In Berlin vielleicht. Gabriele Beyerlein

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In Berlin vielleicht - Gabriele Beyerlein

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      „Beate!“, riss dicht hinter ihr eine Stimme Lene aus ihren Gedanken. Die Frau Lehrer war herausgekommen und stand nun neben ihr in der Schulhaustür. „Komm rein!“, rief sie erneut nach ihrer Tochter. „Du musst noch Klavier üben!“

      Beate, die eben eine ganze Hand voll bunter Murmeln gewonnen hatte, sah auf und verzog das Gesicht. „Ich will noch draußen bleiben!“

      „Mag schon sein!“, erwiderte die Frau Lehrer gelassen. „Aber du musst üben! Du weißt, dass dein Vater sehr ärgerlich wird, wenn du dein neues Stück nicht kannst! Also rein mit dir!“

      Beate maulte, erhob sich betont widerwillig und kam auf ihre Mutter und Lene mit einem missmutigen „Immer dieses blöde Üben!“ zu.

      „Freu dich doch, dass du Klavierspielen lernen darfst!“, fuhr Lene das Mädchen an. „Andere wären froh drum!“ Sie erschrak über ihre eigene Heftigkeit.

      „Du weißt ja nicht, wie langweilig das ist!“, antwortete Beate patzig. „Du musst es ja nicht!“

      Lene presste die Lippen zusammen. Was Beate da sagte, tat so weh, dass sie hätte schreien mögen oder sogar dreinschlagen. Aber die Kleine konnte ja nichts dafür. Sie ahnte nicht, dass Lene keinen größeren Wunsch gehabt hätte, als vom Herrn Lehrer Klavierunterricht zu bekommen. Und es nie gesagt hatte. Weil ihr so was nicht zustand. Weil sie sich ihr Brot verdienen musste und eben nur das Dienstmädchen war und nicht die Tochter.

      „Nun ist aber genug, Beate!“, erklärte die Frau Lehrer sehr bestimmt und sah dem Mädchen kopfschüttelnd nach, wie es im Schulhaus verschwand. „Sag mal“, wandte sie sich dann an Lene, „hast du dir schon Gedanken gemacht, wohin du in Stellung gehen willst, wenn du mit der Schule fertig bist?“

      Lene starrte die Frau Lehrer an. Auf einmal war ihr, als wanke der Boden unter ihr. „Was, wohin?“, stotterte sie. „Aber wieso — ich, ich dachte, ich bleib — kann ich denn nicht bei Ihnen bleiben? Bin ich denn — ich dachte — sind Sie denn nicht zufrieden mit mir?“ Heiß stieg ihr die Angst auf: Hatte die Frau Lehrer vielleicht etwas von ihren Träumen gemerkt und wollte sie deswegen los sein? Oder wusste es gar der Herr Lehrer selbst?!

      „Ach, Lene!“ Die Frau Lehrer legte ihr die Hand auf die Schulter. „Natürlich sind wir zufrieden mit dir, das weißt du doch, so fleißig und anstellig, wie du bist! Du bist mir ans Herz gewachsen fast wie mein eigen Kind, und meinem Mann auch, das weiß ich, das darf ich so sagen. Und ich gebe dir auch das beste Zeugnis, das ein Mädchen bekommen kann. Aber bleiben — ich kann dir ja keinen Lohn zahlen, Lene. Kein Pfennig bleibt mir übrig am Monatsende. Es reicht einfach nicht.“

      Lene schluckte. Langsam beruhigte sich ihr Herz, standen die Beine wieder sicher. Sie wurde nicht hinausgeworfen. Sie war nicht entlarvt. Es ging nur ums Geld. „Dann bleib ich eben ohne Lohn.“

      Die Frau Lehrer schüttelte den Kopf. „Nein, Lene. Das wäre nicht recht. Nicht, nachdem du eingesegnet bist. Solange du noch ein Schulkind bist, ist es etwas anderes. Wir haben dir ein ordentliches Zuhause gegeben und du bist mir zur Hand gegangen, und das hatte so seine Richtigkeit. Aber jetzt bist du vierzehn und musst dir etwas verdienen und etwas zurücklegen. Wenn einmal ein anständiger Bursche kommt, der es gut mit dir meint, wirst du jede Mark brauchen, damit ihr einen Hausstand gründen könnt.“

      Lene schwieg. Es stimmte, was die Frau Lehrer da sagte. Wenigstens war es nicht so, dass sie gehen musste, weil man sie nicht mehr haben wollte oder weil man etwas gemerkt hatte. Aber die Familie verlassen müssen, ihn nicht mehr sehen dürfen, nicht mehr am Abend sein Klavierspiel hören und Lieder mitsingen dürfen, wie sollte sie das überhaupt aushalten? So grau würde alles sein ohne ihn, nein, das konnte sie sich gar nicht vorstellen. Und auch die Frau Lehrer und die Kinder würden ihr fehlen, wo sie doch gehofft hatte, dazuzugehören, nicht richtig natürlich, aber doch irgendwie ...

