REMEMBER HIS STORY. Celine Ziegler
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„Als Enkelin des Chefs ist das ganz schön unmanierlich“, ertönt plötzlich eine dunkle Stimme hinter mir und mir fällt ein Veilchen aus der Hand, weil ich mich so erschrecke.
Ich drehe mich um und blicke unmittelbar zu Nathan, der an der Hauswand gelehnt zu mir sieht. „N-Nathan“, stelle ich keuchend fest und stelle mich augenblicklich auf. „Was machst du denn hier?“
Er stößt sich mit den Händen in den Hosentaschen von der Wand ab und lässt sich auf eine Bank daneben fallen. „Ich soll dir helfen.“
„Okay … Und wirst du mir helfen?“
„Nein. Bis auf die Tatsache, dass du tatsächlich irgendwelche beschissenen Blumen aus dem Garten klaust, machst du das eigentlich gut. Ich werde hier sitzen und dir zugucken.“
„Ich, äh, ich habe sie nicht geklaut“, versuche ich, mich rauszureden, weil ich Angst bekomme, er könnte es Grandpa sagen und Grandpa ist wirklich sehr empfindlich, was seine Blumen angeht. Selbst vor mir würde er keinen Halt machen, mir eine Predigt zu halten oder mir eine Strafarbeit reinzudrücken.
Nathan hebt eine Braue. „Was hast du denn stattdessen mit den jetzt abgerissenen Blumen gemacht?“
Ich sehe zu ihnen, dann wieder zu ihm. „Ich habe sie mir … genommen.“
„Okay, du hast sie dir genommen. Zum Glück hast du sie dir nur genommen und nicht geklaut.“
Und schon geht er mir wieder mit seinen sarkastischen Sprüchen auf die Nerven. Keine zwei Minuten ist er hier, nimmt er mich erneut auf den Arm. Unerträglich in jedem Aspekt. „Solltest du mir nicht eigentlich helfen und aufhören, doofe Sprüche zu machen?“, meckere ich jetzt und nehme mir den Besen vom Boden.
Er zuckt nur gleichgültig mit einer Schulter. „Wie gesagt, du machst das auch gut ohne meine Hilfe. Du bist ein Naturtalent.“
Verärgert beginne ich wieder, mit dem Besen die Blumen vom Schnee zu befreien. „Übrigens habe ich gestern auch nur wenig Ärger von meinen Eltern bekommen, danke der Nachfrage.“
„Was interessiert es mich, was du mit deinen Eltern hast?“
„Es ist deine Schuld, dass ich zu spät nach Hause gekommen bin, nach Alkohol gerochen habe und mein Handy kaputt gegangen ist.“
„Nein, das ist ganz bestimmt nicht meine Schuld“, lacht Nathan auf. „Du hättest ja nicht mitkommen müssen. Und wenn du dich nicht so kindisch verhalten hättest, wäre dir auch die Scheiße mit dem Wodka erspart geblieben.“
Empört sehe ich ihn an und stampfe mit dem Besen auf. „Kindisch? Du scheinst kindisch mit erwachsen zu verwechseln. Es war kindisch, wie sich deine seltsamen Freunde verhalten haben, und erwachsen, dass ich diese Rauschmittel abgelehnt habe.“
„Rauschmittel“, amüsiert sich Nathan. „Du hörst dich an wie eine verdammte Nonne. Was ist nur los mit dir?“
„Was ist nur los mit dir? Du sitzt hier rum und beleidigst mich! Ich arbeite wenigstens, im Gegensatz zu dir.“
„Stell dich nicht so an. Ich arbeite hier schon länger als du, ein wenig Arbeit tut dir mal gut. Jetzt bekommst du eben nicht mehr den Arsch von deinen Eltern gepudert.“
„Ich bekomme den Arsch von meinen Eltern nicht gepudert“, verteidige ich mich und muss schon wieder aufhören, mit dem Besen die Blumen zu befreien, denn sonst zerquetsche ich sie noch, weil ich durch Nathan so geladen bin. „Du kennst mich doch gar nicht, also behaupte nicht so etwas!“
Wieder sieht Nathan mich ungläubig an. „Also bekommst du von deinen Eltern nicht alles, was du dir erwünschst?“
Sofort schießen mir tausend Dinge in den Kopf, die ich in meinem ganzen Leben von meinen Eltern bekommen habe, und muss Nathan gedanklich recht geben. Ich habe immer das bekommen, was ich wollte, und musste nie für etwas arbeiten. Zumindest nicht körperlich. Sie hatten Erwartungen an mich, wie gute Noten und den Violinen- und Klavierunterricht, aber sonst hatte ich alles, was mein Kinderherz begehrte. Doch natürlich würde ich das nie vor Nathan zugeben. Nur weil meine Eltern mehr Geld haben und ich nicht betteln musste, um das zu bekommen, was ich wollte, macht mich das nicht zu einem minderwertigeren Menschen.
