Gruselige Kurzgeschichten - ein Band mit 8 Erzählungen. null Guamo
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„Wer?“ Für mehr hatte es nicht gereicht.
„Ich bin’s, Earl. Ich war meinen Müll wegschaffen und habe meinen Schlüssel vergessen. Mach mal auf.“
Ich betätigte die Türklinke und…es war abgeschlossen. Dieser Wichser, das hat er mit Absicht gemacht. Er hat sein Schlüssel gar nicht vergessen, sonst hätte er ja auch nicht zuschließen können. Ich machte einige wilde Gesten, in denen ich meine Gefühle zum Ausdruck brachte.
„Einen Moment…“ sagte ich immer noch zombiehaft und ein wenig außer Atem.
„… ich hole bloß meinen Schlüssel.“
Dann ging ich in mein Zimmer, legte mich ins Bett und… hätte am liebsten vergessen, dass er vor der Tür stand. Aber dann würde er ja wieder Lärm machen. Also schwang ich mich nach 1min, so lange musste er schon warten, aus meinem Bett, nahm den Schlüssel und schloss ihm letztendlich auf. Earl grinste mich hämisch an und sagte:
„Tschuldige, das du aufmachen musstest. Ich hoffe, du hast nicht schon geschlafen?“
Ich schaute kurz auf meine Uhr, erkannte, dass es bereits 10min später war, sagte aber zu seinem Erstaunen:
„Du Vollpfosten, was bildest du dir eigentlich ein, wer du bist? Mich einfach in der Nacht aus dem Bett zu klingeln.“
Das hätte ich sagen können, aber stattdessen:
„Nö, geht schon. Habe noch ein spannendes Buch gelesen und wollte sowieso Schluss machen.“
Dann drehte ich mich um, machte innerlich ein Stinkefinger zu ihm und ging wieder in mein Zimmer.
„Warum bist du dann so spät an die Tür gegangen und hast mich warten lassen?“ fragte er hinterrücks.
Ich blieb kurz stehen und dachte: Oh, hab ich das Prinzesschen warten lassen? Das tut mir aber leid und außerdem warum war die Tür abgeschlossen, du Klugscheißer. Dann schloss ich meine Zimmertür und legte mich wieder in mein Bett. Zumindest konnte ich bis früh um 6Uhr durchschlafen. Leider fielen an diesem Tag die Aussagen der Kollegen über mein Äußeres etwas nüchterner aus.
So schaukelten sich unsere Gemüter die weiteren Wochen immer höher, aber mit gleich bleibender Bosheitsintensität, stieg die Schmerzgrenze. Man wird abgestumpfter und regt sich viel seltener auf und die „damals“ furchtbaren Sachen werden als belanglos abgestuft. Aber neben den Nettigkeiten von Müll nicht herunterbringen, laut Musik hören, auch nachdem ich dreimal an seinem Zimmer geklopft habe, klingeln wie ein Besengter und irgendwelche Hippies in die Wohnung einladen, gab es ja noch „unseren“ Putzplan. Zwei mal im Monat Küche und Bad sauber machen. Einmal ich und einmal er. Das klingt jetzt zwar alles sehr einfach, aber die Realität sieht anders aus. Nachdem ich den ersten Monat komplett allein geputzt hatte, da er angeblich viel zu viel zu tun hatte, legte ich es im zweiten Monat drauf an. Ich ermahnte ihn mehrmals und sagte es ihm ständig freundlich, dass er doch bitte mal putzen sollte. Aber Pustekuchen, nur einmal, sozusagen das Highlight, stand auf dem Fensterbrett Wischlappen und Badreiniger. Sonst kam nichts. Am Anfang dachte ich Nicht mit mir, mein Freundchen und putzte natürlich nicht. Was soll ich sagen, nach 4 Wochen bin ich schwach geworden. In meinen Gehirn malten sich bereits Bilder, was alles passieren könnte, angefangen von einer Insektenplage bis hin zu einer totalen Kapitulation der menschlichen Bewohner des Hauses. Also putzte ich wieder und sagte es ihm. Ihm schienen ja die Staubbüschel, die bei offener Tür durch die Küche purzelten, nicht sonderlich zu stören, aber mir war die Wohnung zu eklig und einfach nicht mehr vorzeigbar. Selbst ein Obdachloser wäre auf unserer Schwelle wieder umgekehrt.
Ich bin ja ein sehr ruhiger und geduldiger Mensch, aber was dann passierte, kann selbst ich nicht mehr tolerieren.