      „Ich habe gehört, der Lenz-Bauer sucht eine junge Magd!“, fuhr die Frau Lehrer fort. „Dann kannst du im Dorf bleiben.“

      „Der Lenz-Bauer?“, fuhr Lene auf. „Nie!“ Der Vater von der Grete — dann würde sie sich von der herumkommandieren lassen müssen und ganz unten an deren Tisch sitzen!

      Die Frau Lehrer sah sie verwundert an. „Warum nicht der Lenz-Bauer? Aber wie auch immer, such dir beizeiten was! Du kannst ja auch deine Mutter fragen, vielleicht kommst du auf dem Gut unter, wo sie ist.“

      Dann doch lieber der Lenz-Bauer, dachte Lene. Wenn ich nicht mehr beim Herrn Lehrer sein darf, dann ist sowieso alles gleich.

      Aus dem Schulhaus drang Beates Klaviergeklimper. So lustlos und stümperhaft die Tasten auch angeschlagen wurden, die Melodie des Volksliedes war doch zu erkennen: „Kein Feuer, keine Kohle kann brennen so heiß, wie heimliche Liebe, von der niemand nichts weiß ... „

      Lene presste die Hände im Schoß zusammen. Hier vorne in der Kirche auf den Stühlen zu sitzen in dem neuen grauen Kleid — und zu wissen, dass die ganze Gemeinde einem im Rücken saß und aufpasste, ob man auch nichts Falsches sagte oder sich falsch benahm!

      Dabei war sie sicher, dass sie nichts Falsches sagen würde. Schließlich hatte die Frau Lehrer sie alles abgefragt und sie hatte keinen einzigen Fehler gemacht.

      Nein, das war es nicht. Aber hinten in der letzten Reihe saß auf der Frauenseite im Kirchenschiff die Mutter. Sie war gekommen, sie war wirklich gekommen, in einem einfachen schwarzen Kleid mit Schultertuch, denn ihr Festgewand war ja nun aufgetrennt und wartete darauf, für Lene zum Konfirmationskleid umgenäht zu werden.

      Lene hatte die Mutter entdeckt, als sie mit den anderen Konfirmanden hinter dem Herrn Pastor in die Kirche eingezogen war. Einen kurzen Blick hatte sie mit der Mutter getauscht, und es kam ihr fast vor, als hätte die Mutter gelächelt. Jetzt musste Lene sich zusammenreißen, damit sie nicht aufstand und sich umdrehte, um noch einmal hinzusehen.

      Auf der anderen Seite der Kirche saß der Siewer-Bauer auf dem Platz, auf dem er immer saß.

      Selbst mit gesenktem Kopf hatte Lene beim Einzug die Blicke der Leute gespürt, die zwischen dem Siewer-Bauern und der Marie Schindacker hin- und hergingen, Blicke, die sie in ihrem Rücken spürte, seit sie hier vorn saß, Blicke, die sich in ihrem Nacken kreuzten.

      Auf einmal wünschte sie, die Mutter wäre nicht gekommen.

      „Ich weiß, woran ich glaube“, sang sie mit den anderen Konfirmanden.

      Was war nur mit ihrer Stimme los? Sie hatte doch eine gute Singstimme, das sagte der Herr Lehrer immer. Nun schien sie ihr brüchig und heiser. Doch nach und nach gewann sie im Singen Sicherheit. Klarer klang es nun schon: „Ich weiß, was ewig dauert ...“

      Drei Verse, dann begann die Prüfung. Der Herr Pastor begann mit den Zehn Geboten. Lene atmete auf: Das war leicht, auch wenn er die Gebote nicht der Reihe nach abfragte. Karl — das neunte Gebot. Grete — das dritte Gebot. Heinrich — das erste Gebot. Alles lief wie am Schnürchen. Dann hörte Lene ihren Namen. Sie stand auf, ohne Angst. „Das sechste Gebot!“, verlangte der Herr Pastor.

      Das sechste Gebot.

      Auf einmal veränderte sich etwas in der Kirche. Kein Scharren von Füßen mehr, kein Knarren einer Bank, kein Husten. Es war, als hielten alle den Atem an. Die Stille wurde hörbar. Nahm sie nicht etwas Lauerndes an?

      Das sechste Gebot.

      Die Mutter auf der linken Seite der Kirche, der Siewer-Bauer auf der rechten. Und sie,

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