Die Pferdelords 10 - Die Bruderschaft des Kreuzes. Michael Schenk
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Er kam den Hügeln näher, erreichte ihren Schatten.
Zwischen den Bäumen knackte es und Hendel sah ein mächtiges Geweihtier, welches ihn anstarrte und wohl überlegte, ob von dem einsamen Reiter eine Gefahr ausging. Offensichtlich wurde er als ungefährlich eingestuft, denn das Tier begann ruhig zu äsen.
Der Schatten war angenehm. Den ganzen Tag schon brannte die Sonne unbarmherzig herab. Hendel schwitzte erbärmlich, obwohl er nur leichte Bekleidung trug. Wie mochte es da den Gardisten ergehen, die in ihren stählernen Rüstungen doch sicherlich gebraten wurden? Nein, das Waffenhandwerk war nicht nach seinem Geschmack, auch wenn es bei manchen Frauen in hohem Ansehen stand.
„Endlich“, seufzte er erleichtert, als sich die Hügel vor ihm öffneten.
Obwohl ihm die mächtige Stadt Alneris mit ihrem quirligen Leben gefiel und auch die Grundlage seines beginnenden Reichtums war, empfand er doch das warme Gefühl der Heimkehr, als er das kleine Hemjalis vor sich sah. Alles war so, wie er es in Erinnerung hatte.
Von den Hügeln führte die Straße, die hier kaum mehr als ein breiter Feldweg war, zwischen weiten Feldern hindurch in den Ort. Hendel sah Männer und Frauen, die mit der Ernte beschäftigt waren. Kappklingen fällten das Getreide, welches aufgesammelt und in Bündeln zu den Karren getragen wurde. Die meisten Wagen hatten nur zwei Räder und wurden von Erntehelfern gezogen, doch er konnte auch einen vierrädrigen sehen, vor dem zwei Horntiere eingespannt waren. Ein gutes Zeichen, denn solche Wagen konnte man sich nur leisten, wenn es reiche Ernte und guten Gewinn gab.
Von einem der Felder kam ein Mann zu Hendel heran. Er kannte ihn nicht, doch das verwunderte ihn kaum. Viele Menschen waren in den vergangenen zwei Jahren aus den großen Städten in die kleinen Dörfer gezogen, angelockt von den Schüsselchen des Königs, der die Städter mit großzügigem Handgeld belohnte, wenn sie in die Dörfer gingen. Das Reich brauchte Getreide und Brot, um nicht zu hungern, und die Dörfer brauchten Menschen, damit es beides im erforderlichen Maß gab.
„Woher des Wegs, guter Herr?“, fragte der Bauer freundlich und stützte sich dabei auf die lange Stange seiner Kappklinge.
„Aus Alneris“, antwortete Hendel. „Doch eigentlich komme ich aus Hemjalis. Ich wurde hier geboren“, fügte er hinzu, als er die Skepsis im Blick des Bauern sah. „Halpert, der Schmied, ist mein Bruder.“
„Ah, Halpert.“ Der Mann wischte sich etwas Schweiß von der Stirn. „Er wird in seiner Schmiede sein. Reitet ins Dorf und folgt …“
„Danke, doch ich kenne den Weg“, unterbrach Hendel.
„Ja, sicher, Ihr seid ja hier aufgewachsen.“ Der Bauer grinste breit. „Nun, so werdet Ihr Euren Weg finden und ich werde noch ein paar Halme kappen.“
Der Mann wandte sich wieder seiner Arbeit zu und Hendel ritt weiter.
Hemjalis hatte sich in den zwei Jahren nicht verändert.
Zwei Reihen von Häusern, die sich gegenüberstanden und zwischen denen die einzige Straße des Ortes verlief. Dort, wo sie endete, stand der mächtige Kornspeicher.
Hier waren nur wenige Menschen zu sehen, denn die Ernte erforderte alle Hände.
Hemjalis musste viele neue Bewohner angelockt haben, denn Hendel erkannte keinen von ihnen. Das irritierte ihn nun doch ein wenig. Wo war der alte Grent, der immer im Schaukelstuhl vor seinem Haus saß? Der Alte war noch rüstig. Sollte er inzwischen doch gestorben sein? Hendel hätte das bedauert, denn als er und Halpert noch klein gewesen waren, hatte Grent ihnen immer Geschichten erzählt.
