsten vorgebracht“, sagte der Vater.

       „Ich weiß es,“ erwiderte der Sohn leise. „Aber der Staatsanwalt behauptete, dass jemand, der eine solche Tat vollbrachte, wohl die Kräfte verlassen konnten, so dass er gezwungen wäre, auszuruhen. Nach Tisch nun ging ich weiter, aber der Weg wurde so schlecht, dass ich nur langsam vorrücken konnte, bis mir ein paar Holzschläger, die ich an der Straße traf, den Rat gaben, ich sollte den nächsten Fußweg, den ich träfe, rechts durchs Holz nehmen, wenn ich an eine kleine, hölzerne Brücke mit einem Pfahl daran käme. Von da hätte ich besseren Weg und käme früher zum nächsten Ort, als wenn ich die breite Straße hielte. Den Weg fand ich denn auch und folgte ihm, aber er lief aus, ich muss ihn in dem nassen Grund vielleicht auch verfehlt haben, kurz, ich kam in einen anderen Pfad, hielt aber immer die Richtung, die ich als richtig empfand, bis ich aus dem Holz herauskam, ein anderes Dorf vor mir sah und darauf zueilte.“

       „Ich weiß“, sagte der Vater. „Du hattest angegeben, dass du dich verirrt hättest...“

       „Und das hatte ich auch, Vater“, sagte Karl. „Ich war ein tüchtiges Stück aus meinem Weg gekommen, wusste aber auch, dass ich dort bei den Häusern wieder eine Straße finden würde, und arbeitete mich darauf zu. Als ich das Dorf aber nur betrat – und es war schon fast dunkel geworden – kam mir ein berittener Gendarm entgegen und hielt mich an, ich musste ihm folgen, und – das weitere wisst ihr“, setzte er scheu hinzu. „Ich wurde eines Raubmordes angeklagt, ein volles Jahr in Untersuchung gehalten, und was ich dabei ausgestanden habe, könnte ich euch nicht mit Worten sagen. Dann kam das Gericht, ich wurde trotz allem, was ich zu meiner Verteidigung vorbringen konnte, verurteilt, und jetzt bin ich, nachdem ich meine Strafe abgesessen, in die Welt wieder ausgestoßen – elend, gebrandmarkt, ein Zuchthäusler....“

       Er schwieg und barg das Antlitz in den Händen, und kein Ton im Zimmer wurde laut, selbst die Kinder wagten kaum zu atmen. D a s sollte der Bruder und Onkel sein, von dem ihnen die Margaret schon erzählt, der bleiche Mann mit den eingefallenen Wangen und hohlen Augen? ...

       „Und wer, glaubst du, hat den Mord verübt?“ sagte der Vater endlich. „Wenn du – wenn du wirklich unschuldig so Furchtbares erduldet hast.“

       Der Sohn schaute wild empor. „Jener Mann“, rief er mit heiserer Stimme, „der mir den Stock abgekauft! Es ist nicht anders möglich, denn mein Stock, mit Blut bespritzt, lag neben dem zerschmetterten Schädel des armen Juden, und kein anderer kann den Schlag geführt haben als der Fremde."

       „Und man hat ihn nie aufgefunden?“

       „Nein“, sagte Karl tonlos. „Sie glaubten mir ja die ganze Sache nicht und haben vielleicht kaum nach ihm gesucht. Wo er aber hergekommen, wohin er gegangen ist – wie kann ich es wissen! Manchmal war es mir freilich, als ob es derselbe sein müsste, der vorher zu Pferde an mir vorbeigesprengt, aber ich hatte ihn nicht deutlich genug gesehen, um das beschwören zu können.“

       „Und wie sah er aus?“

       „Ich weiß es nicht“, hauchte der Unglückliche. „Ich wurde schon damals vom Gericht aufgefordert, eine genaue Beschreibung seiner Person zu geben, aber ich war nicht imstande. Ich weiß, ich bin fest überzeugt, dass ich sein Gesicht in dem Moment wiedererkennen würde, wo er vor mich träte, so deutlich stehen seine Züge vor meiner Seele; aber ich kann mich nicht besinnen, was er für Haar, was er für Augen gehabt, wie er gekleidet war. Ich habe mir nie die Menschen im Einzelnen betrachtet und das behalten können.“

       „Aber wenn du ihn wiedererkennen wolltest, müsstest du doch auch sagen können, wie er ausgesehen hat“, sagte finster der Alte.

       „Nein, Vater, ich weiß nur, er war städtisch gekleidet, besser als ich; ich wunderte mich damals, dass er mit dünnen Stiefeln in die schmutzige Straße kam und doch nicht so aussah, als ob er schon einen langen Weg darin gemacht hätte – aber Fremde achten ja doch nicht so aufeinander. Wir gingen außerdem verschiedene Wege, er nach Osten, ich nach Westen, was konnte er also für mich anderes sein als ein Mann, dem man einmal im Leben und vielleicht nie wieder begegnet!“

       Der Alte nickte langsam vor sich hin, es klang alles möglich, was ihm sein Sohn sagte. Außer der Uhr hatte man auch nur eine geringe Summe Geldes bei ihm gefunden, und der Stock war eigentlich der Hauptbeweis gegen ihn gewesen, da man den in dem Wirtshaus, in dem die beiden übernachtet hatten, genau kannte. Und was jetzt? Wenn er selbst jenem Fremden im Leben wieder begegnet wäre und ihn erkannt hätte, wie konnte er nach den langen Jahren auf ihn schwören? Und selbst das angenommen, wie hätte er ihm je beweisen wollen, dass er die Tat verübt? Er wusste ja selbst nicht einmal, ob er es getan!

       Die Kinder hatten der ganzen Erzählung, dem ganzen Gespräch mit scheuen Mienen zugehört; sie verstanden den Sinn nicht, aber sie fühlten trotzdem heraus, dass etwas Schweres und Furchtbares verhandelt würde, das man nicht stören durfte. Jetzt erst, da das Gespräch ins Stocken kam, erinnerte sich Max an seinen Magen, denn das Essen war heute auf unverantwortliche Weise hinausgezögert worden. Wer von allen, die Kinder vielleicht ausgenommen, dachte auch daran!

       „Essen wir denn noch bald, Grete?“ knurrte er und zupfte dabei die Tante an der Schürze.

       „Das Kind hat Recht“, sagte der Vater, welcher die Worte gehört hatte. „Lass das Essen hereinbringen, die Leute dürfen nicht so lange warten.“

       Das junge Mädchen verließ das Zimmer, um den Auftrag zu besorgen, und Karls Blick haftete jetzt zum erstenmal auf den Kindern.

       „Und das ist die Bärbel?“ sagte er, als er mit tränenden Augen das kleine Mädchen betrachtete. „Du großer Gott, sie wurde noch auf dem Arm herumgetragen, und den kleinen Burschen kenn‘ ich nicht einmal!“

       „Es ist deiner toten Schwester Lisbeth Kind, der Max. Wir haben ihn erst vor zwei Jahren zu uns genommen.“

       „Komm her zu mir Max – willst du nicht deinem Onkel die Hand geben?“

       „Nein!“ schrie der Knabe. „Ich fürchte mich vor dir!“ Dabei barg er sein dickes, rotes Gesicht in der Schürze der Großmutter.

       „Und Bärbel kennt mich auch nicht mehr?“

       Das kleine Mädchen wich ebenfalls scheu vor ihm zurück und hielt die Hände hinter sich, dass er keine davon ergreifen konnte.

       Karl seufzte aus voller

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