Zeit ist nicht das Problem. Jens Wollmerath

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Zeit ist nicht das Problem - Jens Wollmerath

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sind zwischen 25 und 35 Jahre alt und sind neugierig auf eine neue Lebenserfahrung? Dann melden Sie sich bei der Universität Halsterberg unter der angegebenen Rufnummer.

      Vorsichtig nahm Karl das Blatt wieder hoch und betrachtete den Text noch eine Weile.

       Das ist ja tatsächlich die Zeitung von dieser Woche, ganz aktuell.

      „… mir hat es auch sehr geholfen, erst mal eine Zeit lang wegzufahren.“

      Steve dachte noch immer über einen guten Plan für Karls Zukunft nach.

      „Hier“, Karl streckte ihm die Zeitungsseite entgegen, „sieh mal die erste Anzeige!“

      Steve nahm das Papier und las.

      „Hmm, klingt komisch. Wahrscheinlich irgendwas mit Medikamenten oder so. Da wäre ich vorsichtig!“

      „Ja aber vielleicht ist es ja auch eine gute Chance,…“

      „Dann würden sie doch schreiben, worum es geht. Glaub mir, das ist ’ne krumme Sache. Ich hab da Erfahrung. Als ich meine Ausbildung fertig hatte, da hab ich ’ne Anzeige gelesen für…“

      „Ja, ich weiß.“ Karl kannte die Geschichte schon. „Da wurde eine Stelle für einen Koch ausgeschrieben und dabei ging es um die Bewirtschaftung einer Pommesbude.“

      „Und genauso klingt das hier auch. ‚Neue Lebenserfahrung’! Die knallen dich mit Pillen voll und gucken zu, wie du Verfolgungswahn bekommst, um den dann mit anderen Tabletten zu stoppen!“

      Karl musste lachen.

      „Du und deine Fantasie. Aber wahrscheinlich hast du Recht.“

      Der Rest des Nachmittags verging schnell. Bis zum Abend hatten Karl und Steve den Raum des Cafés vollständig neu gestrichen.

       Dienstag, 12. Februar

       Heute war ein anstrengender Tag. Erst beim Arbeitsamt gewesen, totaler Reinfall! Danach Steve beim Anstreichen geholfen. Sein Café sieht wirklich vielversprechend aus. War ein bisschen neidisch auf ihn, immerhin hat er jetzt eine Perspektive. Hätte nie gedacht, dass Streichen so mühsam ist, meine Arme tun weh und meine Finger sind voller Blasen. Habe auf dem Heimweg Susanne getroffen. Sie sah müde und gestresst aus. Der Job macht sie fertig. Darum beneide ich sie nicht. Werde das Gefühl nicht los, als ob ich mich selbst beobachte. Es kommt mir so vor, als würde ich mein Leben aus der Dritten Person betrachten. Das Alleinsein tut mir nicht gut.

       Ratlos vor meinem Plattenregal gestanden. Sollte ich einem bekannten britischen Bestseller-Autor glauben, so müsste ich auch für diese Situation die fünf besten Songs im Ärmel haben (oder zumindest auf einer Liste). Nein, mir fiel nichts ein, habe mehr oder weniger achtlos in die Reihe gegriffen und hielt „Who’s next“ in den Händen. Was will mir das Cover sagen? Vier Jungs haben gegen einen Monolithen gepisst und gehen zurück ins Studio? Und das soll Teil des ambitioniertesten Projektes sein, mit dem sich Pete Townshend jemals beschäftigt hat. Irgendwas wollte ich unbedingt noch aufschreiben, kann mich jetzt aber nicht mehr erinnern…

       5

      Karl wachte mitten in der Nacht auf. Sein Kopf dröhnte und seine Arme hingen an ihm wie Fremdkörper. Mühsam erhob er sich von seinem Bett und wankte in die Kü­che. Er öffnete die Kühlschranktür und sah seine Befürchtungen bestätigt: Die Ablagefächer boten das Bild eines verlassenen Iglus. In der Tür fand Karl noch eine angebrochene Tüte Milch, die er dankbar an seine Lippen setzte.