Die Häuser waren klein und aus Steinziegeln gebaut. Hendel konnte sich noch an seine Jugend erinnern, als man die Steine im Uma´Roll gebrochen und mühsam in die richtige Form gebracht hatte. Die Häuser aus dem reichlich vorhandenen Holz zu errichten, wäre einfacher gewesen, doch der Stein widerstand Holzkäfern und Stürmen wesentlich besser. Alle Wände wurden weiß gestrichen, wie es im Königreich üblich war. An einigen blätterte der Putz ab, und es gab sogar ein paar kleine Risse. Das große Beben war auch an Hemjalis nicht spurlos vorübergegangen.
Hendel stutzte.
Man hatte das Haus des Dorfhändlers umgebaut. Es war nun nur noch der Anbau eines ungleich größeren Gebäudes, welches einer Lagerhalle ähnelte. Es gab ein breites Eingangsportal, zu dem zwei Stufen hinaufführten. In die beiden Flügel des hölzernen Portals waren zwei Zeichen eingearbeitet. Jedes von ihnen zeigte ein Kreuz, welches entfernt einem Schwert ähnelte und dessen stumpfe Spitze zum Boden zeigte.
War ein neuer Händler nach Hemjalis gekommen und war dies das Zeichen seines Handelshauses?
Hendel nahm sich vor, seinen Bruder danach zu fragen.
Doch das hatte Zeit. Sie würden sich viele Neuigkeiten zu erzählen haben.
Am Ende der Straße sah er die vertrauten Umrisse der Schmiede.
Hier waren er und Halpert aufgewachsen. Hier hatten sie das Schmiedehandwerk von ihrem Vater erlernt.
Das steinerne Gebäude hatte einen großzügigen Vorbau, der von hölzernen Balken gestützt wurde. Im unteren Bereich trugen sie Brandspuren, und Hendel lächelte unwillkürlich. Er konnte sich gut daran erinnern, wie oft er und Halpert glühende Eisen in das Holz gepresst hatten, bis ihr Vater sie, halb erzürnt und halb belustigt, davonjagte. Der untere Teil des Vordachs war von Ruß geschwärzt. Halpert würde die Esse mit Holzkohle heizen. Der rauchlose Brennstein, der in den Städten die Dampfmaschinen antrieb, war ihm sicherlich zu teuer.
Die vordere Seite der Schmiede war offen und man konnte in sie hineinsehen. Hendel erkannte die alte Esse, den mächtigen Amboss und das Becken, in dem die glühenden Metalle in Wasser oder Öl abgekühlt wurden.
Der Goldschmied glitt erleichtert aus dem Sattel und seufzte, während er sich streckte. Er schlang die Zügel des Pferdes durch einen Haltering und trat in den Schatten, den der Vorbau warf.
„Halpert?“, rief er in die Schmiede hinein.
Sie war nur mäßig vom Tageslicht erleuchtet. Hendel bemerkte, dass die Esse erkaltet war. Jetzt, zur Erntezeit, war das ungewöhnlich. Da gab es immer Bedarf an neuen Kappklingen oder daran, die alten zu schärfen.
„Halpert?“
Er bemerkte Bewegung im Halbdunkel. Überrascht sah er eine Frau, die näher trat und ihre Hände an einer Schürze abwischte. Sie war ein sehr ansehnliches Weib, wie er sofort registrierte. Alles genau da, wo es einen Mann begeistern musste.
„Ihr sucht meinen Mann, guter Herr?“, fragte sie freundlich. Die Stimme hatte einen sanften und zugleich lockenden Klang.
„Euren Mann?“ Hendel ächzte überrascht. Wie war sein Bruder nur an dieses Prachtweib gekommen? „Nun, äh, ja, ich suche Halpert. Wer, äh, seid Ihr, gute Frau?“
„Ich bin Halperts Weib, Inrunavga. Wartet hier. Ich werde ihn sogleich holen.“
Sie wandte sich ab und zeigte dabei jenen Hüftschwung, der in Hendel sofort Neid auf das Glück des Bruders hervorrief. Die Schöne hatte nicht nach dem Grund seines Besuches