Jamil - Zerrissene Seele. Farina de Waard
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Читать онлайн книгу Jamil - Zerrissene Seele - Farina de Waard страница 15
Angst ließ ihr Herz wieder wild pochen. Wie sollte sie den Schamanen erklären, dass er ihr Messer genutzt hatte, um sich aus dieser Welt zu bringen? Das war sicherlich ein schreckliches Omen. Sie würde das Messer vermutlich tief im Wald vergraben und die Stelle segnen müssen.
Asha huschte im schwachen Schein der Mondsichel zum Baum, näherte sich dem Mann zögerlich, ehe sie sich neben ihm in die Hocke sinken ließ und ihr blutiges Messer aufhob.
Mit Gänsehaut auf dem ganzen Körper betrachtete sie sein Gesicht, das von Schrammen und blauen Flecken übersät war. Es wirkte noch so lebendig ... aber gehörte doch einem Toten.
Sie senkte den Blick und murmelte einen kurzen Segen, um seinen Tod zu ehren.
Der Fiebernde schrak aus seinem wirren Traum und spürte, dass er nur wenige Augenblicke weggedämmert gewesen war. Er hatte keine Kraft mehr, um nach den Wunden zu tasten. Ein kühles Flüstern erfüllte seinen Kopf und sagte ihm, dass der Blutfluss versiegt war und er nicht sterben würde.
Das Mädchen kniete wieder vor ihm und ein flammender, wütender Teil von ihm wollte sie anbrüllen, weil sie ihm nicht half.
Sie sprach von Geistern und einem Segen, doch er dämmerte immer wieder kurz weg und sah dann Spiralen aus eisigem Nebel und glühenden Flammen, die sich umkreisten. Sie bezeichnete den Baum über ihm als heilig, nannte ihn Hara … was in ihrer seltsamen Sprache wohl mächtiger Schutz bedeutete.
»Es tut mir leid«, flüsterte sie am Ende ihrer kleinen Ansprache – nicht wissend, dass er noch lebte … und sie verstehen konnte.
Seine Augen waren halb geschlossen, sodass er kaum mehr als ihre weichen Lederschuhe sah, auf die das Mondlicht wilde Schatten warf. Sein Verstand sagte ihm, dass er eigentlich mit dieser dünnen Mondsichel niemals so gut hätte sehen dürfen … aber es erschien ihm seltsam unwichtig. Er dachte nur an sie.
Sein Arm lag ebenfalls in seinem Blickfeld, ganz nah an ihrem Fuß. Er sah, wie seine Finger zuckten, ohne ein richtiges Gefühl für den Arm zu haben.
»Es tut mir leid«, sagte sie erneut, diesmal etwas fester. »Ich bin mit schuld an deinem Tod, verzeih mir!«
Jetzt runzelte er die Stirn. Seine Lippen fühlten sich trocken und leblos an, aber er öffnete sie trotzdem. »Ich … ich bin nicht tot«, schaffte er zu sagen, es war kaum mehr als ein Hauchen im Wind, der das Gras um ihn sanft hin und her bewegte.
Sie schreckte zurück, doch plötzlich hielt seine Hand ihren Knöchel umfasst. Sie zog daran, fluchte und versuchte wegzukommen, dann hatte sich sein Griff gelockert und gab ihren Fuß frei.
Hastig machte sie einen Sprung von ihm weg und beobachtete argwöhnisch seinen schlaffen Körper, das Messer erhoben.
»Bitte … ich bin nicht tot!«, murmelte er flehend, jetzt ein wenig lauter. Er wollte energisch klingen, noch mehr sagen, aber es kam nur ein Röcheln aus seiner Kehle.
»Ich dachte, du wolltest dir das Leben nehmen, dein Leid beenden …«, murmelte sie. »Ich dachte, du seist verblutet, die Wunden sehen schlimm aus.« Sie duckte sich näher zu ihm und ließ sich auf ihre Knie nieder, ehe sie zu ihm kroch. Seine Hand fiel wieder zurück in das hohe Gras. Im Dunkeln konnte das Mädchen sein Gesicht sicher nicht richtig sehen, auch den Schmerz darauf nicht.
»Warum kannst du meine Sprache sprechen? Warum verstehst du mich? Ist das ein Trick? Dämonen können mit jedem sprechen, habe ich gehört«, meinte sie und rutschte etwas näher.
