Morphodit. Dietrich Novak

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Morphodit - Dietrich Novak Valerie Voss, LKA Berlin

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benutzt. Alles, was Frauenkleider trug, aber eigentlich ein Mann war, nannte man Transvestit oder auch Fummeltanten. Bei Insidern war die Abgrenzung schon deutlicher. Der Travestiekünstler legte spätestens in der Garderobe seine Verkleidung ab, während der Transvestit auch im Alltagsleben, oder nur aus sexuellen Gründen, in die Kleider des anderen Geschlechts schlüpfte. Während meiner beruflichen Laufbahn habe ich alle Schattierungen kennengelernt. Da gab es bisexuelle und sogar verheiratete Männer, die nur in der Show als Frau auftraten. Früher lebten wohl die meisten auch im Alltag als Frau. Heute ist es eher umgekehrt, seit es die Drag Queens gibt.«

      »Haben Sie auch im Chez Nous gearbeitet, das es ja leider nicht mehr gibt?«

      »Natürlich, sogar die meiste Zeit. Als ich nach Berlin kam, habe ich dort vorgesungen und wurde engagiert. Ich habe sie alle kennengelernt. Ob sie nun Marcel André, der übrigens wie ich Detlev hieß, Cheri Hell, Rita Jané, Cristina, Gloria Fox, Dany Lamée, Orél oder Everest hießen.«

      »Und waren die alle wie Sie? Ich meine, mit echtem Dekolleté?«

      »Sie wollen es aber ganz genau wissen, junger Mann, oder? Ja, viele. Wie es unten herum aussah, wage ich nicht zu beurteilen, aber ich glaube, dass wir uns auch in diesem Punkt glichen. Doch es gab auch wenige, die die Operation schon hinter sich hatten, wie seinerzeit Coccinelle, die wohl als erste Transsexuelle Berühmtheit erlangte und sogar dreimal geheiratet hat. Der Name kommt übrigens aus dem Französischen und bedeutet Marienkäfer und nicht etwa Beuteltasche, wie man ihn heute verwendet. Wie im Falle der Madame Pompadour. Und dann gab es auch welche, die erst darauf hinarbeiteten, wie die Popsängerin, die zuvor auch im Chez Nous auftrat. Ich meine die Muse des spanischen Malers.«

      »Picasso?«

      »Nein, der andere. Sie hat dann später abgestritten, einmal ein Mann gewesen zu sein. Wahrscheinlich, um ihre Karriere nicht zu gefährden. Andere taten es umgekehrt wie Grace Jones, um ihrer Karriere den gewissen Kick zu geben. Einer Pop Diva der heutigen Zeit – Lady Gaga – wird es nur nachgesagt. Sie selbst bestreitet es vehement. Auswüchse des Showbusiness, kann ich nur sagen, die am wahren Problem vorbeigehen.«

      »Haben Sie noch andere Transsexuelle kennengelernt, die ihr Ziel bis ans Ende verfolgt haben?«

      »Sie meinen den sogenannten „goldenen Schnitt“? Ja, da gab es einige. Zu meinem Friseur kamen immer welche. Dem armen Kerl haben sie furchtbar Unrecht getan, indem sie ihn nicht an sich heranließen. Sie sahen in ihm den typischen Schwulen. Dabei spielte er selbst heimlich mit dem Gedanken, eine Geschlechtsumwandlung vornehmen zu lassen, wie mir seine Kollegin anvertraut hat. Wenn Mimi sich neue Brüste machen ließ, durfte nur die Kollegin sie im Hinterraum sehen. Mimi war ein ziemliches Mannweib, wo die zugeschlagen hat, wuchs kein Gras mehr. Jacinta hingegen sah man den ehemaligen Mann überhaupt nicht an. Auch Lola, der Dritten im Bunde, nicht. Nur wenn sie hustete, flogen die Köpfe der Kundinnen herum, weil es sich wie bei einem Bauarbeiter anhörte. Alle drei arbeiteten in Bars auf der Potsdamer Straße. Dann gab es noch ein blondes, engelgleiches Wesen, das alle nur Gracia nannten – in Anlehnung an Gracia Patricia. Sie hatte tatsächlich etwas Vornehmes, fast Adliges. Mimi hatte keine Hemmungen, eine von ihnen in die Pfanne zu hauen. So habe ich mal erlebt, wie sie eine junge Schwarzhaarige, die ein wenig an Schneewittchen erinnerte, an der Kasse laut mit „Herr Schröder“ ansprach, weil sie sich über sie geärgert hatte. Neid und Missgunst gibt es eben überall. Das war im Chez Nous nicht anders. Aber im Großen und Ganzen bin ich mit allen gut ausgekommen.«