      Auf der Spüle türmte sich Geschirr, aus dem Mülleimer quoll der Abfall und über den Küchentisch waren allerlei Gegenstände und Papiere verteilt, die eindeutig nichts mit der Zubereitung von Speisen zu tun hatten.

       Alles wegen dieser dämlichen Prüfungen.

      Er setzte sich an den Tisch und schob mit dem Unterarm eine Fläche frei, um die Milchtüte abzustellen.

       Was soll ich denn bloß machen? Ich will Mama und Papa nicht um Geld bitten. Also irgendeinen dämlichen Job wirst du wohl finden, Meister Grün, oder? Wieso eigentlich Meister? Na, weil du halt der Profi des inneren Dialoges bist! Ist das nun bekloppt oder ist es Postprüfungsstress? Was will ich? Haus? Kinder? Einmal im Jahr an den Atlantik mit dem Opel-Kombi? War ja schon nett in meiner Kindheit, aber...

       Karl Grün, typischer Wohlstandsflegel der 80er! Alles haben und immer noch unzufrieden. Vor allem bloß nicht festlegen. Grenzerfahrung? Was für ein Blödsinn. Mann, alle anderen arbeiten doch auch. Persönliche Charakteristik mit vierundzwanzig Buchstaben: E n t s c h e i d u n g s u n f ä h i g k e i t. Quatsch, sind fünfundzwanzig mit Umlaut. Ich muss was tun.

      Schließlich stand er auf und ging zurück in sein Schlaf-zimmer. Er griff zum Telefon, das auf dem Fußboden neben dem Bett stand. Nachdem er eine kurze Nummer eingetippt hatte und den Hörer an sein Ohr hielt, sah er sich in seinem Zimmer um. An der Wand gegenüber stand ein Holzregal, das er gemeinsam mit seinem Vater gebaut hatte. Es enthielt die mächtige Sammlung seiner Schallplatten und Bücher. Es gab…

      „Städtische Klinik, Notaufnahme!“

      Die Frauenstimme am anderen Ende der Leitung klang müde und genervt.

      „Hallo Susanne, ich bin’s, Karl.“

      „Na, das ist ja ’ne Überraschung. Kannst du nicht schlafen?“

      „Ich brauch einen kleinen Denkanstoß, meinst du, du kannst mir helfen?“

      „Auf keinen Fall hier über die Notrufnummer! Komm doch vorbei, bis jetzt ist es ziemlich entspannt.“

      „Gut, mach ich. Bis gleich!

      Karl legte auf. Hastig zog er sich an und verließ seine Wohnung. Draußen war es eisig, ein praller Vollmond beleuchtete die Stadt. Karl lief die Hauptstraße entlang.

       Na, dann auf du lonesome Cowboy, ist bloß ne halbe Stunde zu Fuß!

      An der Ecke des Kaufhauses bog er nach rechts ab und beschleunigte seinen Schritt. Sein Weg führte Karl an Dönerbuden, Second-Hand-Läden und Lebensmittelgeschäften vorbei. Tagsüber ging es hier sehr lebhaft zu, jetzt aber war von dem Gemisch aus Sprachen und Gerüchen nichts außer einem Hauch von Müll geblieben.

      „Kannst du nicht aufpassen, Arschloch?!“

      Karl wäre fast über den Schlafsack gefallen, der vor der Eingangstür einer Bank wie eine Wurst auf den Gehweg hinausragte. Aus dem Kopfende des Sacks ragte ein Männergesicht, das ihn mit finsteren Augen ansah.

      „Tschuldigung“, stotterte Karl und machte sich davon. Der Schlafsackmensch rollte sich dicht an die Tür des Geldinstitutes, das auf einem Plakat im Fenster Kredite für „sagenhafte 6,5% Zinsen“ anbot.

      Nach knapp dreißig Minuten erreichte Karl das Krankenhaus. Er überquerte die Einfahrt zur Notaufnahme und presste sich durch die Glastür. Hinter einem Empfangstisch saß eine Frau mit langen braunen Haaren. Ihre Augen leuchteten wie die buchstäblichen Bergseen und ihre Nase war an der Spitze leicht nach oben gebogen. Ihr Mund zog sich wie ein

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