Mississippi-Bilder. Gerstäcker Friedrich
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Etwas kleinlaut erzählte jetzt Willis, dass er ihnen entkommen sei, sie aber ernstliche Nachforschungen am anderen Morgen anstellen wollten.
„Ich habe einen vorzüglichen Negerhund“10, fuhr er in seinem Argumente fort, „und wenn wir den auf die Spur bringen…“
„Bah!“, rief der Doktor ärgerlich. „Glaubt Ihr, der wird sich lange hier in den Büschen oder Sümpfen herumtreiben, wo so viel B o o t e am Ufer liegen? Der stiehlt diese Nacht eins, wenn das nicht schon jetzt geschehen ist, und hat bis morgen früh wenig Spuren zurückgelassen, dafür steh‘ ich. Nun“, tröstete er sich endlich, „er kommt uns vielleicht ein anderes Mal wieder in den Wurf, und – ich kenne den Burschen jetzt. – Aber glaubt Ihr, ich sei ein Pulvermagazin, dass Ihr Euch hier alle um mich her drängt und mich so trocken haltet, als ob mich ein Tropfen Spiritus verderben könnte? He, Wirt! Etwas zu trinken! Ihr habt doch mein Mädchen ordentlich aufgehoben?“
„Alles in Sicherheit“, entgegnete dieser, dem Doktor ein Glas und eine Flasche hinschiebend, „aber, Doktor, die Fährleute werden gleich zum letzten Mal hinüberfahren. Punkt zehn Uhr will Mr. Taylor am Ufer sein.“
„Mr. Taylor“, sagte der Doktor, sein Glas halb füllend und leerend, „mag zu – Grase gehen! – Es wird aber doch besser sein, ich fahre mit; so bringt das Mädchen herunter und lasst sie sich bereit halten.“
„Ihr Bündel liegt in der Küche“, sagte der Yankee, „viel hat sie zwar nicht, aber…“
„Ihr Yankees werdet auch einen Sklaven viel Plunder mitnehmen lassen!“, unterbrach ihn lachend der Doktor. „Da müsste man Euch nicht kennen; nun, wenn sie fleißig und ordentlich ist, kaufe ich ihr ein paar neue Fähnchen.“
Guston hatte, an das Billard gelehnt, eine Zeit lang starr vor sich niedergesehen und dem Gespräch gehorcht; als er aber hörte, dass das Mädchen vor die Tür geführt ward und der Doktor sich selbst zum Überfahren rüstete, trat er auf diesen zu und bat ihn, einen Augenblick mit ihm zu gehen, da er ihm etwas zu sagen habe. Der Doktor folgte, und beide standen bald in der sternhellen Nacht auf der offenen, menschenleeren Straße unfern des unglücklichen Mädchens, das, die Hände auf dem Rücken befestigt, an einen Balken, der eigentlich zum Anhängen der Pferde diente, gebunden war und, an diesen gelehnt, in ihrem dünnen weißen Kleide traurig empor zu den goldenen Sternen blickte.
„Nun, was wollen Sie von mir, Sir?“, fragte endlich der Doktor, nur wenige Schritte von der Sklavin stehen bleibend.
„Ich wünschte, Ihnen dies Mädchen abzukaufen“, antwortete Guston fest und ruhig.
„Den Teufel auch!“, rief erstaunt der Doktor. „Was fällt Ihnen auf einmal ein?“
„Sie gefällt mir“, entgegnete in gleichgültigem Ton der junge Pflanzer.
„Mir auch“, sagte der Doktor lachend, „und ich verkaufe sie nicht wieder, nein, meine Frau wollte lange ein Hausmädchen haben, und d i e scheint mir wie geschaffen dafür: leicht, behände, hübsch und stark.“
„Doktor, es kommt mir auf einige Dollars nicht an; ich möchte aber das Mädchen haben, und wenn Sie nicht einen zu horrenden Preis fordern, so…“
„Nein, nein“, unterbrach ihn der Doktor, „aus unserem Handel wird nichts, wenn ich das Geld nötig brauchte, ja, dann wär es vielleicht etwas anderes, ich habe aber just gestern einen Wechsel von tausend Dollar bekommen, gut wie Silber, und da ist mir jetzt das Mädchen nicht feil. Fragt jedoch Weihnachten einmal wieder nach und – ich stehe Euch nicht dafür, dass das Geld so lange ausreicht – vielleicht noch früher, nur für den Augenblick wird nichts daraus.“
Das Mädchen hatte im Anfang, da sie hörte, wie nahe sie die Unterhaltung anging, erschrocken aufgehorcht, und versuchte vergebens eine Zeit lang mit ihren scharfen Augen die Finsternis zu durchdringen, um die Züge dessen zu erforschen, der sie zu erhandeln wünschte; da sie das aber unmöglich fand, verfiel sie wieder in ihre träumerische Stellung, wenig den Fortgang des Gesprächs und die Folgen, die es für sie haben musste, beachtend. Sie war daran gewöhnt, als ein Stück Ware betrachtet und verhandelt zu werden, und ihr schien es gleichgültig, wer von den beiden ihr neuer Herr werde, da Alfons doch unwiederbringlich für sie verloren war; nur zwei große Tränen traten ihr in die dunklen Augen und fanden, von anderen gefolgt, ihre Bahn die sammetweichen Wangen der Unglücklichen hinab. – Sie konnte sie nicht abtrocknen, ihre Hände waren gebunden.
