Zeit ist nicht das Problem. Jens Wollmerath

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Zeit ist nicht das Problem - Jens Wollmerath

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als habe sich der Schöpfer im letzten Moment doch um etwas Harmonie bemüht. Abgesehen von ihrer Frisur hätte man sie für Karls Zwillingsschwester halten können.

      „Bin aber schon zwei Jahre älter als er“, hatte sie immer gesagt, wenn sie als Kinder auf Verwandtenbesuch gewesen waren. Jetzt war sie einunddreißig und legte keinen Wert mehr auf den Altersunterschied.

      „Hi, Susanne!“

      Karl stützte sich mit beiden Händen auf die Theke.

      „Guten Morgen, Bruderherz.“

      Der Strich öffneten sich zu einem Lächeln.

      „Willst du hier renovieren?“

      Sie deutete auf Karls Hose, die mit Farbflecken bedeckt war.

      „Oh nein!“

      Karl blickte verlegen an sich herunter.

      „Muss wohl im Halbschlaf daneben gegriffen haben.“

      „Womit kann ich dir mitten in der Nacht helfen?“

      Susanne betrachtete Karl, das Lächeln verwandelte sich in ein Grinsen.

      „Hast du denn jetzt ein bisschen Zeit?“

      „Genau so lange, bis das Telefon klingelt oder einer von diesen schicken rot-weißen Wagen da draußen vorfährt. Im Moment ist alles ruhig.“

      Karl setzte sich zu seiner Schwester hinter den Empfangstisch.

      „Ach, ich weiß nicht! Ich kann nicht mehr schlafen. Mache mir so einen Kopf wegen der Zukunft!“

      „Wieso das? Du bist doch erfolgreicher Akademiker.“

      „Nützt aber nichts. Wer braucht schon einen Philosophen. Schwesterchen, ich muss Geld verdienen. Fürs Rumgrübeln bezahlt mich keiner. Hast du irgendeine Idee, was ich tun kann?“

      Susanne zuckte mit den Achseln.

      „Vielleicht...“

      „Sag jetzt nicht Medien! Steve hat auch schon davon gequatscht. Ich bin kein Redakteur, kein Regisseur oder sonst was. Alles was ich kann, ist Sekundärliteratur über Platon aus der Bibliothek nach Hause zu tragen und in vier Wochen wieder zurückzubringen. Theoretiker nennt man so was. Was für eine Scheißwelt. Dabei könnte alles so einfach sein. Wenn ich an Steve denke. Der macht einfach seinen Laden auf und schwupps...“

      „He, jetzt hör aber auf. Steve hat immerhin jahrelang geschuftet, um das Startkapital zusammenzubekommen.“

      „Aber ich habe doch auch…“

      „Ja, ich weiß, aber zwischen geistiger und praktischer Arbeit ist nun mal ein himmelweiter Unterschied. Du musst halt einen Weg finden, dein Potenzial irgendwie zu Geld zu machen! Außerdem weiß ja kein Mensch, ob Steve jemals einen einzigen Kaffee verkaufen wird.“

      „Na, du hilfst mir ja prima!“

      In diesem Moment ertönte ein Martinshorn, das von der Hauptstraße herauf rasch näher kam. Kurz darauf hielt ein Krankenwagen vor dem Eingang. Zwei Sanitäter sprangen heraus, zerrten aus der Klapptür eine Trage, die sie Bruchteile von Sekunden später auf einem Rollgestell am Empfangstisch vorbei in den Vorraum der Notaufnahme schoben.

      „Verdacht auf Myokardinfarkt; Reanimation bei Kammerflimmern!“ die Stimme des Sanitäters überschlug sich fast, obwohl er nicht einmal laut sprach.

      Der Mann auf der Trage stöhnte schwach und überließ seinen Körper dem Kampf.

      Susanne federte hoch und griff zum Telefonhörer.

      „Wir brauchen sofort jemanden auf der zwo sieben!“

      Die Trage wurde in ein Zimmer gerollt, in dem auch Susanne und der herbeihastende Arzt verschwanden. Kurz bevor die Tür zuschlug, steckte Karls Schwester noch einmal den Kopf heraus.

      „Mach was aus deinem verdammten Leben, und tu es bald!“ rief sie und tauchte wieder im hellen Neonlicht unter, das wenig später nur noch durch den Spalt der geschlossenen Tür hindurch schimmerte.

      Karl blieb noch einen Moment stehen, unfähig sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Außer ihm befand sich niemand mehr in der Eingangshalle. Seine Hände zitterten, als er den Verschluss seines Anoraks bis dicht unter das Kinn zog, dann stapfte er blass in die Kälte.

       Scheiße, scheiße, scheiße! Wieso muss der Typ genau heute den Herzkasper kriegen! Mann, mir ist sauschlecht. Genauso gut könnte ich da auf der Trage liegen. Der Mensch war höchstens Mitte dreißig.

       Bloß weg hier! Jetzt nur keine Panik! Schön ruhig atmen und denken: ich bin das nicht, der da geht, das sind nicht meine Füße auf dem Boden. Ich werde gesteuert.

       Ob der noch lebt? Lebe ich überhaupt? Kann kaum noch denken. Treibe durch die leblose Stadt wie ein Korken auf der Ostsee!

      Er lief an den Häuserblocks vorbei ohne rechts und links etwas wahrzunehmen. Allmählich beruhigte er sich und sein Körper gehorchte wieder seinen Gedanken. Schließlich blieb er an einer Straßenecke unter den Leuchtziffern einer Uhr an einem Juweliergeschäft stehen und blickte nach oben. Halb vier.

      Karl sah sich um.

       Hier war ich noch nie! Kenne die Gegend nicht!

      Neugierig lief er an den Fenstern der Geschäfte vorbei. Neben dem Juwelier gab es einen Tabak- und Pfeifenladen, es folgten eine Eisdiele und ein Schuster und schließlich ein Geschäft, in dessen Schaufenster es eine Reihe Schallplattenhüllen und Bücher zu sehen gab.

      „Gert’s Kramkiste“ stand in Druckbuchstaben auf dem Fenster.

      Karl blieb stehen und versuchte durch die Scheibe zu erkennen, wie das Innere dieser Fundgrube wohl aussah.

       Nanu, da ist ja einer drin!

      Im hinteren Teil des Ladens brannte Licht. Ein Mann prüfte Schallplatten aus einem Karton. Jede Platte, die er der Kiste entnahm, zog er aus der Hülle, hielt sie gegen das Lampenlicht, steckte sie wieder zurück und sortierte sie dann im Regal ein.

       Cooler Typ! Muss mir die Adresse merken und mal am Tag hierhin kommen!

      Karl kramte in seiner Jackentasche nach einem Stift. Diesmal hatte er weniger Glück als auf dem Prüfungsamt.

      Achselzuckend wandte er sich zum Gehen, als der Mann im Laden aufblickte und zum Fenster sah. Er konnte Karl nicht erkennen, wohl aber, dass dort jemand um zwanzig vor vier in der Nacht vor seinem Geschäft stand. Behutsam legte er die zuletzt entnommenen Platten beiseite und ging ohne Eile durch den Laden zur Eingangstür, die links neben dem Schaufenster auf eine Treppe hinausging. Karl blieb in der Kälte stehen, als sich der Schlüssel drehte und die Tür geöffnet wurde.

      „Guten Morgen“, sagte der Mann mit einer Stimme wie Lee Marvin, „es kann nur zwei Gründe geben, warum du zu dieser unchristlichen Zeit vor meinem Laden stehst. Entweder

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