      »Wie schaffen die Travestiekünstler es, dass es im Schritt so flach aussieht?«

      »Mit Trick 17 – Klebeband. Einige bringen es auch fertig, Penis und Hodensack in der Bauchhöhle verschwinden zu lassen. Nicht ganz ungefährlich, wenn Sie mich fragen.«

      »Wie konnte es Ihrer Meinung nach dazu kommen, dass es berühmte Clubs wie das Chez Nous heute nicht mehr gibt? Zumindest in der Hauptstadt nicht.«

      »Ich denke, das fing in den Achtzigern an, als alles in die Wühlmäuse zu Mary und Gordy rannte. Zeitgleich gab es eine Truppe aus Paris, die in den Stachelschweinen im Europacenter auftrat. Im Filmkunst 66 traten nachts die „Technicolor Dreams“ auf und die „Preddy Show Company“ war ein Geheimtipp. Auf einmal gab es überall Travestieshows. Selbst auf privaten Feiern war das der Hit. Die Show in der Wohnstube. Später gab es sogar eine Off-Theater-Gruppe, bei der alle Frauenrollen von Männern gespielt wurden, wie beim traditionellen japanischen Nō-Theater. „Die Spreedosen“, hießen die, glaube ich. Sie und andere sah man dann auch in den täglichen Talkshows. Danach kamen die O-Ton-Piraten, deren Theater es heute noch gibt. Ansonsten Playbackshows allerorten. Während wir immer live gesungen haben.«

      »Mary und Gordy auch. Verzeihung, wenn ich widerspreche.«

      »Ja, zum Teil. Gemeinsam hatten wir den Spaß an der Verwandlung. Apropos, in der Marburger Straße gab es ein paar Häuser weiter eine Zeitlang einen sogenannten Transformationsladen. Da konnten sich Männer unter der Anleitung von Fachpersonal in Frauen verwandeln. Die sündhaft teure Ausstattung konnte man dann gleich erwerben. Der Laden konnte sich aber nicht halten. Ich meine, Vorbilder hatten wir schon immer. Everest sang Lieder von Marlene und stylte sich auch so. Orél die Lieder von Zarah, bis Cristina kam, die der Leander auch äußerlich glich. In der Glanzzeit gaben sich Prominente die Klinke in die Hand. In der Lützower Lampe waren sogar Liza Minelli und David Bowie zu Gast. Ach, das ist alles schon so lange her.«

      »Fehlt Ihnen die Bühne manchmal?«

      »Nein, ich könnte ja noch auftreten, wenn ich wollte. Evelyn Künneke, Helen Vita und Brigitte Mira waren wesentlich älter, als sie als „Drei alte Schachteln in der Bar“ im Spiegelzelt aufgetreten sind. Jetzt sind alle drei schon tot. Und es gibt keinen Ersatz. Ich war fast zwanzig Jahre mit dem Chez Nous auf Europatournee. Ab 1995 hatte ich genug und trat nur noch vereinzelt auf. 2005 war dann endgültig Schluss für mich. Drei Jahre später schloss das Chez Nous seine Pforten für immer. Täusche ich mich, oder haben Sie auch Ambitionen in meine Richtung?«

      Heiko lachte. »Nein, überhaupt nicht. Ich mag lediglich die Kunst der Travestie. Manchmal sind Männer sogar die schöneren Frauen. Mein Freund und ich sehen uns gern die Shows an. Bei uns in Wiesbaden hat gelegentlich mal eine Truppe gastiert. Aber an so etwas wie das Chez Nous wäre nicht zu denken.«

      »Bringen Sie doch Ihren Freund mal mit. Ich habe noch diverse alte Filme von meinen Auftritten.«

      »Herzlich gern, ich werde es ihm vorschlagen. Eine Bitte hätte ich noch: Ich bräuchte ein aktuelles Foto von Jana. Mein Kollege will heute die Bars abklappern und fragen, ob sie dort in Begleitung gesehen wurde.«

      »Ja, das können Sie haben, wenn ich es wiederbekomme.«

      »Ich nehme es nicht mit, sondern fotografiere es nur ab.«

      »Ach so, sehr rücksichtsvoll übrigens, dass Sie nicht das Foto der toten Jana benutzen.«

      »Das machen wir nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt.«

      Delia kramte in einer Schublade und brachte dann mit Tränen in den Augen einige Fotos zum Vorschein.

      »Entschuldigung, ich kann es immer noch nicht fassen, dass es sie nicht mehr gibt. Hier, das ist relativ neu, beinahe ein Starfoto. Das wird Ihrem Kollegen hilfreich sein. Ist er auch so … hübsch wie Sie?«

      »Er schlägt mich um Längen, ist aber ein reiner Hetero«, sagte Heiko, der die Anspielung genau verstanden hatte. »Seine Frau ist die Kollegin, die mit mir hier war.«

      »Auch so eine Schönheit. Arbeiten bei der Kripo nur schöne Menschen?«

      »Auf

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