Mauerzeit - Traumzeit. Dietmar Schubert

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Mauerzeit - Traumzeit - Dietmar Schubert

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gefällt mir. Werkstücke perspektivisch darstellen, Maßstäbe beachten, das hat was mit Exaktheit zu tun, die ich faszinierend finde. In dieser Woche ist PA – Praktische Arbeit – im Patenbetrieb der Schule. Jeden Wochentag garantieren zwei Klassen, eine vormittags, die andere nachmittags, die Planerfüllung. Die Arbeit fängt um sieben Uhr an und das für uns am Montag. Wir sitzen in Arbeitsklamotten im Aufenthaltsraum. Der Meister kommt und teilt uns den einzelnen Abteilungen zu. Ein nicht zu durchschauendes Lotteriespiel. Wer bei der Einteilung Pech hat, muss die neue Maschinenhalle fegen. Über mich hält jemand sein schützendes Händchen. Ich arbeite in der neuen Maschinenhalle immer an derselben Drehmaschine. Die ersten beiden Mal hat es noch Spaß gemacht. Aber jetzt, Teil aus der Kiste nehmen, dann einspannen, Maschine an, vier Minuten warten, Teil ausbauen, wieder von vorn anfangen. Der Lärm der Maschinen ist in der ganzen Halle zu hören und der Geruch von Fett, Öl und heißem Metall liegt in der Luft. Ein Gabelstaplerfahrer lässt mit ohrenbetäubendem Lärm und aus einigen Zentimetern Höhe eine Kiste am Arbeitsplatz neben mir fallen. Lässig kurbelt er am Lenkrad des Staplers, lädt eine andere Kiste auf die Gabel und rast in Richtung Lager davon.

      Silkes Laune ist im Keller, als sie lustlos neben meinen Kisten steht. Ich versuche, sie zumindest mit einem Lächeln aufzuheitern.

      „Silke, einer muss die Halle fegen und heute hat es dich erwischt.“

      „Ha ha, du hast gut lachen und wann bist du mal dran?“

      Die Antwort verkneife ich mir. Wenn Silke böse ist, kneift sie ihre großen Augen zusammen und kleine Falten stehen auf ihrer Stirn. Die Drehmaschine ist fertig mit dem Teil. Ich spanne den nächsten Rohling ein und schalte die Maschine wieder an. Nach wenigen Augenblicken fliegen die ersten Späne unter die Maschine. Silke setzt sich auf die Kiste mit den Rohlingen und hält sich am Besen fest.

      „Suchst du jemand?“, frage ich sie, weil ihre Blicke durch die Halle schweifen. Sie nickt mit dem Kopf.

      „Ich muss aufpassen, wenn sich der Meister blicken lässt. Efpi hat beim letzten Mal Ärger bekommen, weil sie mit Simone gequatscht hat.“

      Der Arbeiter neben uns blättert geräuschvoll in der FuWo.

      „Scheiß BFC!“, flucht er, als er die Auswertung der Fußballoberliga liest. Mit Wut knüllt er die Zeitung zusammen und wirft sie in die Ausschusskiste. Die Zigarette im Mundwinkel stellt er die Maschine neu ein und sitzt wenige Augenblicke später gelangweilt neben ihr.

      „RIAS Berlin, eine freie Stimme der freien Welt!“, ist leise durch die Geräuschkulisse zu hören. Die Stimme kommt aus dem kleinsten Kofferradio, was ich kenne, dem Kosmos. Nicht viel größer, als zwei Seifenschachteln. Es gehört zum Arbeiter an der Drehbank hinter mir.

      „Und morgen wird uns die Miera in Stabü wieder etwas über die führende Rolle der Arbeiterklasse beim Aufbau des Sozialismus in der DDR erzählen“, meint Silke und schüttelt mit dem Kopf.

      „Und nächste Woche ist Leistungskontrolle in Stabü!“, ergänze ich.

      „Das stört mich weniger, ich lerne den Stoff einfach auswendig“, erklärt sie. Sie schaut immer noch nach dem Meister, bevor sie ihren Kopf zu mir dreht.

      „Weißt du, ich habe kein Problem damit, mir meine Hände schmutzig zu machen und an einer Drehmaschine zu arbeiten. Was mich ärgert, dass das, was ich an den Vormittagen beim UTP erlebe und mir dann die Miera in Stabü erzählt, hinten und vorn nicht zusammenpasst. Entweder kann mir das oder will mir das keiner erklären, warum da Theorie und Praxis nicht übereinstimmen. Da ist mir Physik oder Chemie viel lieber.“

      „Weil es Experimente und Beweise gibt?“, frage ich sie.