Sein Atem ging schwer und rasselnd. »Ich … ich habe dem Baum gelauscht. Er hat von … deinem Volk erzählt. Den Sukrani. Ich glaube, ein Gott lebt in ihm.«
Er hatte keine Kraft, um zu lachen, aber ein merkwürdiges Glucksen entwich seiner Kehle. Das war einfach zu unglaublich. Vermutlich träumte er noch immer, aber er würde das Spiel mitmachen, das sein Fieber mit ihm spielte. War das Mädchen überhaupt echt? Ein Teil von ihm bezweifelte es und tat sie als Hirngespinst ab.
»Für mein Volk ist der Hara–Baum heilig. Er kann Leben geben und heilen. Deshalb hatte ich dir bedeutet, zu ihm zu gehen. Ich dachte, er würde dich retten.«
Zorn wallte in ihm auf. »Aber ich bin weder tot noch lebendig … ich atme … ich leide … der Baum nimmt die Qualen nicht von mir!«, zischte er und konnte den Schmerz in seinen Worten nicht verbergen.
»Du sagst die Wahrheit, Fremder. Du bist nicht tot, aber ich glaube, du wirst es sein … bald. Sieh nur, was der Baum bewirkt«, hörte er sie sagen, als sie noch näher gekommen war und auf seinen Arm deutete. »Du wirst vielleicht nicht sterben … aber ins Reich der Toten führt er dich dennoch.«
Damit hob sie nach einem Zögern seine rechte Hand. Er drehte seinen Kopf schwach und sie hielt seinen Arm vor sein Gesicht, sodass das Mondlicht auf seinen Unterarm fiel – und hindurch.
Jamil riss die Augen auf. Dort wo das Licht seine Haut traf, war diese fast transparent, alles glitzerte grünlich und bläulich und Jamil konnte am Himmel verschwommen die Mondsichel durch seinen Arm sehen.
Sogar seine Knochen waren sichtbar und die Adern, die an den Muskeln entlang liefen.
Auf einmal war neue, verzweifelte Kraft in ihm. Jamil riss seinen Arm aus ihren Fingern und stieß sie weg.
»Nein!«, rief er krächzend. »Nein, ich werde nicht aufgeben! Ich werde kein Dämon!«
Von Angst und Wut erfüllt sammelte er all seine Kraft und stützte sich mit seinem gesunden Arm vom Boden ab. Doch er hielt sich keine zwei Atemzüge aufrecht, da knirschten die Knochenbrüche und voller Schmerz sackte er zurück zwischen die Wurzeln.
Er spürte neues Blut aus seinem Körper rinnen und mit ihm die letzte Hoffnung.
»Nein! Neeeein!«, rief er verzweifelt.
Ashanee kniete vor ihm und musterte ihn fasziniert. Noch nie hatte sie einen Verfluchten wie ihn gesehen, doch hatte sie sich diese Wesen der Nacht dank der Erzählungen ganz anders vorgestellt. Er schien so traurig und wütend über sein Dasein und sich seines alten Lebens vollkommen bewusst … War er nun ein Dämon? Oder wurde er zu einem Gehilfen des Hara–Baumes, da seine Augen so seltsam blau leuchteten?
Es war erst einmal ein Dämon in die Nähe ihres Dorfes gekommen, das war schon viele Jahre her. Sie konnte sich nur an die schaurigen Berichte der Alten erinnern. Er hatte rot glühende Augen gehabt und seine Haut war schwarz wie die Nacht gewesen, als er durch ihr Dorf hetzte und schrie, wie es kein menschliches Wesen vermochte. Da war kein Verstand mehr in ihm gewesen, keine Vernunft. Nur der Durst nach Tod und Feuer … so beschrieben es die Schamanen.
Und jetzt, nachdem der junge Mann auf seinen Arm gestarrt hatte, drehte er den Kopf zu ihr. Seine Augen schimmerten, als seien sie ein Tor zu einer anderen Welt. Sie waren türkis und glitzerten, als strahlten Sterne in ihnen.
Es war nichts mehr zu sehen von diesem feurigen, dämonischen Blick. Stattdessen schien der Geist selbst durch seine Augen zu blicken und jagte ihr damit eine Gänsehaut ein.
Wieder