Mississippi-Bilder. Gerstäcker Friedrich
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Читать онлайн книгу Mississippi-Bilder - Gerstäcker Friedrich страница 6
„Zum Henker! Einen von unseren Flüchtlingen haben wir gefangen, aber nicht den rechten; wo um Gottes Willen kommst Du hierher?“
„Ich wollte erst nach St. Francisville gehen, habe mich jedoch anders besonnen“, sagte Guston, „aber was im Namen alles gesunden Menschenverstandes tut Ihr hier, wie Straßenräuber auf dem breiten Fahrweg? Ich glaubte wahrhaftig im ersten Augenblick, ich wäre einigen entlaufenen Negern in die Hände gefallen, und wollte schon anfangen, mir mit meinem Messer Bahn zu hauen, als ich noch glücklicherweise Deine Stimme erkannte. Wer sind diese und was wollt Ihr alle hier?“, fuhr er, erstaunt umherblickend, fort, als er eine Menge Menschen nahen hörte, die in wenigen Sekunden an seiner Seite waren und in denen er die ganze Würfelgesellschaft erkannte. Der lange Sklavenhändler und der Ankläger und Vetter des Entflohenen schienen sie anzuführen.
„Still“, sagte Willis, „wir wissen, dass der freche Schuft, der sich so schändlicher Weise zwischen uns eingeschlichen hatte, hier links am Wege bei Mutter Hoyer sitzt, wir wollen jetzt das Haus umzingeln und den Burschen fangen; er soll doch auch wissen, wie Peitschenhiebe in Louisiana schmecken.“
„Wozu den armen Teufel noch einmal aufsuchen?“, fiel Guston gutmütig ein, „Ihr habt ihn einmal abgestraft, lasst in laufen, er wird sich so bald nicht wieder zwischen weiße Männer hineinwagen.“
„Still, Mann, aus Dir spricht der Europäer“, entgegnete trocken Willis, „mit so leichter Strafe kommt kein Neger davon, wenn i c h’s verhindern kann.“
„Es tut mir nur leide, dass wir ihn nicht gleich banden und in den Fluss warfen“, fiel ärgerlich, doch mit unterdrückter Stimme der Vetter des Unglücklichen ein, „ich konnte den Jungen nie leiden; aber kommt, wir verlieren unsere Zeit und dort schimmert das Licht.“
Guston drehte den gefühllosen Menschen verächtlich den Rücken und wandte sich nach der Stadt, während der Haufen leise gegen das kleine Blockhaus hinan schlich; plötzlich aber, wie von einem anderen Gedanken ergriffen, kehrte er schnell um und folgte seinen Freunden, leise dabei vor sich hinmurmelnd: „Sie sollen ihn doch wenigstens nicht töten!“
Wenige Schritte nur war er nach der Hütte zurückgegangen, als es ihm schien, als ob eine dunkle Gestalt über den Weg glitt. Er blieb stehen und rief sie mit unterdrückter Stimme an, aber keine Antwort erfolgte, und bald hatte er das Häuschen erreicht, das schon von den Männern geräuschlos umzingelt war, während die nichts Böses ahnenden Bewohner sich noch bei dem matten Schein der Lampe mit leiser Stimme unterhielten, und dann und wann ein leises Schluchzen durch die stille Nacht drang. Willis trat jetzt vor, und mit dem starken Ende einer ungeheuren ledernen Negerpeitsche, die er unterwegs mitgenommen, an die Tür schlagende, verlangte er Einlass. Einen Augenblick herrschte Totenstille; erst auf seine zweite Aufforderung ertönte die Stimme der Alten, die ihn ruhig bedeutete, weiter zu gehen – es sei Nacht und sie mache keinem Fremden die Tür auf, da sie nur zwei einzelne Frauen wären.
„Das wissen wir besser, Du verwünschte Hexe!“ rief jetzt Willis mit voller Stimme, indem er mit aller Kraft einen Schlag gegen die Tür führte, „öffne augenblicklich, oder wir reißen Dir Dein morsches Dach über dem Kopfe zusammen!“
Die Übrigen waren jetzt ebenfalls von allen Seiten hinzugetreten, und das Haus eng einschließend, schienen sie die Drohung im wahren Sinne des Wortes ausführen zu wollen, als der Riegel zurückgeschoben wurde. Ohne das Öffnen der Tür abzuwarten, sprang Willis mit aller Gewalt gegen dieselbe, und diese aufstoßend, warf er sich mit solcher Gewalt gegen den Kopf der Mulattin, dass die Unglückliche, von dem Schlage betäubt, besinnungslos zurücktaumelte und niederstürzte. Laut aufschreiend, warf sich das Mädchen über den Körper der Mutter; ihrer jedoch wenig achtend, stürmte, so schnell es ihnen der enge Eingang erlaubte, ein Teil der Verfolger in das Gemach, um ihr Opfer zu erfassen.