Jetzt traten auch die übrigen Pflanzer und Kaufleute aus dem Hause und wanderten zusammen dem nicht fernen Flussufer zu, um den Doktor noch auf das Boot zu begleiten. Guston wandte sich ab und schritt schweigend an Willis Seite, der ihm tausend tolle Streiche und Schwänke erzählte, und sich wenig darum bekümmerte, ob sein Gefährte ihm zuhörte oder nicht, dem kleinen Städtchen St. Francisville zu, um dort zu übernachten und am nächsten Morgen seines Vaters Pflanzung zu erreichen.
Das Schicksal der beiden Unglücklichen hatte Guston, da er lange Zeit von den Sklavenstaaten entfernt gelebt, wirklich geschmerzt, und manch gutmütiger Plan für die Zukunft der beiden seinen Kopf durchkreuzt, als er dem Doktor das Mädchen abkaufen wollte. Da dieser aber nicht darauf eingegangen war, so glaubte er das Seinige getan zu haben und vergaß bald das Unglück von Leuten, denen er doch nicht helfen konnte. Noch hatte er nicht die Höhe des Hügels und mit ihm die ersten Häuser des Städtchens erreicht, als er schon ganz in Willis Laune einstimmte und diesem von seinen Reisen und Wanderungen erzählte.
Unterdessen waren die Passagiere, die noch nach Pointe Coupé übersetzen wollten, auf der Dampffähre eingeschifft, und Selinde wurde ebenfalls an Bord gebracht, jetzt jedoch, als das Boot vom Lande abstieß, losgebunden, und sie stand vorn am Bugspriet des kleinen, breiten Fahrzeugs, schaute über das niedrige Geländer hinab in den dunklen, reißenden Strom und hing ihren trüben, traurigen Gedanken nach.
In der Kajüte hatte sich indessen der Doktor mit noch zwei anderen Pflanzern zu Taylors Familie gesellt und erzählte diesen von den heutigen Vorfällen, während das Boot langsam am Ufer hinauflief und eben vor der kleinen Bayou, von der das Städtchen seinen Namen hat, vorüberfahren wollte.
„Geht denn der Herr nicht mehr mit, der da noch am Ufer steht?“, rief plötzlich der Steuermann, ein Deutscher, dem Master des Bootes zu, der unten, unfern der Sklavin, am Geländer lehnte.
„Nein, hat sein eigenes Boot“, war die lakonische Antwort, und der Ingenieur, der auch zugleich die Stelle des Feuermanns mit vertrat, gab dem Boote die ganze Kraft, um so schnell wie möglich die nächtliche Fahrt zu beenden.
Das Boot erreichte jetzt die ungefähre Höhe, von der aus sie hoffen durften, die gegenüberliegende Landung zu gewinnen; der Steuermann ließ also den Bug nach der Backbordseite abfallen, und bald zeigte das stärkere Rauschen am Bugspriet, dass es in reißendere Strömung geraten sei. Langsam bewegte es sich der Sandbank zu, die sich in den Sommermonaten, mitten im Flusse von einer kleinen Insel unterhalb ausgehend, wohl zwei Meilen hinaufzieht, und welche die Fähre, um an dem gewöhnlichen Landungsplatze in Pointe Coupé anzulegen, umfahren musste. Das Boot mochte kaum dreihundert Schritt von dem waldigen Ufer ab sein, als von der Mitte des Stromes aus dreimal der Ton eines Loon11 klagend über die glatte Wasserfläche herüber schallte. Der Master schien die oft gehörten Töne wenig zu beachten; Selinde aber fuhr schon beim zweiten Rufe, wie von einem plötzlichen Schreck durchschauert, auf und lauschte mit verhaltenem Atem dem dritten. Wenige Minuten war alles still, und dann schallten wieder dieselben drei wehmütigen Rufe des menschenscheuen Wasservogels zu ihr herüber, während sie mit vorgebeugtem Oberkörper und weitgeöffneten Augen