Eines Abends nach dem ich aus meiner Heimat zurückgekehrt war und mir einen schönen Tee kochen wollte, fiel mir etwas auf. Da ich ein ordentlicher Mensch bin, fallen mir Unregelmäßigkeiten schnell auf. Die Teebox lag verkehrt herum im Regal und mir war so, als fehlten auch zwei Teebeutel. Sicher, wir sprechen hier von zwei dämlichen Teebeuteln, die grade mal einen Wert von ca. 10-20Cent haben, aber es geht ums Prinzip. Dieser Sack hat mir was geklaut, schoss mir sofort durch den Kopf. Anstatt mit dem Messer bewaffnet in sein Zimmer zu stürmen und ihn herauszufordern, überlegte ich, ob ich nicht selber die Box umgeworfen hätte und ob wirklich 2 Beutel fehlten. Einfach nicht mehr darüber nachdenken und die Sache abhaken, sagte ich mir und genoss den Tee. Das würde bestimmt nicht mehr vorkommen. Denkste. Am nächsten Tag ging ich schön einkaufen, Schnittchen, Joghurt, Salami und so weiter. Frachtete das ganze in mein Fach, Verwechslungen sind damit eigentlich ausgeschlossen und sah meinen Sachen beim Verschwinden zu. Schon am nächsten Abend, als es wieder Zeit zu spachteln war, fehlte doch glatt mein heißgeliebter Schokopudding von Dr. Oetker. Damit waren 50Cent futsch, bitte das ist nicht wirklich großes Geld, aber wenn ich einen Abend kein Joghurt bekomme und statt dessen nur an meinen Schnitten zehre, werde ich wirklich böse. Genau in diesem Moment, als die Kühlschranktür offen stand und das Licht mein aschpfahles Gesicht beleuchtete, kam der Hauptakteuer aus seinem Zimmer.
„Hm, Schokopudding. So einen guten hatte ich lange nicht mehr.“ sagte er schmunzelnd, warf die leere Packung (von Dr. Oetker) weg und wollte wieder in sein Zimmer gehen.
„Hallo Earl. Du hast nicht zufällig mein Schokopudding gesehen, den ich mir gestern erst gekauft hatte?“ fragte ich so unwissend wie möglich.
„Schokopudding? Nein, warum sollte ich, hatte doch grade selber einen. Aber wenn du willst, an dem Deckel klebt noch ein wenig.“ sagte er unschuldig.
Du scheinheiliger Arsch, dachte ich mir, so etwas Verlogenes und freches ist mir lange nicht mehr unter die Augen getreten. Aber nicht mit mir. Ich ging zu dem Papierkorb, griff zielsicher herein und holte die Puddingschachtel wieder heraus. Zu meinem Glück war der Deckel auf die Verpackung gedrückt. Ich nahm also den Deckel ab und leckte den Rest Pudding mit meiner Zunge ab. Earls Kinnlade fiel fast auf dem Boden. Er konnte mich nur noch aus fassungslosen Augen anstarren und genau dieser Blick, genau dieser Blick war es wert, den Rest Pudding abzuschlecken. Ich bedankte mich übertrieben freundlich für den Tipp und ging in mein Zimmer. Dort machte ich erstmal eine Gewinnerpose, die aber nicht von langer Dauer war.
Es schien einfach alles weniger zu werden, mein Kandiszucker, meine Kellogs und selbst die Milch. Ich achtete nun penibel auf jedes Gewicht und jeden Füllstand, dass muss zwar verrückt klingen, aber wir befanden uns schließlich im Krieg und verpatzte Chancen können schnell das Aus bedeuten. Natürlich reagierte Earl auf Ansprache der fehlenden Sachen völlig unschuldig. Um ganz sicher zu gehen, kaufte ich extra leckere Kekse und „vergaß“ sie auf dem Küchtisch. Auch sie waren bald weg, also bestätigte sich mein lang gehegter Verdacht. Nun war es an der Zeit zurückzuschlagen. Leider war es nicht so einfach, seine Sachen zu nehmen, denn er hatte nur wenige, eklige und ich hatte auch das Gefühl, dass er keine bräuchte, denn ich fütterte ihn ja durch.
Eines Tages musste ich wieder einkaufen. Also suchte ich mir wieder einen besonders leckeren Schokopudding aus, ging damit nach Hause und präparierte diesen mit einem harmlosen E-coli-Bakterienstamm aus unserem Labor. Dann malte ich an das gute Stück ein kleines Achtungszeichen, stellte den Becher in den Kühlschrank und wartete geduldig auf den nächsten Abend.
Die Szenerie wiederholte sich. Ich stand vor dem Kühlschrank und suchte nicht wirklich mein verloren geglaubten Schokopudding, als sich seine Zimmertür öffnete. Er kam raus, mit einem fetten Grinsen im Gesicht, hielt den leeren Schokopudding in der Hand und sagte einen freundlichen „Guten Abend“.