Narrseval in Bresel. Gerhard Gemke

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Narrseval in Bresel - Gerhard Gemke

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„Brelau!“ Der andere.

       Die Tür zum Remter flog sperrangelweit auf.

       „Geile Eier, eh!“

       Baron Eduard zuckte wie unter einem Stromschlag. „Guten Morgen“, murmelte er.

       Die Kukies rannten an ihm vorbei, schlitterten den langen Esstisch entlang und rissen die Warmhaltehauben von den Frühstückseiern, die Köchin Emma sorgfältig in einer Reihe ausgerichtet hatte.

       „Iiiieh! Braune Eier!“, krähte der eine.

       „Ich mag nur weiße!“ Der andere.

       Baron Eduard mochte sich gar nicht vorstellen, nach welchen Merkmalen die zwei dann ihre Mitmenschen sortierten.

       Nachdem sämtliche Warmhaltehauben herunter gerissen waren, hatten die Kukies zwei weiße Hühnerprodukte entdeckt und fielen schmatzend darüber her. Immerhin entfernten sie vorher die Schale. Dass jemand anderes nachher den Fußboden wischen würde, war selbstverständlich. Emma, die Köchin und Perle auf Knittelstein, stand neben Ritter Adalbert, den sie in aller Frühe so gut sie es vermochte wieder zusammengesetzt hatte. Mordlust in den Augen.

       Alarmstufe zwei wurde erreicht, als Knut sich eine Semmelhälfte wie ein Handy ans linke Ohr presste und „Ja, Humbert, wir sind hi-hier!“ hinein schrie. Dann schnappte er sich das nougatpampebeschmierte Brot seines Bruders. „Oh, was ist denn das? Iiiieh!“ Und warf das Handy quer durch den Remter.

       „Voll in den Brunnen rein!“, krähte der Bruder und konnte sich kaum auf dem Stuhl halten. „Da hat die ihr Handy reingeschmissen, die …“

       Die Tür ging auf und die erschien. Einen Wimpernschlag später saßen die Kukies grinsend aber regungslos hinter ihren Tellern. Knapp vor Emmas Alarmstufe drei.

       Noch knapper wurde es, als Adelgunde die restlichen fünf Eier betrachtete und fragte: „Gibt's keine weißen?“

       Tür auf. Burgherrin Elvira erschien, gefolgt von einem graugesichtigen unrasierten Humbert, der offensichtlich eine schlaflose Nacht auf dem Sofa im Kaminzimmer hinter sich hatte. Und Jo mit gequältem Gesicht.

       „Kaffee oder Tee?“ Emma war einfach schon zu lange Köchin in diesem Gemäuer, als dass man ihr die Alarmstufen angemerkt hätte. Doch als Kurt anstelle seines Vaters „Ein Bier!“ bestellte, klang Emmas „Guten Appetit!“ nach letzter Beherrschung. Nach allerletzter.

       Immerhin breitete sich jetzt eine mampfende Ruhe am Tisch aus. Emma blickte starr in das Visier des Blechritters. Gut, dass Adalbert sein Schwert mit beiden Fäusten umklammert hielt, sonst hätte Emma es ihm womöglich entrissen, als sie Adelgundes angeekeltes Gesicht sah. Beim Biss ins Frühstücksei.

       Exakt gleichzeitig krähte ein Hahn.

       Alle hielten mitten in der Bewegung inne und starrten Adelgunde an. Außer Humbert, dessen Hirn wohl noch in Breselbräu schwamm. Er hatte gerade ungefähr so sorgfältig wie seine Söhne das Ei gepellt, schob es sich zur Hälfte zwischen die Zähne und biss zu.

       Wieder ein heiseres Kikeriki!

       Den Kukies blieben die Münder offen stehen, sodass jeder den Zustand ihrer halbzerkauten Semmeln begutachten konnte. Nur Humbert mampfte weiter.

       Abermals krähte der Hahn. Kikeriki!

       Humbert hörte auf zu kauen. Schluckte, würgte. Und hustete in beide Hände.

       Und noch mal. Kikeriki!

       Jo war aufgesprungen und um den Tisch gelaufen. Jetzt stand sie neben Adelgunde und griff wortlos in ihre Handtasche.

       Kikeriki!

       Sie drückte auf das grüne Hörersymbol und reichte Adelgunde das Handy.

       „Ich brauche es dringend zurück!“, bellte eine Stimme für alle hörbar aus dem Telefon. Adelgunde starrte das kleine flache Teil an.

       „Eggbert?“

       „Ja, wer denn sonst?“

       Jo nahm Adelgundes Hand und dirigierte sie an ihr Ohr.

       „Ja, Eggbert, aber … natürlich kriegst du es zurück … in Augsburg … übermorgen … jajaja … ich schreibe alle Anrufe auf … versprochen … nein … sag bloß … deine Gattin Sibylle … ja, viele Grüße, richte ich aus, falls sie anruft … verspro... aufgelegt.“

       Das weitere Frühstück verlief ohne allzu arge Zwischenfälle. Weitere Brandkasper-Experimente der Kukies verhinderte Elvira mit unbeweglicher Miene, und Köchin Emma schaffte es, die Möchtegernkasper zum Remterfegen zu verdonnern. Wie, das blieb allen ein Rätsel. Möglicherweise hing es mit Emmas selbstgebackenen Lebkuchennasen zusammen, die sie später mit Zuckerguss bestreichen und dabei nach Herzenslust naschen durften. Emma hob nur vielsagend die Schultern, als sie Jo später drei Nasen ins Turmzimmer hinauf brachte.

       „Der Brunneneimer“, sagte Jo, als sie neben Emma am Fenster stand und über die noch winterkahlen Wipfel des Breselwalds hinunter auf das Städtchen schaute, wo sich die Mauern, Dachgiebel und Kirchtürme von Bresel in die Morgenluft reckten. „Erinnert der dich auch an eine bestimmte Person?“

       „Das schreckliche Fräulein Sibylle von Oelmütz, deine alte Lehrerin.“ Emma nickte. „Wie könnte ich die vergessen.“

       „Hat die eigentlich diesen Kerl geheiratet? Eggbert Kniest?“

       Emma schwieg lange. Dann atmete sie tief. „Die ist weg.“

       „Ja“, sagte Jo.

       „Zum Glück!“

       Das nächste Hahnenkrähen ertönte beim Mittagessen, das weitaus ruhiger begann als das unvergessliche Frühstück. Rehrücken und Käseknödel. Humbert hatte sich inzwischen geduscht und rasiert und fühlte sich offenbar einem neuen Angriff auf seine Leber gewachsen. Trotz Adelgundes warnenden Blicken schenkte er sich ein Glas Rotwein ein und erstickte fast beim ersten Schluck. Was aber auch an dem erwähnten Hahnenschrei liegen konnte.

       Kikeriki!

      

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