      „Genau deshalb“, antwortet sie mir.

      „Am liebsten mache ich Experimente, wenn wir beide zusammen in einer Gruppe sind“, setzt sie ihren Satz fort. Ich bin verlegen. Silke macht mir einfach Komplimente und mir ist noch nie eines für sie eingefallen.

      „Du bist immer ganz exakt, bei dir muss das Ergebnis stimmen. Wenn nicht, suchst du nach einer Erklärung. Du erinnerst mich ... .“

      Hier stockt sie, ganz plötzlich, als würden ihr die Worte fehlen oder als wollte sie mir etwas nicht sagen wollen. Verdammt, damals am Waldsee hat sie den Satz auch so abgebrochen.

      „An wem oder was erinnere ich dich?“, frage ich sie. Ihr Gesicht verfinstert sich. Sie überlegt eine Weile, bevor die Traurigkeit wieder aus ihrem Gesicht verschwunden ist.

      „Du erinnerst mich an Wissenschaftler, die große Entdeckungen gemacht haben. Ich glaube, das sind auch so exakte Menschen wie du.“

      Das Teil in der Drehbank ist fertig. Silke beobachtet jeden meiner Handgriffe, bis ich die Maschine wieder einschalte. Sie springt auf und fängt an, zwischen den Kisten zu fegen.

      „Ich komme gleich wieder, der Meister ist im Anmarsch.“

      Mit gespielter Begeisterung häuft sie Metallspäne und Dreck zusammen. Kommentarlos zieht der Meister an ihr vorbei und verschwindet aus der Halle.

      „Hilfst du mir heute Nachmittag?“, fragt sie mich.

      „Heute Nachmittag, was war da?“, grüble ich. Silke rollt mit den Augen.

      „Holger, du hast ein Gedächtnis wie ein Kaffeesieb mit einem großen Loch“, wirft mir Silke vor, „wir haben uns doch erst gestern drüber unterhalten. Ich sage nur Waschhaus. Meine Eltern habe die Wäsche heute früh hingebracht und ich muss sie mangeln und abholen.“

      Das Wort Waschhaus aktiviert meine Erinnerungen. Ich habe Silke versprochen mit zukommen, alleine ist die Heißmangel schwer zu bedienen. In unserer Familie habe ich diesen Job an Peggy abgegeben, ich kann die Waschweiber im Waschhaus nicht ausstehen.

      „Kann ich das Teil auswechseln?“, unterbricht Silke meine Gedanken.

      „Okay, ich passe auf“, meine ich und trete einen Schritt von der Drehmaschine zurück. Sie lehnt den Besen gegen die Kisten und beginnt das fertige Teil auszubauen. Silke ist konzentriert. Auch wenn sie zum UTP immer ein verwaschenes, kariertes Hemd, eine ausgebleichte, zu kurze Arbeitshose anhat und ihre Haare unter einer Schirmmütze versteckt, sieht sie einfach gut aus. Ich könnte sie ewig so ansehen.

      „Fertig! Maschine einschalten?“, meint sie. Ich schrecke aus meinen Gedanken auf, schaue prüfend über das eingespannte Teil und finde keinen Fehler.

      „Klar, einschalten!“, fordere ich sie auf. Sie drückt auf den Startknopf und der Meißel hebt nach wenigen Augenblicken den ersten Span ab. Es wird ruhiger in der Halle. Nach und nach gehen die Maschinen aus. Die Frühstücksverpflegung für die Arbeiter rollt an. Silkes Teil ist fertig und sie legt es zu den anderen.

      „Aha, einen Haltebolzen habe ich hergestellt“, bemerkt sie, als sie die Laufkarte in der Kiste studiert. Wir müssen zum Frühstück in den Pausenraum und der liegt am anderen Ende der Halle. Ich bin in guter Stimmung, lege meinen Arm um Silkes Schulter und drücke sie an mich. Ein kleines Lächeln kommt als Dankeschön zurück.

      „Eh, Kleine, kannst du deinen Freund nicht mal wegschicken!“, ruft jemand aus der Warteschlange. Ich streiche über ihren Arm und ich möchte sie beschützen.

      „Gehst du wieder zu deiner Flamme Silke?“, fragt mich Peggy neugierig.

      „Ich entflamme dir gleich dein Hinterteil, wenn du frech wirst“, erwidere ich

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