Vergebens sahen sie sich indessen nach ihrer Beute um, vergebens leuchteten sie in jeden Winkel, hinter jeden Kasten, vergebens warfen sie selbst die Betten der armen Frauen auf den Boden, den vielleicht darunter Versteckten zu entdecken, er blieb spurlos verschwunden, und drohend wandte sich jetzt Willis an die arme Alte, die sich, noch betäubt von dem Schlage, erschöpft an die Schulter ihrer Tochter lehnte.
„Wo ist der Bursche, der noch vor wenigen Minuten hier war? Willst Du reden, Alte, oder ich drehe Dir den Hals um!“
„Lasst meine arme Mutter, Herr!“, rief das Mädchen, den schon nach ihr ausgestreckten Arm des wütenden Willis zurückstoßend. „Lasst sie, Ihr habt sie ja schon beinahe getötet!“
„Nigger!“, rief dieser, sich zornig emporrichtend. „Willst Du mir sagen, was ich tun oder lassen soll?“ Und mit der Peitsche ausholend, wollte er eben das furchtlos ihm gegenüberstehende junge Mädchen niederschlagen, als er seinen Arm von Guston gefasst und festgehalten fühlte, der ihm leise zuflüsterte: „Du schlägst das Mädchen n i c h t, oder Du hast es mit mir zu tun!“
„Was zum Henker mischst Du Dich in mein Tun?“, fuhr Willis heftig gegen den Freund herum; aber dessen ernstem Blicke begegnend, ließ er den Arm sinken und sagte halb lachend, halb ärgerlich: „Warum ist das dumme Ding so trotzig? Ich wollte ihr übrigens kein Leid tun, sie soll nur sagen, wo der Bursche ist, der noch vor wenigen Minuten hier war!“
Einen ängstlichen Blick warf das junge Mädchen auf Guston, um zu erforschen, ob er sie verraten habe; bald aber schien sie diese Furcht aufzugeben, denn sie schüttelte leise mit dem Kopfe und hauchte: „Ich habe niemand gesehen.“
„Lügen!“, riefen jetzt mehrere Stimmen aus dem Haufen. „Er war hier, wir wissen es; seit wann ist er fort?“
„Ich habe niemand gesehen“, wiederholte leise das zitternde Mädchen.
„Gentlemen!“, sagte jetzt Guston, sich an die ihn dicht umdrängenden Männer wendend. „Sie sehen, der Mann ist fort, wohin, darf uns für den Augenblick sehr gleichgültig sein, denn wie könnten wir dem Einzelnen in der stockfinsteren Nacht folgen? Also kommen Sie mit mir in die Stadt zurück, und wir wollen noch ein halb Stündchen zusammen trinken, i c h traktiere, morgen haben wir vielleicht mit dem Auffinden des Burschen mehr Glück. Wer geht mit mir?“
„Nun, ich denke“, sagte der Sklavenhändler, indem er sich mit großer Seelenruhe von einer breiten Tafel Kautabak ein ungeheures Stück abschnitt und in den Mund schob, „wir gehen alle.“
„Ja, lasst und gehen; zum Teufel mit dem Nigger!“ riefen alle untereinander und drängten sich wieder aus der Tür hinaus, um im Wirtshaus ihr Gelage aufs Neue zu beginnen. Guston verließ das Haus zuletzt, und das Mädchen folgte ihm mit dem tränenden, dankbar ihm zugekehrten Blick – sie sah in ihm den Retter ihrer Mutter.
Lachend und jubelnd wanderten die Männer der Stadt zu und erreichten bald wieder das Haus, wo Guston, seinem Versprechen gemäß, sie auf seine Kosten trinken ließ, so viel sie wollten. Die Unterhaltung war sehr laut, und besonders schimpfte und fluchte der Sklavenhändler auf den Entflohenen, den er versicherte, mehr als zwanzigmal gesehen, immer aber für einen Weißen gehalten zu haben, als plötzlich der Doktor mit verschlafenem, bleichen Gesicht, sich dehnend und streckend, in der Tür erschien.
Mit allgemeinem Jubel wurde er empfangen und vernahm jetzt, mit Erstaunen über die unerhörte Frechheit des Niggers, die Erzählung dessen, was, während er schlief, vorgefallen war.