„Verzogen nenne ich so etwas“, gibt Nathan noch hinzu und legt desinteressiert seinen Kopf in den Nacken, lässt ein paar Schneeflocken in sein Gesicht fallen.
„Verzogen?“, frage ich empört. „Nur weil deine Eltern anscheinend keine Ahnung hatten, wie man ein Kind erzieht, heißt das noch lange nicht, dass ich verzogen bin!“
Nathan sieht mich wieder an und schweigt für einen kurzen Moment. Seine Augen wirken mit einem Mal so leer, da ist keine Belustigung mehr, kein Sarkasmus, kein Zorn, nichts. „Okay, ich gebe auf“, sagt er schließlich und sein rechter Mundwinkel hebt sich ein wenig, jedoch bleiben seine Augen leer. „Meine Erziehung wurde vollkommen verkackt und du bist verzogen. Einigen wir uns darauf.“
Zweifelnd sehe ich ihn mit gerunzelter Stirn an. „Hör auf zu behaupten, ich sei verzogen, das bin ich nicht. Ich kann auch ein Leben ohne meine Eltern leben.“
„Ach ja? Welches denn?“ Sein plötzliches Interesse erschreckt mich fast.
„Zum Beispiel werde ich bald auf eine Musikhochschule gehen“, sage ich stolz und fange wieder an, mit dem Besen die Blumen freizuschippen. „In ein paar Wochen …“
„Ja, ist mir eigentlich scheißegal“, unterbricht Nathan mich und steht stöhnend auf. „Ich musste nur ein wenig Zeit schinden, damit der Chef denkt, ich hätte dir wirklich geholfen.“ Er geht zur Tür. „Viel Spaß noch.“ Und kurz bevor er durch die Tür verschwindet, dreht er sich noch mal um. „Und die Sache mit den scheiß Blumen ist noch nicht vergessen … Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich dich nicht verraten werde.“
„Also notier dir bitte den 3. Februar“, sagt Misses Baskin, während ich meine Violine in meinem Koffer verstaue. „Du darfst den Vorspieltermin nicht verpassen. Geh am besten in der Woche nicht zu viel raus, damit du nicht krank wirst, das ist wirklich sehr, sehr wichtig.“
Eine weitere vierstündige Probe an einem weiteren Samstagabend mit weiteren Reden von Misses Baskin darüber, wie wichtig das Vorspiel ist und wie absolut grausam ich meine Sonate spiele, geht vorüber. Diese Probe war ich sogar noch schlechter als die ganze Woche. Dadurch, dass Mama und Misses Baskin mir noch mehr Druck mit dem Vorspiel in Birmingham machen, scheine ich umso unkonzentrierter.
Und dann ist da natürlich noch Nathan. Egal, wie wenig ich an ihn denken mag, tue ich es trotzdem. Die Art, wie er mit mir umgeht, empört mich mehr als genug und dass er gleichzeitig noch so viele Geheimnisse hat, die ich gerne lüften würde, nimmt mir einfach jegliche Konzentration. Ich weiß nicht, wieso, aber er ist interessant, auch wenn er stets aufmüpfig und gemein ist. Nur ob er auf eine positive Art interessant ist, würde ich nicht behaupten. Er ist interessant als Mensch an sich, wieso er so ist, wie er nun mal ist, ein Mysterium, das man gerne hinterfragen und näher betrachten würde, doch mehr nicht. Ich bin mir beinahe sicher, dass er diese Art schlechter Mensch ist, die kein Gewissen und jegliche Humanität schon vor Jahren abgelegt hat. Zumindest verhält er sich so. Ich sollte mich nicht mit so jemanden auseinandersetzen, doch irgendwas lässt meine Gedanken doch immer wieder zu ihm schweifen.
„Und sei morgen früh